Islamistische Sittenwächter an Schulen – und die Politik schaut weg

Am 28. Februar beginnt der islamische Fastenmonat Ramadan. An einigen Schulen drangsalieren islamistische Sittenwächter diejenigen muslimischen Kinder und Jugendlichen, die nicht auf Essen und Trinken verzichten. Viele Politiker ignorieren das – aufgrund eines falsch verstandenen Antirassismus.
Am Abend des 28. Februar beginnt der Ramadan. Wie üblich werden zahlreiche Spitzenpolitiker den in Deutschland lebenden Muslimen einen gesegneten und friedvollen Fastenmonat wünschen. Dagegen spricht erst einmal nichts. Es ist ein Zeichen des Respekts, ein Zeichen der Anerkennung: Selbstverständlich gehören gläubige Muslime zu Deutschland.
Mehr als sechs Prozent der Gesamtbevölkerung gelten als muslimisch, darunter mehrere Millionen Deutsche. Entscheiden sich diese selbstbestimmt dafür, im Privaten ihren Glauben zu leben, ist daran in einer liberalen Demokratie mit Religionsfreiheit nichts auszusetzen.
Doch leider werden die problematischen Aspekte in solchen Ramadan-Grußbotschaften ausgeblendet. Etwa an vielen Schulen mit einem besonders großen Anteil von Kindern und Jugendlichen aus konservativ-muslimischen Familien zeigen sich während des Fastenmonats solche Probleme. Bereits seit einigen Jahren berichten Lehrer, dass Konzentration und Leistung abfallen, wenn schon die Kleinsten den ganzen Tag auf Essen und Trinken verzichten. Sie berichten, dass einige der Fastenden den Sportunterricht oder Prüfungen verweigern.
Und sie berichten, dass vermehrt andere Kinder mit muslimischem Hintergrund dazu gedrängt werden, sich ebenfalls an die religiösen Speisegesetze zu halten. Hier ist die Religionsfreiheit in Gefahr. Denn diese muss unbedingt auch die Freiheit von Religion beinhalten – also auch die Freiheit, nicht zu bestimmten religiösen Praktiken genötigt zu werden.
Da Kinder unter 14 Jahren im Islam eigentlich von der Pflicht zum Fasten befreit sind, können Ramadan haltende Grund- und Unterstufenschüler ein Hinweis auf eine fundamentalistische Gesinnung im Elternhaus sein. Teilweise werden von den Eltern Unterzuckerung und Dehydration in Kauf genommen, sogar Ohnmachtsanfälle. Ein gleichberechtigtes Lernen wird für diese Schüler so unmöglich.
Kinder müssen aber unabhängig von ihrem Elternhaus die gleichen Chancen erhalten, am Schulunterricht teilzunehmen und Bildung ohne Einschränkungen zu genießen – also auch solche aus konservativen oder gar fundamentalistisch gesinnten muslimischen Familien. Es wäre eine wichtige Aufgabe für die Politik, solche Kinder vor dem Druck der religiösen Gemeinschaft zu schützen und die Lehrer entsprechend auszubilden.
Vor drei Jahren hat der Berliner Verein Devi (Demokratie und Vielfalt) eine bemerkenswerte Bestandsaufnahme über Schulen im Bezirk Neukölln vorgelegt. Die Ergebnisse der Befragungen von Lehrern und Schulleitungen sind noch immer aktuell. Sogar unter den Lehrkräften müssten sich säkulare Muslime rechtfertigen, wenn sie nicht fasten, heißt es darin. Manche Schüler könnten auf dem Schulhof nicht offen essen oder trinken; wer es dennoch tue, bekomme hinterher Druck.
„Es wird erwartet, dass sie sich in stille Bereiche der Schule zurückziehen, wenn sie dennoch etwas essen oder trinken wollen“, heißt es in der Veröffentlichung des Vereins. Solchen „ungeschriebenen Gesetzen“ nicht zu folgen, sei schwierig. Auch das Kollegium komme an diese Regeln nicht heran. Wenn Schüler die Einhaltung von Speisevorschriften überwachten, führe dies zu „Dominanzverhalten entlang von essentialisierenden Religionsverständnissen (‚Wer ist denn nun der bessere Moslem?‘)“.
Auch Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe wurden für die Bestandsaufnahme befragt. „Da ist ein Druck, dass man Fasten muss, wenn man ein ordentlicher Muslim oder eine ordentliche Muslima sein will“, heißt es aus einer der Einrichtungen. Auch von denjenigen, die nicht religiös aufgewachsen seien, würden sich viele nicht trauen, die Speisegesetze zu missachten. „Weil man sofort gemobbt würde.“ Ähnliche Erfahrungen machen übrigens säkulare und atheistische Migranten in Asylunterkünften. Teilweise sind sie vor dem Islamismus geflohen und treffen dann hier erneut auf Islamisten, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben verwehren.
Im Iran drohen Fastenbrechern drakonische Strafen
Aus einer religions- und ideologiekritischen Perspektive muss ein solcher Zugriff der Religion auf das Individuum unbedingt problematisiert werden. Als System mit Wahrheits- und Überlegenheitsanspruch, das die Lebensführung seiner Anhänger stark beeinflusst und nonkonformes Verhalten sanktioniert, ist der Islam selbstverständlich ein legitimes Objekt von Kritik.
Wer den Islam im Namen des Antirassismus vor Kritik schützen will, wirkt auf Kosten derjenigen freiheitsliebenden Muslime und anderer Menschen, die weltweit unter dem politischen Islam, seinen Tugendvorstellungen sowie Verhaltens-, Kleider- und Geschlechternormen leiden; die sich gegen eine orthodoxe Islamauslegung wenden und für bürgerliche Freiheiten kämpfen.
In diesem Fall werden die betroffenen Kinder und Jugendlichen, die insbesondere während des Ramadan von Mitschülern zur Einhaltung strenger Regeln gedrängt werden, mit den Sittenwächtern in ihrem Umfeld allein gelassen.
Es geht um eine Verteidigung der Rechte der Einzelnen gegen das Kollektivdenken der religiösen Gemeinschaft, in diesem Fall der Umma – also gerade nicht um eine ressentimentbehaftete Wesenszuschreibung von Merkmalen. Wer diese Verteidigung aus falsch verstandener Toleranz unterlässt, betreibt letztlich Lobbyarbeit für islamistische Akteure, die schon über das Leben der Kleinsten mit autoritären Normen bestimmen möchten.
Diese Sichtenwächter an deutschen Schulen setzen übrigens das um, was in mehreren Ländern mit dem Islam als Staatsreligion der Staat erledigt, mit teils drakonischen Strafandrohungen. Etwa im Iran bestraft das islamistische Regime immer wieder Fastenbrecher, die vor dem Sonnenuntergang in der Öffentlichkeit essen oder trinken. Teilweise werden ihnen Geldstrafen auferlegt, teils werden sie sogar verhaftet, mit Peitschenhieben bestraft oder auf den Straßen von den Revolutionsgarden schikaniert.
Ähnliches gilt in Saudi-Arabien. Öffentliches Essen, Trinken und Rauchen sind dort ebenfalls streng verboten, sogar in Büros und anderen Arbeitsstätten. Das iranische und das saudische Strafrecht basieren auf der Grundlage der Scharia.
Im Jahr 2009 machte eine Gruppe junger Marokkaner Schlagzeilen, die sich während des Ramadan vor den Toren von Casablanca zum Picknick verabredeten – aus Protest gegen die Strafen für Nicht-Fastende. Eine Hundertschaft der Polizei empfing die Gruppe, wie das Portal „Qantara“ der Deutschen Welle damals berichtete. Die Aktivisten gaben an, beschimpft, bespuckt, festgenommen und stundenlang verhört worden zu sein. „100 Polizisten gegen zehn Sandwiches“, spotteten damals säkulare Marokkaner.
Ob die Politiker, die Muslimen jährlich eine gesegnete Fastenzeit wünschen, auch an solche Menschen denken? Wohl kaum.
Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Die bisherigen Folgen:
Source: welt.de