Klingbeil: „Heute sehr entscheidender Tag zu Gunsten von die Ampel“
Nach wochenlangem Streit um den Haushalt und die Wirtschaftspolitik wollen die Spitzen von SPD, Grünen und FDP heute klären, ob es noch eine Grundlage für die weitere Zusammenarbeit gibt. In einer Sitzung des Koalitionsausschusses geht es am Abend darum, wie das Milliardenloch im Haushalt 2025 gestopft und die schwer angeschlagene deutsche Wirtschaft wieder auf Trab gebracht werden kann.
Vor den Beratungen kommen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grünen) zu zwei Vorbereitungsrunden zusammen, unterbrochen von einer Kabinettssitzung. Sie hatten sich schon am Montag und Dienstag getroffen und wollen versuchen, eine gemeinsame Vorlage für den Koalitionsausschuss zustande zu bringen. Sollten sie das schaffen, dürfte die große Runde mit allen Partei- und Fraktionschefs am Abend nur noch Formsache sein. Sollten sie sich nicht einigen, steht die Ampel vor dem Aus.
SPD-Chef Lars Klingbeil erwartet vom Koalitionsausschuss am Mittwochabend eine Entscheidung über den Fortbestand der Ampel-Koalition. „Heute wird ein sehr entscheidender Tag“, sagte Klingbeil am Mittwoch im Deutschlandfunk. Er wünsche sich, dass alle drei Koalitionspartner jetzt parteitaktische Überlegungen über Bord werfen.
Klingbeil sagte mit Blick auf den erwarteten Sieg von Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl in den USA, auf Berlin komme jetzt mehr Verantwortung zu. So müsse Deutschland auch mehr Verantwortung für die Ukraine übernehmen – mit den damit verbundenen Ausgaben. Gleichzeitig seien aber auch Ausgaben etwa für die Rentenpläne der Ampel nötig. „Es muss alles möglich sein“, forderte Klingbeil. Sollte dies mit der Ampel nicht machbar sein, müsse es nach der nächsten Bundestagswahl ermöglicht werden. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir spätestens nach der nächsten Bundestagswahl eine andere Finanzpolitik brauchen.“
Die Ausgangslage
Lindner hat schon vor einiger Zeit den „Herbst der Entscheidungen“ für die Koalition ausgerufen. Er meinte damit vor allem den Haushalt für das nächste Jahr, der am 29. November im Bundestag verabschiedet werden soll. Daneben geht es ihm um eine Strategie, wie Deutschland aus der Wirtschaftskrise geführt werden soll. Dazu hat er Vorschläge gemacht, die den Streit in der Koalition eskalieren ließen. In seinem Konzept für eine Wirtschaftswende fordert Lindner unter anderem die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener und einen Kurswechsel in der Klimapolitik.
Gegen solche Ideen gibt es erheblichen Widerstand bei SPD und Grünen. Habeck ist Lindner aber auch einen Schritt entgegengekommen. Er hat sich bereiterklärt, die nach der Verschiebung des Baus eines Intel-Werks in Magdeburg frei werdenden Fördermilliarden zum Stopfen von Haushaltslöchern zu verwenden. „Nun erwarte ich allerdings auch, dass die anderen auch im eigenen Bereich mal Vorschläge machen“, sagte er anschließend.
Nach Ansicht von Habeck fehlt mindestens die soziale Gerechtigkeit ebenso wie der Klimaschutz, sagte der Wirtschaftsminister am Dienstag bei einer Konferenz in Berlin. „Es muss eine Lösung jenseits dieser Vorschläge geben. Das wissen auch alle.“ Er habe dies Lindner in den Beratungen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) natürlich schon gesagt.
Habeck wollte sich nicht festlegen, wie lange die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP noch hält. Entscheidend sei nun, den Haushaltsentwurf für 2025 im Bundestag zu verabschieden – trotz der noch zu schließenden Lücke im Budget. „Ich halte es für lösbar. Diese Lücke ist schließbar, wenn man es denn will.“ Der Haushalt gilt als ein potenzieller Grund für einen Kollaps der Regierung. Habeck sagte, sollte die Haushaltseinigung nicht gelingen, könnte es eine sechs bis neun Monate lange Hängepartie mit Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen in Deutschland geben. Danach müsste die neue Regierung dann einen Haushalt aufstellen.
Szenario eins: Die Ampel rauft sich zusammen
Seit Montag suchen Scholz, Habeck und Lindner unterstützt von Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) und zwei Staatssekretären nach Lösungen. Sollten sie heute zu einer Einigung kommen, die dann anschließend vom Koalitionsausschuss abgesegnet wird, müsste der Haushalt 2025 noch durch den Bundestag. Am 14. November ist die entscheidende Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, bei der die letzten Details geklärt werden sollen. Zwei Wochen später stimmt das Plenum ab. Geht beides gut, hätte die Ampel die schwerste Hürde genommen und könnte weiterregieren. Weitere Differenzen würden aber bleiben, etwa um das strittige Rentenpaket oder auch die Migrationspolitik.
Szenario zwei: Die Ampel ist am Ende
Sollte es am Mittwoch oder in der Nacht zu Donnerstag nicht zu einer Einigung kommen, droht das Ampel-Aus. Eine Möglichkeit wäre, dass die FDP aus der Regierung aussteigt. Theoretisch könnten die FDP-Minister auch von einem entnervten Kanzler Scholz entlassen werden. Das gilt aber als deutlich unwahrscheinlicher.
Scholz macht bisher nicht den Anschein, als würde er die Geduld verlieren. Am Dienstag appellierte er noch einmal auf etwas umständliche Weise an die Koalitionspartner, sich zusammenzureißen. „Klar ist, es ginge“, sagte er. „Insofern ist die Frage nicht, ob man es überhaupt hinkriegen kann, sondern es ist möglich, und da müssen jetzt alle arbeiten.“
Nach einem Ampel-Aus: Minderheitsregierung oder Neuwahl
Und wie geht es weiter, wenn die Ampel platzt? Sollte die FDP aussteigen, stünden SPD und Grüne vor der Frage, ob sie ohne eine Mehrheit im Parlament regieren oder eine Neuwahl einleiten wollen. Im Fall einer Minderheitsregierung wäre Rot-Grün bei jeder Entscheidung im Bundestag auf Unterstützung aus der Opposition angewiesen. Die Union dringt aber auf eine vorgezogene Bundestagswahl und dürfte sich deshalb kaum kooperativ zeigen. Es wäre also wahrscheinlicher, dass die Rest-Regierung früher oder später über eine Vertrauensfrage von Kanzler Scholz eine Neuwahl in die Wege leitet.
Eine nicht ganz unwichtige Rolle wird bei den Verhandlungen am Mittwoch spielen, wie die Wahlen in den USA ausgehen. Sollte Donald Trump zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt werden, würde das weltweit für Unsicherheit sorgen und könnte die Einigungsbereitschaft in der Koalition erhöhen. Denn ein Neuwahl-Szenario mit einem möglichen Wahltermin Anfang nächsten Jahres würde bedeuten, dass Deutschland in den ersten Monaten einer Regierung Trump erst in der heißen Wahlkampfphase und dann in Koalitionsverhandlungen stecken würde und nur bedingt handlungsfähig wäre.