Internet-ID in China: Fast wie Orwells „1984“

Franka Lu ist eine chinesische Journalistin und Unternehmerin. Sie arbeitet in China und Deutschland. In dieser ZEIT-ONLINE-Serie berichtet sie kritisch über Leben, Kultur und Alltag in China. Um ihr berufliches und privates Umfeld zu schützen, schreibt sie unter einem Pseudonym.

In China soll in Zukunft jede Nutzerin und jeder Nutzer
des Internets eine persönliche ID-Kennung erhalten. Diese Maßnahme wird es
chinesischen Bürgern nicht nur erschweren, sich online zu äußern. Sie bedeutet
auch noch größere Hürden für ausländische Nutzerinnen, die sich für
Informationen auf chinesischen Websites interessieren. China wird dadurch noch
intransparenter werden, und das nicht nur für Ausländer, sondern besonders für die
eigenen Bürgerinnen und Bürger.

Ende Juli haben das chinesische Ministerium für Öffentliche
Sicherheit und die Cyberspacebehörde des Landes gemeinsam den Entwurf für
„Maßnahmen zur Verwaltung eines nationalen
Netzwerk-Identitäts-Authentifizierungs-Dienstes“ skizziert. Bevor aber die Internetnutzer
die Vorschläge, wie eigentlich vorgesehen, kommentieren konnten, waren
bereits Pilotanwendungen des Verfahrens gestartet worden, und zwar auf zehn Behördenportalen für Bürgerdienstleistungen und in mehr als 70 Smartphone-Apps, darunter weitverbreitete wie Taobao und WeChat. Es ist daher offensichtlich, dass die Regierung auf Kommentare und
Rat aus der Gesellschaft am liebsten verzichten will.

Die neue Netz-ID (sie wird von den Behörden als
„Netzzertifikat“ oder „CTID“ bezeichnet), wird von einer Firma mit dem Namen
Anicert ausgegeben, die wiederum zu einem Forschungsinstitut am Ministerium für
Öffentliche Sicherheit gehört. Auf der offiziellen Website von Anicert heißt
es, die CTID sei „eine autoritative Online-Identitätskennung„, sie diene dazu, die eigene Privatsphäre zu schützen. Wer eine CTID beantragt, muss den
Personalausweis und das eigene Gesicht mit einer entsprechenden App scannen.
Daraufhin erhält man einen QR-Code, mit dem man sich dann auf Websites und in
Apps registrieren kann.

Online-Sein als Privileg

Lao Dongyan, eine Rechtswissenschaftlerin an der
Tsinghua-Universität in Peking, die sich stets offen äußert, war eine der
wenigen unter den öffentlich gewichtigen Stimmen, die sich gegen die CTID
stellten. Sie hat die Pläne auf der Social-Media-Plattform Weibo scharf
kritisiert: „Das System der Netz-ID ermöglicht es, wie auf einem Monitor jede
Onlineaktivität zu beobachten und alle Onlinespuren (darunter auch den Browserverlauf) ganz einfach und umfassend zu kontrollieren.“  Die Nutzung des Internets oder von Diensten der Internet-Provider würde zu einem Privileg, das eine Genehmigung erfordert, kritisiert Lao.

Ihre Bedenken sind sehr real und werden von vielen, die sich
nicht öffentlich äußern, geteilt. Obwohl Chinas Behörden seit Langem schon viel
unternehmen, die Onlineaktivitäten der Bürgerinnen und Bürger zu
kontrollieren, gibt es noch immer manches Schlupfloch, das es den Ungehorsamen
erlaubt, ihre Ansichten auch dann noch zu äußern, wenn sie von den Social-Media-Plattformen verbannt worden sind.

Derzeit müssen sich die Nutzer bei den Plattformen mit ihrer
Mobilfunknummer anmelden, die wiederum mit dem Personalausweis verbunden ist.
Das, plus die Beobachtung der IP-Adressen durch die Regierung, könnte schon
garantieren, dass jeder vermeintliche Störenfried erwischt wird und dass seine
Handynummer von den sozialen Medien gesperrt werden kann. Da aber die
chinesischen Internetfirmen ihre Nutzerdaten hüten und weder das Recht noch
einen Ansporn haben, sie mit anderen Plattformen zu teilen, ist es möglich,
sich nach der Sperrung auf der einen Plattform einfach auf der eines anderen Anbieters anzumelden. Und natürlich kann man sich auch
unter der Nummer von jemand anderem auf derselben Plattform registrieren.