Museumssonntag in Berlin: Tag jener schließenden Türen
Willi ist sauer. Der Mann mit Bart und
wuscheligen Haaren hat gerade seinen Besuch im Hamburger Bahnhof beendet, einem
der großen Berliner Kunstmuseen. Es ist kurz vor 18 Uhr am 1. Dezember, und
die Museumswärter schließen die Tore – in gewisser Weise sogar für immer. Denn
was Willi so ärgert, ist der Umstand, dass in der Berliner Kultur gespart
werden muss, und zwar auch bei den Museen. Unter anderem fällt der sogenannte Museumssonntag
weg, der einmal pro Monat kostenlosen Eintritt gewährte – auch Willi und seiner
Begleitung am heutigen Tag.
„Komplett Banane“ sei das, sagt er und schüttelt
den Kopf.
Super Stichwort: Im Speziellen geht es an diesem
Abend zwar um die Auswirkungen der Berliner Kulturkürzungen, aber auch um die Frage, was Kunst
wert ist. Sofort muss man an die Banane des Künstlers Maurizio
Cattelan denken, die
der Kryptomillionär
Justin Sun kürzlich für 6,3 Millionen Dollar ersteigerte, nur
um sie dann zu verspeisen. Und da bekommt man das Gefühl, dass es mit der
Verhältnismäßigkeit hier ein wenig durcheinandergeht: Auf der einen Seite zahlt eine Privatperson 6,3 Millionen für ein
einzelnes Kunstwerk. Und auf der anderen hat die deutsche Hauptstadt keine zwei Millionen pro Jahr für den freien
Zugang zu Kunst und Kultur übrig?
Dort, wo Willi steht und sich empört, auf dem Platz vor dem alten
Bahnhof, zu Füßen einer Skulptur von Georg Baselitz, die grübelnd auf einem
Hocker sitzt, hat sich eine kleine Gruppe um einen Lautsprecher versammelt: An
diesem bitterkalten Winterabend hält die Gruppe eine spontane Kundgebung ab.
„Museumssonntag bleibt!“, steht auf einem der Banner. Vom Bündnis Kultur für Alle
sind sie, erklärt Sprecher Jan Novak. Das sei ein loser Zusammenschluss von
Privatleuten und kleinen stadtpolitischen Initiativen, und den
gebe es auch erst seit ein paar Tagen: „Wir sind Leute, die einfach gerne
zum Museumssonntag gehen.“ Es gehe um Solidarität mit dem Projekt und den
beteiligten Museen.
Die soziale Teilhabe sollte gestärkt werden
Wenn man an diesem letzten Museumssonntag von Museum zu
Museum läuft, sieht man vielerorts Schlangen. Vor dem Naturkundemuseum stehen
viele Familien, vor der Alten Nationalgalerie winkt eine resolute
Museumswärterin die Besucher gruppenweise herein. Sie alle wollen in die
Ausstellungen, obwohl die Sonne scheint, was im Berliner Winter gar nicht so
häufig vorkommt. Die Abschaffung des Museumssonntags finden alle, mit denen man spricht, schade und
traurig. So auch die 32-jährige Kristin, die ebenfalls bei
der Kundgebung steht. Sie bezeichnet die Entscheidung als „soziale
Diskriminierung“: Für die Stadt sei das „absolut beschämend“.
Die Museen selbst bleiben indes an diesem Sonntag eigenartig
unbefangen. An dem Bündnis Kultur für Alle sind sie nicht beteiligt. Nur ein
paar kleine Plakate hängen hier und dort im Eingangsbereich, auf das Logo des
Museumssonntags ist in Rot das Wort „Abgeschafft“ gedruckt. Aber ein
Rahmenprogramm oder Reden gab es, soweit ersichtlich, in den großen Häusern nicht.
Die Aktivisten vor dem Hamburger Bahnhof verteilen dafür fleißig Flugblätter, ein
paar Besucherinnen bleiben stehen und hören zu, wie einer der Aktivisten am
Mikrofon das Anliegen erklärt: „Gerade in Zeiten, in denen die Welt viele
Probleme hat und wir zusammenhalten müssen, brauchen wir Kultur.“ Und zwar auch
für diejenigen, „die nicht so viel Geld in der Tasche haben“.
So war der Museumssonntag von Anfang an gedacht: Der vom
früheren Linkenkultursenator Klaus
Lederer durchgesetzte Tag sollte die soziale Teilhabe stärken. Eine wissenschaftliche
Besucherbefragung (PDF) des Instituts für Kulturelle Teilhabeforschung kam im
Jahr 2022 auch zu dem Ergebnis: Das hat teilweise funktioniert. Im
Untersuchungszeitraum von Juni 2021 bis Juli 2022 gingen deutlich mehr 25- bis
35-Jährige und Menschen mit Einwanderungsgeschichte am Museumssonntag in eines
der beteiligten Häuser. Eine neuere Befragung der Kulturprojekte Berlin, die
das Projekt organisierten, aus diesem Herbst bestätigt die Zahlen.
Eine Frage des Preis-Leistungs-Verhältnisses
Aber die Studie aus 2022 befand auch: „Der eintrittsfreie
Sonntag bewirkt keine spezifische Steigerung von Anteilen statistisch gesehen
finanziell vulnerabler Gruppen im Publikum.“ Möglicherweise, heißt es in der Untersuchung, liege das an den bereits vorhandenen Ermäßigungen für diese vulnerablen
Bevölkerungsgruppen. Die Erhebung ergab außerdem: „Der freie Eintritt hat für
die meisten Besucher*innen vor allem das wahrgenommene
Preis-Leistungs-Verhältnis des Museums entscheidend verbessert.“ Er bewirke,
schrieben die Studienautoren, weniger den Wegfall einer Kostenbarriere, „sondern
das Angebot wird kostenpflichtig als nicht attraktiv genug für einen Besuch
wahrgenommen“.
So kann man, wenn man denn mit kühlem, betriebswirtschaftlichem Blick auf die ganze Sache blicken möchte, die
Abschaffung auch verteidigen. Die Redner von Kultur für Alle sagen hingegen, Geld
sei genug da, und verweisen auf den Plan des Senats, den Görlitzer Park zu
umzäunen (1,2 Millionen Euro) und an der Bewerbung für die Olympischen Spiele
festzuhalten (möglicherweise Milliarden Euro). Oder man steigere eben die
Einnahmen: Auf ihr Flugblatt haben sie auch den Slogan „Tax the rich!“
gedruckt.
Am Ende der Kundgebung, als sich die meisten Besucher
schon in den Berliner Abend zerstreut haben, greift Novak noch mal zum Mikrofon
und ruft: „Wir prophezeien die Wiederauferstehung des Berliner
Museumssonntags!“ Die Frage ist nur: Wann? Und zu welchem Preis?