Fachgesellschaften wenden sich gegen eigene „Transkinder“-Behandlungsleitlinie – WELT

Zwei medizinische Fachgesellschaften lehnen die geplante Behandlungsleitlinie für Minderjährige mit „Geschlechtsdysphorie“ für den deutschsprachigen Raum ab. Zu den Kritikern gehört die größte medizinische Fachgesellschaft in Deutschland, die sich mit psychischer Gesundheit befasst, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Sie hat rund 11.000 Mitglieder. Brisant daran ist, dass beide Gesellschaften an der Entwicklung der Leitlinie beteiligt waren und einen Vertreter in die Kommission entsendet hatten.

Doch die Entwicklung verlief nicht reibungslos. Kritik an dem Ende März veröffentlichten Entwurf der Behandlungsleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) wurde schon vor Monaten laut. An der Entwicklung waren 26 weitere medizinische Fachgesellschaften und Trans-Lobbygruppen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich beteiligt – auch die beiden Gesellschaften, die jetzt an dem Entwurf zweifeln. In dem Papier wird die trans-affirmative Richtung vertreten, also der Anpassung an die Vorstellungen der Patienten. Die Selbsteinschätzung der Kinder wird damit faktisch über die medizinische Diagnose gestellt.

In der Präambel der Leitlinie heißt es, dass Ärzte den Wunsch der Kinder und Jugendlichen zu respektieren hätten, die sich einem anderen Geschlecht als dem angeborenen zugehörig fühlten. Dazu gehören Pubertätsblocker, gegengeschlechtliche Hormone und die Entfernung der sich entwickelnden weiblichen Brust. Therapieansätze, welche das Ziel hätten, dieses Zugehörigkeitsgefühl in eine bestimmte Richtung zu lenken, würden als „unethisch“ betrachtet.

Nun äußerte DGPPN-Präsident Andreas Meyer-Lindenberg seine Bedenken in einem Brief an den Kinderpsychiater Georg Romer, der die Leitlinie federführend entwickelt hatte. Im Kern geht es dabei um eine Behandlungsempfehlung für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die glauben, im „falschen“ Körper geboren zu sein und einem anderen Geschlecht als ihrem biologischen anzugehören. Die Leitlinie soll für Deutschland, Österreich und die Schweiz gelten. Die Fachärzte und Lobbyisten befürworten den sogenannten gender-affirmativen Ansatz, welcher Pubertätsblocker, gegengeschlechtliche Hormone und Operationen bei Kindern und Jugendlichen ermöglicht.

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Entwurf vorgelegt

In dem Schreiben, das WELT vorliegt, fordert DGPPN-Präsident Meyer-Lindenberg nun Veränderungen am Entwurf. Er schreibt, „hormonelle und chirurgische Interventionen“ sollten „wenigen Fällen vorbehalten sein“. Und auch für diese bedürfe es einer umfassenden und multiprofessionellen Diagnostik. Unter dem Strich ergebe sich „ein Dissens mit einer Vielzahl von Empfehlungen der Leitlinie“. Abschließend mahnt er die Kommission an, in einer überarbeiteten Fassung die aktuellen Forschungsergebnisse der Literatur seit 2020 zum Thema „Geschlechtsdysphorie“ zu berücksichtigen, unter anderem die Ergebnisse des „Cass-Reports“.

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Kritisch äußert sich auch die Schweizerische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (SGKJPP) und fordert eine Überarbeitung. Der Verband schließt sich der Erklärung der Europäischen kinder- und jugendpsychiatrische Fachgesellschaft ESCAP an. Diese kritisiert die Nichteinhaltung medizinethischer und beruflicher Grundsätze bei Behandlung von Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie in einigen Ländern. Diese müssten als Maßstäbe unbedingt eingehalten werden. Dazu gehöre allen voran der Grundsatz der „Nichtschädigung“.

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Elterngruppen fordern weiterhin einen Stopp der Leitlinie. Die Gruppe „Transteens-Sorge-berechtigt“ wandte sich an die Ombudsstelle der DGKJP und forderte den Beauftragten Andreas Warnke zu einem Gespräch auf. Es fehlten Behandlungsalternativen wie in anderen Ländern, unter anderem Psychotherapie. Eine Reaktion auf den Brief, der WELT vorliegt, sei bislang nicht erfolgt.

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Auf Anfrage von WELT, wie die zuständige Fachgesellschaft DGKJP mit den Einwänden umgehen werde, antwortete die Geschäftsstelle, der Leitlinientext werde derzeit „unter Berücksichtigung aller erhaltenen Kommentierungen“ überarbeitet. „Differenzierte fachliche Erwiderungen auf einzelne Rückmeldungen“ würden im Anschluss erfolgen.

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Der Entwurf soll aktuell von den Vorständen der 27 Fachgesellschaften abgestimmt werden und soll, sofern er angenommen wird, im Verlauf des Juni 2024 als finale Leitlinie veröffentlicht werden. Diese dient Ärzten als Anhaltspunkt zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen im noch wenig erforschten Bereich des Phänomens der „Geschlechtsdysphorie“.

Einige Länder haben sich wegen fehlender Evidenz gegen den Einsatz von Hormonen bei Minderjährigen gewendet, darunter Großbritannien, Schweden und Finnland. Diese setzen wieder vermehrt auf psychosoziale Unterstützung und Psychotherapie, in Großbritannien wurde die Gabe von Pubertätsblockern jüngst gestoppt. Die lebenslangen Folgen dieser Behandlungen seien nicht abschätzbar, der Nutzen zweifelhaft, so das wesentliche Argument.

Nach Erscheinen des deutschen Entwurfs der Behandlungsleitlinie hatten verschiedene Kinderpsychiater, der Deutsche Ärztetag und eine Gruppe von 15 Hochschulprofessoren scharfe Kritik geäußert, da es für die Gabe von Pubertätsblockern und andere Hormone unter anderem keine ausreichende medizinische Evidenz gebe und irreversible Schäden möglich seien. Auch ignoriere der Entwurf aktuelle Forschungsergebnisse und halte am gender-affirmativen Ansatz fest.

Source: welt.de