#TexasText/Jamal Tuschick – Jamal Tuschick – Der Duft des Göttlichen

„Wann immer es wehtut, gehe ich einen Schritt weiter.“ Isabelle Lehn

In den 1980er Jahre vagabundiert die Aussteigerin Doris Steinbrecher durch Asien und Ozeanien. Im Dunstkreis verspäteter Hippies und früher Raver bewegt sie sich auf einem transkontinentalen Party-Trail. Über Wasser hält sich die Meisterschülerin des Yoga-Pedanten Fürchtegott Hölzenbein mit Beach Yoga, manche sagen Bi… Yoga. Doris gehört inzwischen zur Easy-Flow-Fraktion. Sonne und Strand, Mond und Sterne. Sex auf Acid. Joints zum Frühstück. The Paradise to go. Kein Gipfelsturm im Himalaya. Keine Exerzitien. Keine Klosterklausur. Keine religiöse Theatralik. Keine Kontemplation über die beflügelnde Meditation hinaus. Doris klappert Backpacker-Hotspots ab und frönt der Sundowner-Romantik. Jeder Abend bietet ein furioses Naturschauspiel. Eben noch färbt sich der Horizont, man traut sich kaum zu sagen, in welchen Farben, so kitschig ist das, im nächsten Augenblick leuchten die Sterne so, dass sich Doris in den Weltraum gezogen fühlt.

Im Rausch der aufgemunterten Sinne wähnt sie sich unter dem Himmel eines anderen Sterns. Ein Mix aus Spiritual Stretching und Tauchen hält sie in Form. In der Lodge eines Hotels auf Pulau Mabul – einem Tropentraum vor der Nordostspitze Borneos – trifft sie den Australier Jon. Umstellt von Kinokulissen bemühen sich das Zufallspaar um eine adäquate Performance.

Die Riffkante der Küstenlinie fällt steil ab. Sie wird von Fledermausfisch- und Barracuda-Schwärmen besucht, wie man sie sonst nur auf offener See trifft. Doris taucht ein in die Unterwasserwelt der Celebessee, einem Randmeer des Pazifiks. Der periphere Ozean breitet sich in einem Becken aus, das an Stellen über sechstausend Meter Tiefe erreicht. Schildkröten ziehen an der Verzauberten vorüber. Die lebenden Fossilien zeigen gleichgültig gegenüber den vorsichtigen Berührungen ihrer wie Flügel im Wasser schwebenden Flossen.

Jon ist längst nicht mehr an ihrer Seite, als Doris in einem Yoga-Retreat auf Honolulu die Lage peilt. Über dem Geschehen vor Ort thront ein alter Charismatiker aus Kenia. Er überwindet Doris‘ Widerstände. Auf einem Parcours degoutant ausgeleierter Routinen verführt er die Neue, die nicht erkennt, dass ihr latenter Weltschmerz und ihre manifeste Wehmut ein Wetterleuchten ihres Heimwehs anzeigen. Die sexuelle Supernova des greisen Gurus vollzieht sich unter sämtlichen Vorzeichen einer End-Spannung. Er stirbt glücklich. Erst nach seinem Tod bemerkt Doris, dass sie von dem alten Sack geschwängert wurde. Sie findet Aufnahme in einer höchst effektiven Gemeinschaft. Die Kombi aus Geschäftstüchtigkeit und Spiritualität kennt Doris von daheim. Ihr Vater, der kaum alphabetisierte Selfmade-Millionär und Seelenberserker Anton Steinbrecher, verkörpert die Dualität von derbem Materialismus und krachender Esoterik.

In der Obhut kluger Frauen kommt Keno zu Welt. Während seiner ersten Lebensjahre sieht er einer glänzenden Zukunft auf Hawaii entgegen. Doch dann dreht sich das Rad. Doch dann dreht sich das Rad. Bei einer Stippvisite im Ashram von Poona begegnet Doris der schwäbische Aussteiger Raimund Freitag. Doris und Raimund hätten sich in ihrer nordwürttembergischen Ursprungsumgebung leicht treffen können, es gibt zahllose Kontaktpunkte. Die Bandbreite reicht von einer Diskothek in Calmbach über Ausflugsziele auf dem Dobel und in Neuenbürg bis zu einer Rauschgifthöhle in Mühlacker. Beide reagieren eher verhalten auf den Ashram-Chef Chandra Mohan Jain aka Acharya Rajneesh aka Bhagwan Shree Rajneesh (ab 1989 Osho). Knall auf Fall beschließen sie ihre Rückkehr nach Deutschland.