Thüringen: Was passiert nebst dieser ersten Sitzung des Thüringer Landtags?

Am Donnerstag tritt der neu gewählte Thüringer Landtag
erstmals zusammen. In der konstituierenden Sitzung wählen die Parlamentarierinnen
und Parlamentarier das Präsidium des Landtags, besetzen den Ältestenrat und einige
Ausschüsse. Erwartet wird eine
komplizierte Sitzung – denn der Sitzungsleiter, der sogenannte Alterspräsident, ist AfD-Mitglied, und die rechtlichen
Regeln für die Wahlen sind teils schwammig formuliert. Darum wollen CDU und BSW
direkt zu Beginn der Sitzung die Geschäftsordnung anpassen lassen.

Was passiert bei der konstituierenden Sitzung des Landtags?

Das Thüringer Landesparlament wird sich am Donnerstag zum
ersten Mal in seiner neuen Zusammensetzung treffen. Bei der Landtagswahl am 1.
September war die rechtsradikale AfD stärkste Kraft geworden, gefolgt von der CDU, dem BSW,
der Linken und der SPD. Damit der Landtag arbeitsfähig ist, muss er sich am
Anfang der Legislaturperiode konstituieren. Zunächst eröffnet der älteste Abgeordnete
die Sitzung, er kommt aus der AfD-Fraktion. Der Alterspräsident ernennt vorläufige Schriftführer und stellt die Beschlussfähigkeit
fest.

Dann wählen die Abgeordneten den Präsidenten oder die Präsidentin
des Landtags, die Vizepräsidentinnen und -präsidenten und den Ältestenrat. Außerdem
werden bereits erste Ausschüsse gebildet – etwa der Wahlprüfungsausschuss und
der Petitionsausschuss.

Zwar gibt es eine Tagesordnung. Der genaue Verlauf der
Sitzung ist jedoch trotzdem unsicher: Weil nicht klar ist, wie der
Alterspräsident von der AfD und die AfD-Fraktion mit einigen der rechtlichen Unklarheiten in der Geschäftsordnung
umgehen werden, ist auch denkbar, dass die Sitzung zwischenzeitlich unterbrochen
werden muss. Eventuell wird sogar das Thüringer Landesverfassungsgericht
hinzugezogen, um aufkommende Rechtsfragen in einer Eilentscheidung zu klären. 

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Welche Rolle hat der Alterspräsident?

Der Alterspräsident eröffnet die Sitzung und leitet die Wahl
des Landtagspräsidiums. In Thüringen – anders als seit einigen Jahren im
Bundestag – ist derjenige Alterspräsident, der oder die das an Lebensjahren
älteste Mitglied des Parlaments ist. In Thüringen ist das dieses Mal der 73-jährige
Jürgen Treutler aus der AfD-Fraktion. Er leitet die Sitzung, bis ein Parlamentspräsident gewählt ist. Die anderen Fraktionen befürchten, dass Treutler sein Amt als Alterspräsident
nutzen könnte, um die seit jeher eingeübten Verfahren zur Konstituierung des
Landesparlaments zu sabotieren.

Dass er das überhaupt könnte, liegt am Thüringer Parlamentsrecht.
Die Geschäftsordnung des Thüringer Landtags ist an einigen Stellen unklar
formuliert. Deshalb sorgen sich Juristinnen und Juristen, und neuerdings auch
die CDU und das BSW, dass Treutler und die AfD diese Unklarheiten nutzen könnten,
um Chaos zu stiften, die Sitzung in die Länge zu ziehen und einen geregelten
Ablauf zu verhindern. 

Ob es so kommen wird, ist unklar. Treutler hatte angekündigt,
sich im Vorfeld der Sitzung mit der Landtagsverwaltung zu beraten.
Das bedeutet natürlich nicht automatisch, dass er die rechtlichen Hinweise der Landtagsjuristen auch beachten wird. „Lassen Sie sich überraschen“, sagte Treutler zuletzt auf die Frage, wie er agieren will.

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Wie wird der Landtagspräsident oder die -präsidentin bislang gewählt?

Bislang hat die stärkste Fraktion zunächst das Vorschlagsrecht für das Amt.
Es war parlamentarischer Brauch, dass die stärkste Fraktion auch den Landtagspräsidenten
stellt, die anderen Parteien haben die vorgeschlagene Person also in der Regel gewählt. Rechtlich verbindlich ist dieser Brauch aber nicht. 

Die anderen Fraktionen wollen nun verhindern, dass das wichtige Amt in die Hände der vom Thüringer Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch
eingestuften AfD fällt, die bei der Landtagswahl stärkste Kraft wurde. Wird die von ihr aufgestellte Kandidatin Wiebke Muhsal in der Folge nicht gewählt, können
die anderen Fraktionen laut der Geschäftsordnung des Landtags eigene Kandidaten
vorschlagen. 

Das setzt jedoch voraus, dass Alterspräsident Treutler Kandidierende der
anderen Fraktionen zur Abstimmung stellt, wenn die AfD-Kandidatin durchgefallen
ist. Dass er das tut, ist nicht sicher. Er könnte theoretisch die unpräzise
Geschäftsordnung nutzen und erst einmal nur weitere Vorschläge der AfD zulassen.
Der Extremfall wäre, dass Treutler der Reihe nach über sämtliche AfD-Abgeordneten
abstimmen lässt, bevor über die erste Kandidatin einer anderen Partei
abgestimmt würde.

Das wäre ein klassisches Beispiel autoritären
Systemmissbrauchs. Juristen nennen dieses Phänomen „Obstruktion“ und meinen
damit, dass Parteien wie die AfD eingeübte demokratische Verfahren instrumentalisieren,
um eine vermeintliche Ineffizienz der Demokratie vorführen zu können.

Die Landtagsverwaltung hat ihre
Rechtsauffassung bereits formuliert
: Ein exklusives Vorschlagsrecht für die
stärkste Fraktion, „das im Extremfall zur Folge hätte, dass sämtliche
Fraktionsmitglieder zur Wahl gestellt werden müssten“, sei den entsprechenden Gesetzen
nicht zu entnehmen.  

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Welche Änderungen schlagen CDU und BSW vor?

Die Thüringer CDU und das Thüringer BSW wollen die Geschäftsordnung
ändern – und zwar noch vor der Wahl des Landtagspräsidenten. Dafür ließen sie einen
neuen Tagesordnungspunkt auf die Agenda der konstituierenden Sitzung setzen: Änderung
der Geschäftsordnung. 

Läuft die Sitzung so ab, wie die Tagesordnung es im Moment vorsieht, würde über den Antrag abgestimmt und, wenn ihm zugestimmt wird, die darauffolgende Wahl des Landtagspräsidiums schon nach den neuen Regeln durchgeführt. Der Antrag von CDU und BSW enthält Formulierungsanpassungen. Die entscheidenden sind diese:

Wahl des Landtagspräsidenten:

Die Wahl der Präsidentin oder des Präsidenten wollen die
beiden Fraktionen im Landtag „aus seiner Mitte“ durchführen. Diese Formulierung
enthält die Geschäftsordnung bisher nicht. Sie ist eine juristische
Umschreibung für das erklärte Ziel, dass von vornherein alle Fraktionen eine
Person für das Amt vorschlagen können, und deckt sich mit der entsprechenden
Regelung in der Thüringer Landesverfassung. Enthält im ersten Wahlgang keine
der vorgeschlagenen Kandidierenden eine Mehrheit, soll eine Stichwahl
stattfinden.

Wahl des Vizepräsidenten:

Für die Wahl der Vizepräsidenten schlagen die Parteien
ebenfalls eine Formulierungsänderung vor. Bisher sieht die Geschäftsordnung ein
Vorschlags- und Wahlverfahren vor, an dessen Ende „jede Fraktion im Vorstand
des Landtags mit einem Mitglied vertreten ist.“

Der Änderungsvorschlag von CDU und BSW gewährt weiterhin allen
Fraktionen ein Vorschlagsrecht, formuliert aber das abgeschwächte Ziel, dass „jede
Fraktion im Vorstand des Landtags mit einem Mitglied vertreten sein soll.“ Aus
einem Ist-Zustand wird ein Soll-Zustand. Die Idee dahinter könnte sein, der AfD
ein sprachliches Argument zu entziehen, falls sie keine Mehrheit für ihren Vizepräsidenten-Kandidaten
erhält und sich darüber beschwert.

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Wie ist die Rechtslage?

Die AfD hat sich zu dem Antrag von CDU und BSW geäußert. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer Torben Braga sagte dem MDR, die Abstimmung über die Geschäftsordnungsänderung zeitlich vor der Wahl des Landtagspräsidiums halte er für nicht zulässig. „Die Rechtsauffassung, die meine Fraktion vertritt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch vom Alterspräsidenten vertreten“, sagte er demnach weiter.

Einzelne Verfassungsrechtler haben dem jedoch bereits widersprochen. Die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments gebe dem Plenum das Recht, zum Zeitpunkt seines ersten Zusammentreffens über seine eigenen Verfahrensregeln zu bestimmen.

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Wer kandidiert für das Amt des Landtagspräsidenten?

Die AfD als größte künftige Landtagsfraktion beansprucht das
Amt des Landtagspräsidenten für sich und hat bereits die Abgeordnete
Wiebke Muhsal nominiert.
Muhsal wurde im Jahr 2018 wegen Betrugs verurteilt.
Sie hatte den Arbeitsvertrag einer Mitarbeiterin um zwei Monate vordatiert, um
zusätzliches Geld aus dem Haushalt des Landtags zu erhalten
. Alle anderen
im Landtag vertretenen Parteien haben ausgeschlossen, jemanden von der AfD zu
wählen.

Die CDU hat angekündigt, den Eichsfelder Abgeordneten Thadäus König aufzustellen. Er hatte 2019 sein Direktmandat gegen Björn Höcke gewonnen und 2024 das beste Erststimmenergebnis der Thüringer CDU erreicht.

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