Neuerscheinungen 2025: Große Wohnungen, kleine Gefühle


Neuerscheinungen 2025: Moderieren im Wechsel mit Alexander Cammann und Nora Bossong den Bücherpodcast: Adam Soboczynski (links) und Iris Radisch (rechts)

Moderieren im Wechsel mit Alexander Cammann und Nora Bossong den Bücherpodcast: Adam Soboczynski (links) und Iris Radisch (rechts)

In der neuen Folge unseres Buch-Podcasts Was liest du gerade? sprechen Iris Radisch und Adam Soboczynski über aktuelle Neuerscheinungen des neuen Jahres. Julia Schoch hat ihre autofiktionale Trilogie Biographie einer Frau abgeschlossen, in der sie dem Wandel der Liebe in verschiedenen Lebensabschnitten nachgeht. Trifft es zu, dass wir im Lauf unseres Lebens immer größere Wohnungen, aber immer kleinere Gefühle haben? Heute geht es um den letzten Band Wild nach einem wilden Traum, in dem die Autorin von einer lange zurückliegenden love affair mit einem katalanischen Schriftsteller erzählt. Die Liebe, bekennt sie, steht in ihrem Leben immer für etwas Früheres, Älteres, das verloren gegangen ist. Ist sie am Ende vielleicht vor allem Einbildung, also Literatur?

In dem großen Roman Sehr geehrte Frau Ministerin von Ursula Krechel ist die Liebe von Einsamkeit und hellsichtiger Desillusion abgelöst worden. Hier werden vier Frauenleben erzählt und kunstvoll miteinander verlinkt: das Leben einer älteren Fachverkäuferin für Reformhausartikel mit ihrem erwachsenen Sohn, das einer Lateinlehrerin mit ihrem Faible für Agrippina, der Mutter des römischen Imperators Nero, und das einer Justizministerin, die beinahe das Schicksal von Agrippina erleidet. Ursula Krechel erzählt von rätselhaften Mutter-Sohn-Beziehungen, von Alter, Krankheit und Gewalt gegen Frauen. „Die Frau“, heißt es lakonisch, „ist lästig in der Geschichte, sie muss verschwinden. Am besten, sie räumt sich selber aus dem Weg, sodass kein Schatten von ihr auf die Geschichte fällt und die Männergeschichte unaufhaltsam ihren Lauf nimmt.“

Unser Klassiker ist die kleine Rede Lübeck als geistige Lebensform aus dem Jahr 1926, in der Thomas Mann, der vor 150 Jahren geboren wurde, sich zu seinen Wurzeln bekannt hat. Lübeck hat dem Jubilar beim Schreiben stets als Kompass gedient. Vom Lübecker Bürger ist er zum Weltbürger geworden, der mit norddeutscher Nüchternheit und Humor zu einem europäischen Humanismus fand. 

Unser Zitat des Monats stammt dieses Mal aus dem neuen Roman Wackelkontakt von Wolf Haas.

Das Team von Was liest du gerade? erreichen Sie unter buecher@zeit.de.  

Literaturangaben:

Julia Schoch: Wild nach einem wilden Traum, dtv, 176 Seiten, 23 Euro

Ursula Krechel: Sehr geehrte Frau Ministerin, Klett-Cotta, 368 Seiten, 26 Euro

Thomas Mann: Lübeck als geistige Lebensform, erschienen in Essays III, 1926 bis 1933 als Teil der Gesamtausgabe im S. Fischer Verlag

Wolf Haas: Wackelkontakt, Hanser, 240 Seiten, 25 Euro