Das Problem mit dem Oscar-Favoriten „Der Brutalist“

Seinen schlechten Ruf hat der Brutalismus nicht ganz zu Unrecht. Nur wenige Architekten konnten mit den skulpturalen Möglichkeiten, die Sichtbeton, Stahl und Glas boten, so umgehen, dass daraus mehr als gewaltige, ja gewalttätige Gemeinheit wurde. Anders ausgedrückt: Der verzagte Historizismus des 19. und 21. Jahrhunderts, also der Vor- und Postmodernen, brachte wenig hervor, was sich an Schönheit mit den Werken Le Corbusiers oder Oscar Niemeyers, mit Gottfried Böhms Wallfahrtskirche in Velbert oder William Pereiras Geisel Library in San Diego messen könnte. Aber auch erheblich weniger Scheußlichkeiten von mittelmäßigen Kunstgewerblern und aufgeblasenen Ideologen.
War nun der ungarisch-jüdisch-amerikanische Bauhausschüler Lászlo Tóth ein Genie? Schuf er Bleibendes? Bauten, die jetzt, da man technisch die Tücken des Sichtbetons und Flachdachs besser beherrscht und sich gelangweilt von dem Epigonentum der Postmodernen abwendet, wieder als Inspiration dienen könnten? Unmöglich zu sagen, da Tóth – der Held von Brady Corbets neuestem Film „Der Brutalist“ – nie gelebt hat und man die Bauten dieses fiktiven Architekten im Film allenfalls in Modellen und Ausschnitten zu sehen bekommt. Schade eigentlich.
Corbets Film ist lang: 215 Minuten, einschließlich der 15-minütigen Pause. Das sind nur fünf Minuten kürzer als Cecil B. DeMilles Magnum Opus „Die Zehn Gebote“, wo es immerhin Massenmorde und Plagen, Schlachten und Gotteserscheinungen zu bewältigen gilt. Lászlos Geschichte ist – sagen wir – leiser. Als Überlebender des Holocaust kommt er nach Amerika, wo er unbekannt ist und jahrelang schlecht bezahlte und erniedrigende Jobs annehmen muss, bis ihn der Auftrag eines Millionärs aus der Versenkung rettet. Lászlo kann endlich seine Frau und seine Nichte, die ebenfalls den Massenmord überlebt haben, nach Amerika holen.
Für den Flüchtling scheint sich der amerikanische Traum zu verwirklichen. Aber Lászlos Freiheit ist begrenzt: durch seine Drogensucht, durch die Abneigung der Amerikaner gegen Europäer und Juden und durch die totale Abhängigkeit von seinem rassistischen und antisemitischen Auftraggeber, der ihn in einer Schlüsselszene des Films vergewaltigt. Lászlos Nichte geht mit ihrem jüdischen Mann nach Israel, seine Frau folgt dem Paar. Im Epilog des Films sehen wir, wie Lászlo auf der Architekturbiennale von Venedig 1980 für sein Lebenswerk geehrt wird. Seine Nichte hält die Laudatio und erklärt die Kompromisslosigkeit seiner Architektur mit der Verlogenheit und Brutalität der Zeit, gegen die sie rebellieren musste. Es stimme nicht, dass der Weg das Ziel sei, sagt sie; es komme auf das Ziel an.
Corbets Film ist also ein Kompositum: eine Untersuchung der Schwierigkeiten des Neuanfangs; eine Kritik der Abhängigkeit der Kunst vom Geld; eine Feier des Immigranten und seines Genies; eine Verteidigung des Brutalismus; ein Plädoyer für den Zionismus. Er ist aber all dies nur in Ansätzen, so als habe er Angst, irgendeinem dieser Themen allzu intensiv nachzugehen. Und es ist diese Verzagtheit, die letztlich den Film so lang macht. Weniger wäre mehr gewesen, trotz Adrien Brody, dem man natürlich immer gern zusieht, egal, ob er sich einen Schuss setzt oder mit Bauarbeitern schimpft.
Und so erschöpfen sich viele Kritiken in der Feier von Brodys Schauspielkunst, seinem perfekten ungarischen Akzent etwa, der Kameraführung, der Textur, den Farben des – wie „Die zehn Gebote“ in VistaVision gedrehten – Films. Doch geht es eben nicht um die Mittel, sondern um die Geschichte, um das Ziel, nicht den Weg.
Ein Fantasy-Film?
Auf der Pressekonferenz in Venedig, wo er den Film vorstellte und einen Silbernen Löwen für seine Regiearbeit bekam, meinte Corbet, sein Film sei ein Fantasy-Film, weil es „in der Architektur kein einziges Beispiel“ eines Menschen gebe, der wie Lászlo nach dem „Sumpf des Zweiten Weltkriegs“ sein Leben in Amerika erfolgreich neu aufbauen konnte. „Es gab so viele Architekten aus der Bauhaus-Schule, die so großes Potenzial und so großes Talent hatten. Von denen wir aber nie zu sehen bekommen haben, was sie bauen wollten, wozu sie in der Lage gewesen wären.“
Nun ja. Walter Gropius, Mies van der Rohe – immerhin zwei Direktoren des Bauhauses, die in den USA Karriere machten – würden das anders sehen, Marcel Breuer auch, der mit dem Whitney Museum of American Art in Manhattan eine Ikone des Brutalismus schuf, ebenso wie Erich Mendelsohn, kein Bauhaus-Architekt, aber geradezu Inbegriff der Modernen, und viele andere. Ganz zu schweigen vom Schriftsteller Tom Wolfe.
Das Bauhaus wurde nämlich infolge der Massenflucht aus Europa zeitweilig so dominierend in den USA, dass Wolfe 1981 in seinem postmodernen Manifest „From Bauhaus to Our House“ klagte: „Gab es auf Erden schon einmal einen Ort, wo so viele reiche und mächtige Leute so viel Architektur finanziert und erduldet haben, die sie nicht ausstehen konnten?“
Corbets Film tut so, als habe es diesen Kulturkampf nicht gegeben; als gebe es ihn nicht heute. Dabei zeigt der kürzliche Angriff der AfD auf das Bauhaus in Dessau, dass er noch virulent ist. Corbet dämonisiert den philiströsen Geldgeber und sentimentalisiert das architektonische Genie, wie es schon Ayn Rand in „The Fountainhead“ tat. Es gäbe guten Grund, den sozialen und ästhetischen Impuls des Brutalismus wiederzuentdecken; dieser Film trägt wenig dazu bei.
Der Film „Der Brutalist“ läuft ab dem 30. Januar im Kino.
Source: welt.de