Maurice Höfgen: Schuldenbremse verhindert, dass wir unsrige Klimaziele klappen!
Im Finanzministerium wurde letzte Woche gefeiert. Der Anlass: Die Schuldenbremse hatte ihren 15. Geburtstag. Und obwohl es ein SPD-Finanzminister war, der die Schuldenbremse geboren hat, Peer Steinbrück nämlich, verteidigt der amtierende Finanzminister Christian Lindner (FDP) sie heute wie ein Adoptiv-Vater gegen alle Widerstände und Kritiker. Gut vorstellbar, dass darauf im Ministerium mit Sekt und Konfetti gratuliert wurde.
Keine zwei Kilometer vom Finanzministerium entfernt hat der Expertenrat für Klimafragen seine Geschäftsstelle. Dort zerbrechen sich Wissenschaftler den Kopf darüber, ob Deutschland seine gesetzlich vorgeschriebenen Klimaziele erreicht. Die Bundesregierung beauftragt den Rat, die Klimaprognose vom eigenen Umweltbundesamt zu prüfen. Eines ist sicher: Dort wurde der Geburtstag der Schuldenbremse nicht gefeiert. Statt Glückwünschen gäbe es von den Klimaexperten wohl eher Beileidsbekundungen. Denn die Schuldenbremse ist eine Klimaschutzbremse.
Das schreiben die Experten in ihrem neusten Gutachten. Konkret geht es um Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds (KTF). Mehr als 40 Milliarden Euro hatte die Ampel Hals über Kopf aus diesem Fonds gestrichen, nachdem das Bundesverfassungsgericht im November letzten Jahres die Umbuchung von Corona-Krediten in den Klimafonds für verfassungswidrig erklärt hatte. Das Umweltbundesamt hat bei seiner Klimaprognose aber genau mit diesem Geld gerechnet, die Kürzungen also nicht berücksichtigt.
„Die in den Projektionsdaten 2024 dargestellte und teilweise auf KTF-Zuschüssen basierende Transformationsgeschwindigkeit eines fossilen hin zu einem nicht-fossilen Kapitalstock scheint dem Expertenrat vor diesem Hintergrund tendenziell überschätzt“, schreibt deshalb der Expertenrat in staubtrockenem Behörden-Deutsch. In Klartext übersetzt: Weil die Ampel Gelder für Klimaschutz kürzt, dauert es länger, bis das Land von Öl und Gas auf erneuerbare Energie umsteigt und seine Klimaziele erreicht.
Haushalt 2024: Zwei Milliarden Euro weniger Förderung für den Heizungstausch als geplant
Was dem Expertenrat große Sorgen bereitet, ist, dass der Großteil der gekürzten 40 Milliarden Euro auf die folgenden Jahre entfällt. Im Jahr 2024 sind effektiv nur etwas weniger als fünf Milliarden aus dem Fonds gestrichen worden, der Rest wurde aus der KTF-Rücklage ausgebucht. Wo also 2025 und danach Mittel fehlen und Programme frühzeitig beendet werden, ist noch gar nicht absehbar.
Die prominentesten Posten für das Haushaltsjahr 2024 betreffen Heizungen und E-Autos. So gibt es etwa zwei Milliarden weniger Förderung für den Heizungstausch. Ursprünglich war ein Speed-Bonus von 25 Prozent vorgesehen, wenn Eigentümer ihre alte fossile Heizung schon 2024 austauschen. Der wurde auf 20 Prozent reduziert. Auch wurde der Höchstfördersatz insgesamt von 75 auf 70 Prozent gestutzt. Die Folge: Es ist unwahrscheinlich, dass die Heizungsförderung die veranschlagten 72 Millionen Tonnen an CO₂-Äquivalenten einsparen wird.
Ein anderes Beispiel sind der Umweltbonus für E-Autos oder Fördermittel für die Ladeinfrastruktur. Ursprünglich war dafür rund eine Milliarde Euro 2024 vorgesehen. Der Umweltbonus wurde aber ganz gestrichen, die Fördermittel für Ladepunkte gekürzt. Die Folge: In den ersten vier Monaten des Jahres sind die Neuzulassungen für E-Autos im Vergleich zum Vorjahr um 10,8 Prozent zurückgegangen. Das Ziel der Ampel, bis 2030 rund 15 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen gebracht zu haben, rückt damit in weite Ferne. Stand jetzt sind es nämlich gerade einmal 1,5 Millionen.
Die Frage stellt sich: Ist es eine gute Entscheidung, lieber die Schulden als die Emissionen zu bremsen? Dazu maßt sich der Expertenrat für Klimafragen keine offizielle Position an. Das aktuelle Gutachten ist aber Anlass genug, um genau darüber zu reden. Zumal die Befürworter für eine Reform der Schuldenbremse immer mehr werden. Neben Klimaaktivisten, progressiven Parteien, Gewerkschaftsökonomen und Umweltverbänden raten mittlerweile selbst konservative Institutionen wie die OECD, der Internationale Währungsfonds, das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) oder die Bundesbank zur Reform. Jetzt müsste nur noch jemand den Finanzminister Christian Lindner überzeugen. Zugegeben: Das ist wohl einfacher gesagt als getan!