Kommunen unter Druck: Deutschlands Städten geht es an die Substanz

Wegfallende Buslinien, höhere Eintrittspreise für Theater und Bäder, längere Wartezeiten für das Wohngeld oder den Personalausweis – das sind mögliche Folgen, wenn die Finanzlage einer Kommune ins Minus kippt. Und das ist gerade flächendeckend der Fall. In diesem Jahr werde fast keine Stadt mehr einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können, warnte Städtetags-Präsident Markus Lewe (CDU) am Montag. „Die Sozialausgaben, auf die wir kaum Einfluss haben, laufen uns davon“, sagte der Oberbürgermeister von Münster. Nach einer Umfrage des kommunalen Spitzenverbands können 37 Prozent der Städte keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Weitere 47 Prozent schaffen das nur, indem sie vorhandene Rücklagen auflösen.
Damit sind viele Städte gezwungen, zu sparen. Einige haben schon konkrete Pläne, anderen stehen vor harten Entscheidungen. Beispiel Heidelberg: Die Stadt muss im öffentlichen Nahverkehr, in der Kinderbetreuung, beim Personal und bei den freiwilligen Leistungen an Dritte sparen. Beschlossen ist die Streichung einer Buslinie und ein früherer Wechsel in das ausgedünnte Nachtnetz. Das Theater erhöht seine Eintrittspreise um insgesamt zehn Prozent, die Bäder teilweise um mehr als 20 Prozent.
Oder München: Der Stadtrat der Landeshauptstadt hat schon eine Milliarde Euro aus dem geplanten Investitionshaushalt gestrichen. Das betrifft fast alle Bereiche: Bus und Bahn, Wohnungsbau und Schulbau, wenn es nicht mehr Geld von Bund und Land geben sollte. Die geplante Nettoneuverschuldung liegt dieses Jahr immer noch bei 2,1 Milliarden Euro. So rechnet die Stadt zum Jahresende mit einem Anstieg ihrer Verschuldung auf rund 7,5 Milliarden Euro.
Schwimmhallen und Innovationszentrum gefährdet
Oder Neubrandenburg: Die Kreisstadt in Mecklenburg-Vorpommern hat in der Vergangenheit schon die Grundsteuer und die Gewerbesteuer erhöht, um Ausgaben und Einnahmen zur Deckung zu bringen. Doch jetzt wird es offenbar wieder eng. So werden eine neue Schwimmhalle und ein geplantes Innovationszentrum mittlerweile infrage gestellt.
Oder Leipzig: Die Stadt in Sachsen arbeitet an einem Haushaltssicherungskonzept, um ein drohendes Defizit von 100 Millionen Euro bis zum Jahr 2027 abzuwenden. Die Hälfte sollen die Dezernate und Ämter erbringen, ein Viertel die Beteiligungsunternehmen und ein weiteres Viertel „zentrale Maßnahmen“. Konkret kann das beispielsweise weniger Geld für die Sportvereine bedeuten. Insgesamt sollen 500 Stellen in der Stadtverwaltung wegfallen.
„Ohne die Stadt ist kein Staat zu machen“
Mit solchen Beispielen will der Deutsche Städtetag aufrütteln. Sechs Tage vor der Bundestagswahl appellierte der kommunale Spitzenverband an die künftige Regierung, den Kommunen die Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die diese brauchen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. „Ohne die Stadt ist kein Staat zu machen“, mahnte Vizepräsident Burkhard Jung (SPD). Hatte in der Vergangenheit noch eine deutliche Mehrheit der Städte ihre Haushaltslage als „eher gut oder ausgeglichen“ beurteilt, schätzen jetzt 95 Prozent der Städte ihre Haushaltslage in den kommenden fünf Jahren als „eher schlecht“ oder sogar „sehr schlecht“ ein. Ein Grund: Die kommunalen Sozialausgaben sind in den vergangenen zehn Jahren in fast allen Bereichen um mindestens ein Drittel, teilweise um mehr als 100 Prozent gestiegen.
So hätten sich in der Kinder- und Jugendhilfe die Ausgaben in diesem Zeitraum von 32,8 Milliarden Euro auf 67,6 Milliarden Euro erhöht, vor allem durch den massiven Ausbau der Kinderbetreuung, erläuterte die Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Grüne). Sie wird zu mehr als 80 Prozent von den Kommunen finanziert. Deutlich höhere Ausgaben gibt es auch bei den Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderungen, bei der Pflege und beim Bürgergeld. Auch wenn Bund und Länder hier ebenfalls finanziell beteiligt sind, leiden nicht zuletzt die kommunalen Finanzen unter dem starken Anstieg. „Es kann so nicht weitergehen“, meinte denn auch Städtetagsvizepräsidentin Dörner. Die neue Bundesregierung müsse „große Räder“ drehen, damit die Kommunalfinanzen nicht zusammenbrechen, verlangte Städtetags-Präsident Lewe. Notwendig sei eine Trendwende. Der Städtetag fordert etwa einen höheren Anteil der Städte an den Gemeinschaftssteuern wie der Umsatzsteuer. „Bei den Kommunen liegt etwa ein Viertel der gesamtstaatlichen Aufgaben, sie haben aber nur ein Siebtel der Steuereinnahmen. Das passt nicht zusammen.“
Auch dürften Bund und Länder keine zusätzlichen Aufgaben mehr an die Städte geben, die nicht ausfinanziert seien. Die Städte sollten nicht länger „ihrem Geld bei Kostensteigerungen hinterherlaufen müssen“. Darüber hinaus dürften Bund und Länder keine steuerpolitischen Entscheidungen treffen, die in den Kommunen zu Einnahmeausfällen führten.
„Wenn die Steuerpolitik von Bund und Ländern zu Einnahmeausfällen bei den Kommunen führt, müssen diese Ausfälle eins zu eins ausgeglichen werden.“ Außerdem bevorzugen die Städte feste Budgets anstelle komplizierter Förderprogramme. Bund und Länder sollten ihnen vertrauen und Mittel geben, über die sie frei verfügen könnten. Schließlich fordert der kommunale Spitzenverband Bund und Länder auf, mehr mit Krediten finanzierte Ausgaben zu ermöglichen. „Wenn die Schuldenbremse Zukunftsinvestitionen verhindert, muss sie reformiert werden.“
Aktuell verhandeln die Kommunen und der Bund mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi über einen neuen Tarifvertrag für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten in ihren Diensten. Verdi fordert unter anderem ein Plus von acht Prozent, mindestens aber 350 Euro mehr im Monat. Die kommunalen Arbeitgeber beziffern ihre Belastungen aus dem Forderungspaket auf knapp 15 Milliarden Euro.