Journalismus und Demokratie: Es wird Zeit, dass Journalisten zuhören
ZEIT ONLINE unterstützt den diesjährigen World News Day, organisiert von der World News Association (WAN-IFRA), einem globalen Netzwerk von 3.000 Medienorganisationen. Aus diesem Anlass haben wir Rasmus Kleis Nielsen gebeten, über die aktuellen Gefahren für den Journalismus zu schreiben. Rasmus Kleis Nielsen ist Direktor des Reuters Institute for the Study of Journalism an der Universität Oxford und wechselt im Oktober als Professor für Kommunikationswissenschaften an die Universität Kopenhagen. Lesen Sie hier die englische Version seines Textes.
Heute ist World News Day. Der weltweite Aktionstag soll der Öffentlichkeit ins Bewusstsein rufen, dass Journalisten eine wichtige Aufgabe für die Menschen und für die Demokratie wahrnehmen, indem sie seriöse Nachrichten und Informationen liefern.
Dieser Tag ist ein guter Anlass, um deutlich zu machen: Am stärksten gefährdet wird die Erfüllung dieser Aufgabe von politischer Seite, und am besten vor dieser Gefährdung geschützt werden kann der unabhängige Journalismus dadurch, dass die Öffentlichkeit ihn unterstützt. Die Öffentlichkeit ist die letzte Verteidigungslinie.
Unbequeme Journalisten in aller Welt sind direkten Angriffen von prominenten Politikern ausgesetzt. Sie werden bedroht oder verklagt oder haben noch Schlimmeres zu befürchten. Politiker setzen Plattformbetreiber unter Druck, damit sie Inhalte von unbequemen Journalisten löschen. Wenn es ihren Zwecken dient, machen sie einzelne Reporter schlecht und diffamieren sie. Oft greifen sie dabei Frauen und Angehörige von Minderheiten heraus. Sie reden ihren Unterstützern das Vertrauen in die Nachrichten aus und stacheln sie zu Angriffen auf Journalisten an.
So deprimierend das ist – überraschen sollte es uns nicht.
Im besten Fall verfolgt ein unabhängiger Journalismus das Ziel, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. Das war denjenigen, die Machtpositionen innehaben, noch nie genehm. Unabhängige Journalisten und die Mächtigen sind von Haus aus keine Freunde, sollen es wohl auch gar nicht sein. Wenn Journalisten sich den Mächtigen anbiedern, werden die Ergebnisse, die sie liefern, von ihren Kollegen – häufig zu Recht – als weichgespülte Hofberichterstattung kritisiert. Wenn in der Vergangenheit Journalisten von Politikern mitunter umgarnt wurden, geschah das nicht aus Nettigkeit, sondern deshalb, weil diese Politiker mithilfe der Journalisten ein breites Publikum erreichen wollten. In dem Maße, in dem die Reichweite der Nachrichtenmedien schrumpft, immer weniger Menschen Vertrauen zu ihnen haben und es für Wahlkampfbotschaften immer mehr digitale Kommunikationskanäle und andere Vermittlungsmöglichkeiten gibt, sind Politiker und andere Mächtige nicht mehr so stark wie früher auf die Nachrichtenmedien angewiesen und hören deshalb auf, sie zu umwerben.
Im schlimmsten Fall, der in allen Teilen der Welt häufig vorkommt, ist die Bedrohung des Journalismus von politischer Seite Teil eines umfassenden, systematischen und ausdauernden Bestrebens, die formellen und informellen Institutionen der Demokratie zu schwächen, zu untergraben oder ganz zu demontieren. Wir erleben derzeit eine demokratische Rezession. Meine Oxforder Kollegin Nancy Bermeo hat aufgezeigt, dass die treibende Kraft hinter dieser demokratischen Rezession in vielen Fällen das ist, was die Politikwissenschaft „exekutive Selbstermächtigung“ (executive aggrandizement) nennt: Regierungen, die auf mehr oder weniger demokratischem Weg an die Macht gelangt sind, machen sich an die Aushöhlung jeder relevanten Form von Rechenschaftspflicht und nehmen sich dabei zuerst den Staatsapparat, die Aufsichtsbehörden, Gerichte und Nachrichtenmedien vor. Um die Fassade zu wahren und sich als demokratisch legitimiert darzustellen, lassen sie weiterhin Wahlen veranstalten.
Doch selbst in Ländern mit nach wie vor starken formellen und informellen demokratischen Institutionen betonen führende Politiker zwar gerne in ihren Reden, wie wichtig freie Medien seien. Nur achtet man einmal auf das, was sie tun, und nicht nur auf das, was Politiker sagen, dann bekommt man den Eindruck, dass der unabhängige Journalismus nur wenig substanzielle Unterstützung von politischer Seite erfährt.
Im eigenen Land geben prominente Politiker in liberalen Demokratien Reportern weniger Interviews (und lassen sich verstärkt von Podcastern und Influencern befragen). Sie lassen bei Pressekonferenzen und anderen inszenierten Veranstaltungen, wenn überhaupt, nur wenige Fragen zu und lassen ihre Öffentlichkeitsarbeit von Untergebenen erledigen. Sie machen sich mit Begeisterung die sozialen Medien und die digitale Werbung zu eigen und entdecken sie als Möglichkeit, sich an den redaktionellen Gatekeepern vorbeizudrücken. Und in vielen Ländern, in denen es öffentlich-rechtliche Medien gibt und private Verlage vom Staat unterstützt werden, haben in den vergangenen Jahren die Politiker ihre finanzielle Unterstützung zurückgefahren.
Nach außen hin kritisieren europäische und US-amerikanische Politiker geopolitische Rivalen wie China und Russland dafür, dass sie die Medien unterdrücken, aber wenn ihre eigenen politischen Verbündeten aggressiv versuchen, die Medien zu kontrollieren und unabhängige Journalisten mundtot zu machen, gehen sie damit oft höchst pragmatisch um. Sie machen Geschäfte mit autokratischen Staats- und Regierungschefs von EU- und Nato-Staaten, schmeicheln sich bei den despotischen Herrschern der Öl- und Gasstaaten am Golf ein und bringen sich bei den angehenden starken Männern in Stellung, die in aufstrebenden Mächten ans Ruder kommen.
ZEIT ONLINE unterstützt den diesjährigen World News Day, organisiert von der World News Association (WAN-IFRA), einem globalen Netzwerk von 3.000 Medienorganisationen. Aus diesem Anlass haben wir Rasmus Kleis Nielsen gebeten, über die aktuellen Gefahren für den Journalismus zu schreiben. Rasmus Kleis Nielsen ist Direktor des Reuters Institute for the Study of Journalism an der Universität Oxford und wechselt im Oktober als Professor für Kommunikationswissenschaften an die Universität Kopenhagen. Lesen Sie hier die englische Version seines Textes.