Parlamentswahl in Frankreich: Wie ein linkes Liga Le Pen verhindern will

Vielleicht war es der Arbeiter Abel, der die politische Ausnahmesituation besonders veranschaulichte: Der Handwerker aus einer kürzlich geschlossenen Autofabrik bei Paris kam auf die Bühne, um die Neue Volksfront (Nouveau Front populaire) zu unterstützen. Die Arbeiterschaft werde der neuen Parteienallianz helfen. Er habe Angst um sein Land, sagte er mit zitternder Stimme.

Diese Angst war vielen bei dieser Gelegenheit anzumerken. Die innerhalb von vier Tagen aufgebaute Volksfront will verhindern, dass die „rechtsextreme und antisoziale Rechtsextreme“ in Frankreich an die Macht kommen kann. Nach vier Tagen auch nächtlicher Verhandlungen traten die Parteisprecher dieser überraschenden Allianz in Paris vor die Kameras: Zu sehen waren übermüdete und sehr ernst blickende Linke, Kommunisten, Grüne und Sozialdemokratinnen, die trotz ihrer notorischen Kämpfe zusammen auf einer schlichten, voll gefüllten Bühne standen. „Wir sind bereit“, sagte die grüne Generalsekretärin Marine Tondelier. „Wir wollen das Leben für alle verändern und Faschisten im Parlament verhindern“, versprach sie.

Die neue Allianz wird für alle Wahlkreise eine gemeinsame Kandidatin oder einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen, um eine möglichst große Fraktion in der künftigen Regierung stellen zu können – oder gar den Premierminister. Gewählt wird in Frankreich schon in gut zwei Wochen, eine Stichwahl in allen Wahlbezirken entscheidet am 7. Juli, wer die Mehrheit in der Pariser Nationalversammlung haben wird. Alle Vertreter des Bündnisses betonten die große „historische Verantwortung“ des Augenblicks. Auch deshalb seien Gewerkschafter wie Abel und Umweltvereinigungen wie Greenpeace auf der Bühne vertreten.

Wichtiger als Macrons Liste

Die Volksfront verspricht, in den ersten beiden Wochen 20 Entscheidungen zu treffen, die das „Leben aller Franzosen und Französinnen“ verbessern sollen. Für die nach aktuellen Umfragen größte Sorge der französischen Bevölkerung – die um die eigene Kaufkraft – will das Bündnis die Preise für Grundnahrungsmittel deckeln und die Löhne an die Inflation anpassen. Eine militärische Hilfe für die Ukraine wird ebenfalls unterstützt – die Entsendung französischer Soldaten, die Emmanuel Macron kürzlich ins Spiel gebracht hat, aber kategorisch ausgeschlossen. Die spätere Rente, die der Präsident im vergangenen Jahr nach monatelangen Massenprotesten und ohne Abstimmung im Parlament durchgedrückt hatte, will die Volksfront wieder rückgängig machen. 

Niemand hatte mit diesem Bündnis gerechnet, vermutlich am allerwenigsten Macron selbst: Als der Präsident direkt nach dem für ihn desaströsen Ergebnis der EU-Wahl das neue Votum ankündigte, konnte er noch nicht ahnen, dass sich die zuletzt gegenseitig harsch kritisierenden linksgrünen Parteien zusammen finden würden. Dabei wird diese Allianz voraussichtlich die üblichen Duelle der vergangenen Jahre verhindern: Bei den Präsidentschafts- wie bei den Parlamentswahlen standen sich stets Macron und Marine Le Pen und ihre Parteien gegenüber. Und die Stichwahl ging bislang zu Macrons Gunsten aus. Diesmal aber könnte es mit der neuen Volksfront vor allem zu Duellen zwischen Le-Pen-Kandidaten und Kandidaten der Volksfront kommen.


Eine Bühne voller ungleicher Partner: Die Neue Volksfront stellt in Paris ihr Programm vor.

Bei der Wahl wird es tatsächlich mehr auf die Volksfront ankommen als auf Macrons Liste. Nach den neuesten Umfragen käme Le Pen auf rund 31 Prozent, die Volksfront auf 28 Prozent und Renaissance, die Partei des Präsidenten, lediglich auf 18 Prozent. Es ist eine nationale Erhebung für ein Votum, das in den einzelnen Orten entschieden wird: Nach dem 30. Juni werden sich in einer Stichwahl am 7. Juli nur noch die jeweils zwei bestplatzierten Kandidaten oder Kandidatinnen gegenüberstehen. Dem Rassemblement National von Le Pen werden bislang mehr Abgeordnete prognostiziert.

Deshalb nimmt diese Wahl in Frankreich gerade historisch einmalige Züge an. In dieser Woche standen alle Parteien Kopf: Der Präsident der konservativen Republikaner, Éric Ciotti, kündigte an, mit dem Rassemblement National paktieren zu wollen und wurde daraufhin von seiner Partei rausgeschmissen. Nun also findet sich gegen diese Allianz die Volksfront zusammen – ihr Name ist angelehnt an den Front populaire, in dem sich 1935 Kommunisten, Sozialisten und linksbürgerliche Parteien im Kampf gegen den Faschismus in Frankreich erfolgreich zusammenschlossen. 

„Was habt ihr eigentlich im Kopf?“

Macron verfolgt aktuell die Strategie, die Links-Grünen mit den Rechtsextremen gleichzusetzen. „Ich oder das Chaos“, das ist sein Motto. Eine gefährliche und auch geschichtsvergessene Strategie – haben doch die Grünen, Linken, kommunistischen und sozialdemokratischen Kandidaten und Kandidatinnen eine zwar wirtschaftlich andere Vision als die von Macron. Aber die politische Gefahr der Rechtsextremen Le Pen hat eine andere Dimension: Ihre Partei wurde einst von Mitgliedern der Waffen-SS gegründet, noch heute vertritt sie die rassistische „nationale Präferenz“, nach der Nichtfranzosen keine staatlichen Hilfen und Jobs erhalten sollten.

„Wenn ich höre, die Macronisten könnten sich nicht zwischen einem linken Bündnis und den Rechtsextremen entscheiden, kann ich nur sagen: Was habt ihr eigentlich im Kopf?“, echauffierte sich in einem Interview Raphaël Glucksmann, der Sozialdemokrat, der nach der EU-Wahl die stärkste linke Kraft repräsentiert. Seine persönliche Zusage zur Volksfront zeigt, wie sehr die Linke in Frankreich tatsächlich eine rechtsextreme Mehrheit fürchtet: Er habe kaum geschlafen die vergangenen Tage, und er sei alles andere als euphorisch, sagte Glucksmann. Und nur mit dieser Allianz könne verhindert werden, dass „in Frankreich noch im Sommer 300 rechtsextreme Abgeordnete ins Parlament einziehen und die Macht übernehmen“.

Im EU-Wahlkampf hatte Glucksmann die Linken von La France insoumise noch hart kritisiert – sie hatten die Hamas nicht als Terrororganisation bezeichnen wollen und antisemitische Überfälle in Frankreich heruntergespielt. Er hingegen versprach, dafür zu bürgen, dass der Antisemitismus im Lande benannt und bekämpft werde. Und das findet sich nun auch ausdrücklich im gemeinsamen Programm wieder. Glucksmann sagte, er habe „die Nase voll“ von der Gleichsetzung des Rassemblement National und der Volksfront. Er forderte das Präsidentenlager auf, „endlich aufzuhören, mit dem Feuer zu spielen“.

Von einer „einmaligen historischen Situation“ sprach auch der Soziologe und Rechtsextremismusexperte Erwan Lecœur in einem Radiointerview. Die Volksfront habe begriffen, wie groß die Gefahr einer rechtsextremen Machtübernahme sei. Und wirklich kämpfen zum ersten Mal so notorisch zerstrittene Alphatiere wie Ex-Präsident François Hollande,
der höchst umstrittene Linke Jean-Luc Mélenchon und der
sozialdemokratische Aufsteiger Glucksmann gemeinsam. Auf ein Programm hat sich die Allianz dabei verständigen können. Wer es im Fall einer Mehrheit als Premierminister oder Premierministerin umsetzen soll – diese Frage wurde nicht beantwortet.