Vogelhäuser aus Designerhand: Hier piept’s wohl!
Fragen können wir sie ja nicht, die Vögel, wie sie denn gern wohnen möchten. Möglicherweise wäre es ihnen egal, welche Formen ihre Behausungen haben. Hauptsache, die Körner bleiben sauber und trocken, die Temperatur im Nest stimmt und das Einflugloch ist klein genug, damit Katze und Eichhörnchen nicht räubern können. Also bauen wir ihnen Häuschen nach unserem Geschmack, und der ist offenbar ziemlich konservativ.
Denn egal ob Nistkasten oder Futterstelle: Ein ordentliches Dach muss drauf auf das Haus, wie ein Blick in den nächsten Garten oder die einschlägigen Onlineshops offenbart. Hübsch gemütlich geht es zu unter dem obligatorischen Dachüberstand (Regenschutz!), und weil das Tierschutzgesetz keinen Paragraphen gegen ästhetische Vermenschlichung kennt, gönnen manche den Vögeln – oder eher sich selbst – auch noch stilisierte Schindeln und einen Schornstein auf dem Wolkenkuckucksheim. Wie wäre es stattdessen mit einem hellblau-rosa-gelbem Doppelblob aus Kunststoffknete oder einer modernistischen Kiste mit abgeschrägter Ecke aus rot gebeiztem Abfallholz als Unterkunft für Meise, Spatz und Rotkehlchen? Wahlweise gebe es auch einen aus blauen Elektrokabeln geflochtenen Kokon oder einen brutalistisch-grauen Brocken aus gegossenem Aluminium.
Jedes Haus ein Unikat
Insgesamt 40 Vogelbehausungen der anderen Art hat die Schweizer Stylistin und Kuratorin Connie Hüsser zusammengetragen. Zu sehen sind sie bis zum 31. Januar 2025 in der Ausstellung „Home Sweet Home“ im Vitra-Haus, dem Showroom des Möbelherstellers Vitra in Weil am Rhein. Die Miniaturarchitekturen sind allesamt Unikate, von internationalen Gestalterinnen und Gestaltern eigens für die Ausstellung entworfen und gefertigt. Der Doppelblob etwa ist eine Kreation des französischen Designers Diego Faivre, die modernistische Kiste wiederum hat Shigeki Fujishiro aus Japan gezimmert. Der Südkoreaner Kwangho Lee hat einen Kokon beigesteuert und sein Kollege Bram Vanderbeke aus Belgien den Vogelfelsen.
„Die Suche nach Liebe, Geborgenheit, Nestwärme“, das ist das Leitmotiv, das hinter der Ausstellung steht, erläutert Connie Hüsser. Traumhaus und Zufluchtsort sind zwei weitere Stichworte, die sie den Designern mit auf den Weg gegeben hat. Diese haben im Gegenzug bewiesen, dass es nicht unbedingt ein Satteldach braucht, um diesen Begriffen gestalterischen Ausdruck zu verleihen. So tut es auch ein buntes Körbchen, wie es Designerin Clara von Zweigbergk kunstvoll aus Papier gefaltet hat.
Wenn schon die klassische Häuschenform, dann bitte nicht bieder wie aus dem Baumarkt, sondern aus Aluminiumblech, wie es der Entwurf von David Taylor aus Schweden zeigt, oder handgeschnitzt aus verschiedenen Hölzern wie der Beitrag des Franzosen Ferréol Babin. Besonders reizend ist das Spitzdach mit Sitzstange, geschreinert aus bunten Furnieren von der Londonerin Bethan Laura Wood, in der Farbigkeit dem Federkleid eines Paradiesvogels ebenbürtig und einer der geheimen Favoriten von Kuratorin Hüsser.
Sammlerobjekte für Designfans
„Home Sweet Home“ ist nicht das erste Ausstellungsprojekt der Züricherin. Unter dem Label „Objects with Love“ hat sie bereits Designschauen für die Messe Design Miami oder die Lausanner Designhochschule kuratiert. Sie arbeitet als Interiorstylistin für das Schweizer Magazin „Annabelle“ und seit vielen Jahren auch für Vitra. Entsprechend gut vernetzt ist sie in der Szene, und nachdem die ersten Häuschen beauftragt waren, meldeten sich weitere Gestalter von sich aus mit eigenen Vorschlägen. „Es hat sich rumgesprochen“, erzählt die Züricherin lachend, „und statt 24 Häuschen hatte ich plötzlich 40“.
Alle Exponate von „Home Sweet Home“ stehen zum Verkauf, der Erlös geht an die beteiligten Designer, einen Teil möchte Connie Hüsser zudem für ein Vogelschutzprojekt spenden. Die Preise allerdings bewegen sich jenseits dessen, was der Vogelfreund normalerweise für ein neues Vogelhaus ausgeben würde. Die Einzelstücke sind vielmehr Sammlerobjekte für Designfans.
Was man auch daran merkt, dass Zweck und Funktion offensichtlich nicht in allen Fällen beim Entwurf im Vordergrund standen. Einige der Gebilde würden wohl nicht unbeschadet mehrere mitteleuropäische Winter im Freien überstehen. Oder vollauf den Bedürfnissen der Vögel entsprechen, die sich von Art zu Art durchaus unterscheiden und anspruchsvoller sein können, als Gestalter und Käufer das mithin vermuten. Zur Verschönerung der menschlichen Wohnung taugen sie aber allemal, und ebenso als Denkanstoß, wie abwechslungsreich und unterhaltsam Gestaltung jenseits des Prinzips „quadratisch, praktisch, gut“ sein kann.
Impulse für die Biodiversität
Damit passt die Vogelhäuserschau auch bestens an den Ort ihrer Präsentation, den Showroom auf dem Vitra-Campus. Der Campus ist bekanntlich nicht einfach ein Fabrikgelände, sondern eine Freiluftausstellung der jüngeren Architekturgeschichte. Dort sind so exzentrische Gebäudepersönlichkeiten wie das verschachtelte Designmuseum von Frank Gehry, die runde Produktionshalle von SANAA und das steilgehende Feuerwehrhaus von Zaha Hadid versammelt. Außerdem von Herzog & de Meuron das Schaudepot und das Vitra-Haus selbst, beides Auseinandersetzungen mit dem archetypischen Satteldachhaus.
Die Ausstellung „Home Sweet Home“ wirkt angesichts dieser Nachbarschaft, als hätte man den Campus im Vogelformat weitergebaut. In den vergangenen Jahren haben sich die Verantwortlichen von Vitra indes vor allem mit den Freiflächen zwischen den Architekturen des Campus beschäftigt und naturnahe Gärten und Blumenwiesen für mehr Biodiversität angelegt. Die Vögel in der Gegend, wenn sie nur antworten könnten, würden diese Maßnahmen sicher begrüßen. Denn was sie noch dringender brauchen für ihr Wohlergehen als ein Dach über dem Kopf, sind möglichst vielfältige Lebensräume.