Regierung vor Sturz: Wie es um Frankreichs Wirtschaft bestellt ist

Der wahrscheinliche Sturz der französischen Regierung an diesem Mittwoch birgt schwer kalkulierbare Folgen für Frankreichs Wirtschafts- und Finanzpolitik. „Wollen wir wirklich das Chaos? Wollen wir eine Wirtschaftskrise, die die Schwächsten trifft?“, fragte Innenminister Bruno Retailleau rhetorisch im Frühstücksfernsehen von TF1.

Finanz- und Wirtschafts­minister Antoine Armand hielt dem Linksblock und den Rechtspopulisten um Marine Le Pen vor, mit ihren Miss­trauensanträgen das ganze Land in Gefahr zu bringen. Schon vorige Woche hatte Premier Michel Barnier vor einem „schweren Sturm und schweren Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten“ gewarnt, sollte seine Regierung über den Sparhaushalt stürzen und die Neuverschuldung von derzeit rund sechs Prozent weiter steigen.

Noch stürmt es nicht. Dennoch wachsen die Zweifel an Frankreichs Kreditwürdigkeit, ausgedrückt in steigenden Ri­­sikoaufschlägen auf französische Staatsanleihen im Vergleich zu den als sehr sicher geltenden deutschen Papieren. Für Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit pendelte dieser „Spread“ am Dienstag zwischen 84 bis 87 Basispunkten.

Das ist rund doppelt so viel wie vor der Par­lamentsauflösung im Juni. Ein solches Niveau wurde zuletzt im Eurokrisenjahr 2012 erreicht. Von damaligen Spitzenwerten von mehr als 180 Basispunkten ist man zwar noch weit entfernt. Dafür stimmt bedenklich, dass Griechenland, das Sorgenkind der Eurokrise, Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit inzwischen zum gleichen Preis wie Frankreich emittieren kann (2,9 Prozent), obwohl die Ratingagenturen seine Kreditwürdigkeit viel schlechter beurteilen. Portugal muss gar nur 2,5 Prozent zahlen.

Es gäbe Gewinner und Verlierer

„Die Situation in Frankreich steht im Gegensatz zu den Peripherieländern wie Spanien, Griechenland und Portugal“, sagt Aline Goupil-Raguénès, Volkswirtin beim Vermögensverwalter Ostrum Asset Management. Diese hätten ihre öffentlichen Finanzen deutlich verbessert, da sie insbesondere von einem starken Wachstum profitierten und Strukturreformen durchführten. Selbst Italien schneide im Vergleich zu Frankreich gut ab.

„Wenn diese Woche oder später ein Misstrauensantrag angenommen wird, dürfte der französische Spread auf 100 Basispunkte steigen, und französische Aktien würden sich noch schlechter entwickeln als der Rest des Euroraums“, erwartet Goupil-Raguénès; schon seit Juni hat der Aktienleitindex CAC 40 mehr als neun Prozent verloren, während der Dax mehr als sieben Prozent gewann.

Einen Haushalt für 2025 kann es auch beim Sturz der Barnier-Regierung geben, indem das Parlament ein Sondergesetz verabschiedet. Mit diesem ließe sich der laufende Haushalt mit Einnahmen und Ausgaben einfach fortschreiben. Es gäbe Gewinner und Verlierer. Profitieren würden Rentner, deren Bezüge zum 1. Januar vollständig mit der Inflation stiegen, was die Regierung gegen Le Pens Widerstand verschieben wollte.

Großkonzerne blieben von einer eigentlich geplanten Sondersteuer, Besserverdiener von einer geplanten Mindeststeuer verschont. Bei unveränderter Einkommensteuertabelle stiege jedoch die Abgabenlast für viele Franzosen. Haushaltsminister Laurent Saint-Martin sprach von 17 Millionen Haushalten, die dann mehr zahlten. Politisch brisant wäre, wenn die Mittelzuweisung an die Ministerien eingefroren würde. Würde etwa der Militärhaushalt nicht wie geplant aufgestockt, fehlte Geld für einige Rüstungsprogramme.

„Die Märkte sind nervös“

Viel deutet darauf hin, dass der Sturz der Regierung Frankreichs Wirtschaft schwächt. Sie steht konjunkturell im Vergleich zur deutschen besser da. In diesem Jahr dürfte sie um rund ein Prozent wachsen, auch wenn das schwache Chinageschäft Schlüsselbranchen wie die Luxus- und Kosmetikgüterindustrie bremst. Doch schon seit der Parlamentsauflösung signalisieren Stimmungsindikatoren eine wachsende Verunsicherung. Die einst wohlwollenden Urteile von Wirtschaftslenkern über Präsident Emmanuel Macron und seine Reformpolitik sind verflogen.

Im Oktober analysierten die Ökonomen des Forschungsinstituts OFCE, dass die politische In­stabilität Frankreichs Wirtschaft in diesem Jahr 0,1 und im kommenden Jahr 0,2 Prozentpunkte an Wachstum kosten dürfte. Insgesamt wären im kommenden Jahr dann nur noch 0,8 Prozent zu erwarten. Die Arbeitslosenquote war im dritten Quartal wieder leicht gestiegen auf 7,4 Prozent, 0,1 Punkte mehr als im Vorquartal. Hoch und politisch heikel bleibt in Frankreich die Arbeitslosenquote der 15- bis 24-Jährigen. Sie hatte im dritten Quartal um 1,8 Punkte auf 19,7 Prozent zugelegt.

„Die Märkte sind nervös, und die Zurückhaltung der Investoren wird weiter steigen, Frankreich damit wirtschaftlich weiter schwächen“, zeigt sich der an der Pariser Wirtschaftshochschule HEC lehrende Ökonom Armin Steinbach überzeugt. „Damit sind bald zwei kranke Männer in der Mitte Europas“, sagt er mit Blick auf Deutschland. Was die Staatsverschuldung angeht, steht für Steinbach fest: Die Einhaltung der EU-Fiskalregeln ist dahin. „Frankreich wird die europäischen Vorgaben klar verfehlen, das neue EU-Regelwerk damit schon im Jahr eins erheblich geschwächt werden“, sagt er.