Innenstädte: Die Stadt ist tot – es lebe die City

Einkaufsstraße in München: Für die City sind neue Nutzungsideen gefragt – zugleich müssen sie zu einem großen Ganzen zusammenwachsen.

Pandemiefolgen, Leerstand und Kaufhauspleiten machen den Stadtkernen immer noch zu schaffen. City, Kommunen und Handel müssen sich neu erfinden. Nicht alle kommen durch.

Aldi macht’s, Globus auch, Decathlon ebenfalls, Ikea ist mit dabei und selbst Möbelhäuser machen sich auf den Weg in die Innenstadt. Ganz schön paradox. Denn trotz der Weihnachtsbeleuchtung sieht es düster aus in Deutschlands Innenstädten. Steigende Leerstände, hohe Mieten, immer mehr Geschäftsaufgaben und Filialschließungen wie aktuell bei der Deko-Kette Depot, immer noch wenige Besucher. Die City leidet auch Jahre später an den Folgen der Corona-Lockdowns – und daran, dass vor allem Millennials und die GenZ lieber online shoppen, als in die Stadt zu fahren.

Laut Einzelhandelsverband HDE gaben seit Beginn der Corona-Maßnahmen im Jahr 2020 bis heute 46.000 Geschäfte auf. Allein in diesem Jahr sind es 5000. Und mit der Schließung weiterer Kaufhäuser im Zuge der Signa-Pleite scheint Erholung nicht in Sicht. „Der Befund ist umso gravierender, als dass der Einzelhandel für attraktive Innenstädte und Ortskerne weiterhin unverzichtbar bleibt. Der Handel bleibt der zentrale Frequenzbringer“, sagt Bernd Düsterdiek, Innenstadtexperte beim Deutschen Städte- und Gemeindebund.

„Die Stadt, wie wir sie in den letzten 20 Jahren kannten, ist tot“, sagt Ute Marks, Innenstadtexpertin beim Beratungsunternehmen Stadt + Handel. Die Frequenz leide nach wie vor. „Es braucht größere Anstrengungen, als es der Handel bisher gewöhnt war. ,Türen auf, Kunden rein‘ funktioniert nicht mehr.“ Vor allem junge Leute bräuchten die Innenstadt per se nicht mehr.

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Gleich mehrere große Baustellen und Leerstände drücken derzeit massiv auf das Erscheinungsbild der Frankfurter Innenstadt. Zumindest eines der Projekte neigt sich nun dem Ende, und schon bald soll dort laut TW-Informationen auf einem Großteil der Fläche Uniqlo einen Store eröffnen. Auch ein weiterer Mieter steht dort offenbar bereits fest und dürfte die Attraktivität der City deutlich steigern.

Kampflos wollen die Kommunen aber nicht aufgeben. Nach dem Motto „Die Innenstadt ist tot, es lebe die City“ feilen Städte und Immobilienentwickler an Konzepten, um den Stadtkernen wieder neues Leben einzuhauchen. Dennoch ist die Revitalisierung nach Experteneinschätzung ein Spiel mit ungewissem Ausgang und ein Puzzle, bei dem nicht sicher ist, ob die Teile am Ende ein Ganzes ergeben. Raus aus der Komfortzone müssten am Ende alle, so die einhellige Meinung: Städte, Händler und Vermieter.

So manchen scheint dies nicht zu schrecken. Gegen den Trend machen sich immer mehr Händler auf, die totgesagten Innenstädte wieder zu bevölkern. So entdeckt Ikea gerade mit Planungsstudios die City-Lage. Fast ein Dutzend davon betreiben die Schweden bereits in Berlin, München, Marburg, Rheine und Stuttgart. Das nächste eröffnen sie Ende November in Köln.

Die Resonanz auf die neuen City-Formate sei sehr positiv. „Immer mehr Menschen nutzen Onlineangebote und immer weniger Menschen besitzen ein eigenes Auto“, so eine Sprecherin. Man setze deshalb auf einen Mix aus digitalen und physischen Kanälen: „Web-Angebote, App, Einrichtungshäuser und innerstädtische Formate ergänzen sich. Die zentral gelegenen und gut erreichbaren Ikea-Planungsstudios sind dabei ein entscheidender Baustein.“ Unter anderem will das Unternehmen damit Kundentreffpunkte aufbauen, Stadtgebiete beleben und näher an die Kunden heranrücken.

Das möchte auch Decathlon. „Die Herausforderungen in den Innenstädten sind bekannt“, heißt es beim Sportartikelhersteller. Doch man sehe hier auch klare Chancen: „Leerstände ermöglichen es uns, zentrale Lagen neu zu nutzen, und wir setzen auf Standorte, die bereits Zeichen einer Frequenz-Erholung zeigen“, so eine Sprecherin. Mehr als 60 neue Filialen will das französische Unternehmen bis Ende 2027 in Deutschland eröffnen, viele in Fußgängerzonen. Im Moment verfügt der Sportartikler über 86 Standorte, aber nicht in Toplagen. Das soll sich mit kleineren Innenstadtläden ändern. Dort brauche man keine zusätzlichen Parkplätze und keine großen Flächen.

Ganz nah dran am Kunden

Aldi Nord hat den Reiz der Innenstädte ebenfalls entdeckt. Insbesondere die Metropol-Regionen haben es dem Händler angetan – wenn das „Konzept insgesamt stimmig und nachhaltig“ ist, wie Torsten Janke, Geschäftsführer Immobilien und Expansion sagt. „Wir machen eine sehr detaillierte Standortplanung, wenn uns Innenstadtlagen angeboten werden. Bei denen, die attraktiv sind, schlagen wir zu.“ Vor allem an Erdgeschosslagen sei man interessiert. Das lohne sich auch für die Städte: „Der Lebensmittelhandel ist auf jeden Fall ein Frequenzmotor für die Innenstadt.“

„Innenstädte bieten uns immer wieder attraktive Möglichkeiten, näher an den Kunden zu kommen“, sagt der Manager. Wie zum Beispiel in der Essener Innenstadt, direkt am Anfang der Fußgängerzone. Hier zog Aldi vor Kurzem ins frühere Galeria-Haus ein. Nicht nur die zentrale Lage des Königshofs, die Nähe zum Hauptbahnhof und die U-Bahn direkt vor der Tür überzeugten den Discounter.

„Wichtig war für uns auch die Möglichkeit, sonntags zu öffnen“, so Janke. Dafür nahm das Unternehmen fast vier Jahre Vorlauf in Kauf. Ähnlich war es in Recklinghausen, wo Aldi am Altstadtmarkt ebenfalls in einem ehemaligen Karstadt-Haus residiert. City-Filialen gibt es zudem in Leipzig und Dresden. Als Abkehr vom Stand-alone-Markt will Aldi das Interesse an der Innenstadt aber keinesfalls verstanden wissen. Dieser sei immer noch Kerngeschäft.

Spezialisten für die City

Ähnlich sieht es Lidl: „Die meistgebaute Filiale bleibt die eingeschossige Standardfiliale mit einem vorgelagerten Parkplatz.“ Zwar betreibt der Discounter auch kompakte Innenstadtfilialen, hat die Ausflüge in kleinere Formate aber wohl weitgehend beendet, weil sie sich für ihn nicht rechnen.

Ganz anders die Rewe-Tochter Penny. Der Discounter verfügt über die meisten Innenstadtlagen, die Kleinflächen galten aus Kundensicht aber lange als nicht besonders attraktiv. Das soll sich jetzt mit einem neuen Konzept für kleine Flächen ändern. Zu besichtigen ist es unter anderem in der Kölner Innenstadt.

Einen speziellen Ansatz verfolgt Globus mit seinem Convenience-Format in Mainz, Worms, Koblenz und Höhr-Grenzhausen. „In Innenstädten sind immer weniger Metzgereien zu finden. Mit unseren Metzgergrills, die wir seit 2019 sukzessive eröffnet haben, rücken wir ganz nah an die Menschen heran“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Matthias Bruch. Das Angebot werde gut angenommen, „so dass wir stetig prüfen, ob neue Standorte für uns infrage kommen.“

Doch auch, wenn es einzelne Händler in die Innenstadt zieht – die City werden sie allein nicht retten. Zu groß ist der Strukturwandel des Einkaufens. „Im Prinzip sehen wir eine Polarisierung“, sagt Lars Jähnichen, Geschäftsführer und Stadt-Immobilien-Experte bei den Beratern von BBE/IPH. Danach verzeichnen die sieben bis zehn Top-Adressen wie Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Berlin oder Stuttgart Zuwächse, während Kaufkraft aus dem ländlichen Raum und mittelgroßen Städten abwandere.

„Retailer werden die City dort nicht mehr bespielen, sondern auf die Konsumverlagerung ins Netz setzen“, sagt BBE-Handelsexperte Johannes Berentzen. Gleichzeitig verkleinerten sich die A-Lagen in den Metropolen: Einkaufsstraßen würden kürzer, Handel gäbe es nur noch auf zwei Etagen. Vermieter müssten auch in Toplagen den Gürtel künftig enger schnallen. „In den Innenstädten müssen Immobilienbesitzer bis zu zweistellige Millionenbeträge in die Ertüchtigung ihrer Gebäude investieren und werden am Ende trotzdem weniger Miete erzielen als bisher“, beschreibt er das Szenario.

„Der wesentliche Umsatz ist nicht mehr länger stationär gebunden.“

Joseph Frechen, Bulwiengesa

Das grundlegende Problem: „Deutschland hat zu viel Handelsfläche“, sagt Christoph Scharf, Geschäftsführer bei BNP Paribas Real Estate. Die Städte könnten nur gewinnen, wenn alle Parteien an einem Strang zögen, sagt er und zählt auf, was dafür nötig ist: Städte machen den öffentlichen Raum attraktiv, Vermieter integrieren neue Konzepte wie die Kletterhalle auf der Kölner Schildergasse und Mieter schaffen erlebnisreiche Handelsflächen wie das neue Lighthouse-Format von Media-Markt Saturn in Hamburg mit einem eigenen Gaming-Bereich.

„Der wesentliche Umsatz ist nicht mehr länger stationär gebunden“, sagt auch Joseph Frechen vom Immobilienberater Bulwiengesa. „Durch Click & Collect brauchen Händler wie zum Beispiel Douglas nicht mehr zwei oder drei Filialen in einer Innenstadt, sondern nur noch eine. Den Rest können sie online abwickeln“, so Frechen.

Das bleibt nicht ohne Folgen: Das Stadtleben stirbt aus, wenn Leerstände vor allem im Erdgeschoss wie Zahnglücken klaffen. „Wir sehen Innenstädte grundsätzlich aus der Froschperspektive“, erläutert der City-Experte. Verschwinden die Handelsfilialen aus dem Erdgeschoss, „bleibt die Stadt ab halb sechs dunkel.“ Dann mieden Menschen die Innenstädte. „Wir stehen in einem schmerzhaften Übergangsprozess“, konstatiert Frechen und fordert: „Man muss den öffentlichen Raum anders denken.“

Der Mix macht’s

Ähnlich sieht es Stadtexpertin Eva Stüber vom Kölner Handelsforschungsinstitut IFH. „Innenstädte müssen multifunktional werden“, fordert sie. Dazu gehörten Secondhand-Läden, Reparatur-Shops, Wohneinheiten und Händler, die Mehrwert in Form von Service und Beratung böten, zum Beispiel Fotokurse oder Lauftreffs. Gleichzeitig müssten auch die Städte aktiv werden. „Innenstädte und Handel müssen sich zeitgleich neu erfinden.“

Erste Kommunen machen sich auf den Weg, ihren Innenstädten neues Leben einzuhauchen. Zentraler Punkt: stillgelegte Warenhäuser. Bei ihrem Zusammenschluss verfügten Kaufhof und Karstadt insgesamt über 173 Filialen, inzwischen sind es nur noch 83. Der Rest wurde geschlossen.

Für Hanaus Oberbürgermeister stand fest: Seine Stadt soll trotzdem lebendig bleiben. Knapp ein Jahr ist vergangen, seit Galeria dort die Pforten schloss. Inzwischen gehört das Gebäude der Stadt, seit Sommer steht das Nutzungskonzept des „Stadthofs“. „Das Haus steht im Herzen der Stadt am Marktplatz. Eine Brache in dieser Lage galt es mit allen Kräften zu vermeiden, um eine Negativspirale im gesamten Quartier mit Auswirkungen auf die weitere Innenstadt zu vermeiden“, sagt Martin Bieberle, Fachbereichsleiter Planen, Bauen und Umwelt.

Insgesamt 40 Millionen Euro soll das Projekt in den nächsten zehn Jahren kosten. Kredite für den Kauf will die Stadt tilgen, die Zinsen und die Betriebskosten soll der Stadthof über die Mieten einspielen. Zudem schießt die Stadt jährlich 2,5 Millionen Euro zu. Das müsse der Steuerzahler aufbringen, um so ein Stadtzentrum zu bekommen, heißt es bei der Stadt. Man spüre einen „sehr großen Rückhalt in der Bevölkerung“.

Auch Neuss will eine Mischnutzung für das ehemalige Kaufhof-Gebäude. „Da es keine Nachnutzer gibt, die mehr als 18.000 Quadratmeter benötigen und die Zeit der großen Verkaufsflächen vorbei zu sein scheint, ist die Mischnutzung die logische Konsequenz“, so ein Sprecher. Die Immobilie solle zu einem multifunktionalen Zentrum werden. „Das Konzept ist tragfähiger, falls es künftig zu Nutzerwechseln kommt.“ Wie teuer dies die Stadt und den Steuerzahler letztlich kommt, ist derzeit noch unklar. Interesse, dort einzuziehen, hat bislang nur die örtliche Industrie- und Handelskammer bekundet.

Hanau und Neuss sind keine Einzelfälle. Kein Wunder: „Kaufhäuser sind der Kristallisationspunkt der City“, sagt Jähnichen, vom Immobilienspezialisten IPH. Leerstand schade dem Standort immer. Oft vergingen dennoch viele Jahre, bis die Nachnutzung in Gang käme, ermittelte Jähnichen in einer aktuellen Studie zusammen mit seinem Kollegen, dem Handelsexperten Berentzen von BBE. Danach vergehen bis zur Umnutzung eines aufgegebenen Warenhauses im Durchschnitt fünf Jahre. Im Extremfall seien es aber auch mal 18.

Markt oder Staat

Nicht immer ist es eine Frage des Konzepts, immer öfter aber eine der Finanzierung. Der Städte- und Gemeindebund sieht Bund und Länder in der Pflicht: „Da die Kommunen die anstehenden Transformationsaufgaben nicht allein bewältigen können, müssen Bund und Länder ihre Innenstadtförderung weiter ausbauen“, sagt Fachreferent Düsterdiek. Zum einen müsse der Bund die 790 Millionen Euro schwere Städtebauförderung aufstocken, zum anderen sollte er Kommunen durch einen Innenstadtfonds unterstützen, für einen Zwischenerwerb oder die Zwischenmiete von leerstehenden Handelsimmobilien.

Innenstadt-Experten setzen auf marktwirschaftliche Lösungen wie zum Beispiel „Business Improvement Districts“ (BID). „In Hamburg hat das schon 2005 am Neuen Wall super funktioniert“, sagt Ute Marks vom Handelsimmobilienspezialisten Stadt + Handel. Immobilienbesitzer und Händler zahlen dabei meist fünf Jahre eine Art Zwangsabgabe. Damit werden Marketingmaßnahmen, neue Straßenlaternen, Pflastersteine und andere Verschönerungsmaßnahmen für das Gebiet bezahlt. Am Ende profitieren alle. Dennoch gibt es wenig Nachahmer. Das Problem: Wenn 25 Prozent der Betroffenen dagegen sind, gibt es kein BID. „Wenn die Länder dieses Quorum auf 10 oder 15 Prozent heruntersetzen würden, wäre viel gewonnen“, sagt Marks.

Eine Garantie auf Wiederbelegung gebe es aber nicht, warnt sie. Selbst wenn die Verantwortlichen alles richtig machten: „Es wird Innenstädte geben, die es nicht packen werden.“

Dieser Text erschien zuerst auf www.lebensmittelzeitung.net.