Bundeswehr: Geld ist nicht das größte Problem
Geld ist nicht das größte Problem – Seite 1
BAAINBw – hinter diesen sieben Buchstaben
versteckt sich der größte Feind der Bundeswehr. Das ist zumindest der Eindruck, der entsteht, wenn man sich mit Soldaten unterhält. Die monströs lange Abkürzung, steht für „Bundesamt für Ausrüstung,
Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr“. Mit dem Wortungetüm verbinden viele
Männer und Frauen bei der Truppe so manche Verzögerung, Panne und Bürokratie.
Das BAAINBw
ist eine der größten Behörden des Bundesverteidigungsministeriums. Es
untersteht der Politik, nicht der Bundeswehrspitze. 18.000 Mitarbeiter arbeiten
beim BAAINBw. Sie sollen dafür sorgen, dass die Streitkräfte das notwendige
Material erhalten. Dazu zählt militärisches Großgerät wie Kampfpanzer,
Fregatten und Kampfjets, aber auch Zeltplanen, Funkgeräte, Rucksäcke oder
Thermounterwäsche. Alle Beschaffungen laufen über die Schreibtische der BAAINBw-Mitarbeiter:
Sie schließen Verträge und begleiten laufende Projekte.
Gerade jetzt, nach dem
russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und der ausgerufenen Zeitenwende,
ist ihre Arbeit so wichtig wie nie. 100 Milliarden Euro als Sondervermögen hat
die vom Bundeskanzler ausgerufene Zeitenwende den Streitkräften eingebracht. „Wir
sprechen hier über die größte Investition in unsere Streitkräfte seit ihrem
Bestehen“, sagte Olaf Scholz vergangene Woche auf der Berlin Security Conference. „Die ersten Lieferverträge wollen wir noch in diesem Jahr schließen.“ Neun
Monate zuvor hatte der Sozialdemokrat angekündigt, die Bundeswehr zu
modernisieren. Seitdem ist nicht wirklich viel passiert.
Bestellt wurde noch nichts
Scholz kündigte
an, dass noch in diesem Jahr einige Rüstungsprojekte auf den Weg gebracht
werden: die Nachfolge der uralten Tornado-Jets mit F-35 aus den USA, die Nachrüstung
der Schützenpanzer Puma und neue Überschneefahrzeuge für die Gebirgsjäger.
Vor drei
Monaten hat Scholz in Prag den Aufbau eines europäischen Flugabwehrsystems
vorgeschlagen. 14 Staaten wollen sich beteiligen. Aber noch steht der
Bundesrepublik dafür, neben den in die Jahre gekommenen 12 Patriot-Einheiten,
die Technik nicht zur Verfügung. Bestellt wurde noch nichts.
Die Bundeswehr
soll zudem an der sogenannten Ostflanke der Nato mehr Verantwortung übernehmen.
Aber in Litauen fehlen den Soldaten nicht nur für den kalten Winter die
passende Ausrüstung, sondern auch digitale Funkgeräte, mit denen sie sich mit
ihren Nato-Kameraden unterhalten können. Bislang gilt die analoge
Kommunikationstechnik der Deutschen als nicht „interoperabel“, heißt: kein
Kontakt zu Litauern und anderen Verbündeten im Manöver und im Ernstfall im
Gefecht.
Der Digitalfunk wird bestellt, persönliche Ausstattung im Wert von 2,4
Milliarden wurde geordert. Immerhin sollen bis 2025 alle Soldatinnen und
Soldaten endlich eine den Aufträgen angemessene persönliche Ausstattung haben.
Bis sie von neuen Kampfpanzern, neuen geschützten Transporten, neuen schwere
Helikoptern profitieren, wird noch sehr viel länger dauern.
Effizientere Strukturen
Scholz sagte,
es gehe bei der Zeitenwende um mehr als ziemlich viel Geld. Er forderte für die
Beschaffung und die Ausrüstung mehr Entscheidungsfreude, mehr
Risikobereitschaft und dazu effiziente Strukturen. Dazu brauche es eine moderne
Rüstungsindustrie, die den Anforderungen einer modernen Armee gerecht werde.
Diese Sätze des Kanzlers können durchaus als Kritik am bestehenden System der
Ausstattung der Truppe gelten.
Der politische Wille, die Abläufe
zu beschleunigen, scheint vorhanden zu sein. Aber es fehlt anscheinend an Kompetenz
an der Spitze des zuständigen Ministeriums. Noch ist kein größerer
Auftrag bei der Rüstungsindustrie angekommen, der aus dem Sondervermögen
finanziert wird. Dafür erntet Christine Lambrecht zunehmend Kritik, nicht nur
von der Opposition, sondern auch bei den Koalitionspartnern.
Nach dem
Munitionsgipfel im Bundeskanzleramt Anfang vergangener Woche wandte sich die Verteidigungsministerin
an ihren Kabinettskollegen Christian Lindner von der FDP. Sie meldete per Brief
einen höheren Finanzbedarf an. Ein ungewöhnlicher Vorgang, denn den Bundeshaushalt
für 2023 hatte der Bundestag kurz zuvor verabschiedet. Das
Bundesfinanzministerium reagierte dementsprechend ungehalten.
Schneidend scharfe Botschaft
Lindner antworte
Lambrecht nicht persönlich, einer seiner Staatssekretäre schickte ein Schreiben
an einen Amtskollegen im Verteidigungsministerium. Die Botschaft war scheidend
scharf. Mittel seien doch da. Wenn bei den Prozessen Probleme bestünden, helfe das
Finanzministerium gern. Beim Munitionsgipfel hätten Vertreter der Industrie
deutlich gemacht, dass es nicht an fehlenden Mitteln, sondern an den
komplizierten, teils intransparenten und inkonsequenten Bedarfsplanungen sowie
bürokratischen Bestellprozessen „in Ihrem Hause“ liege.
Das war nicht
der einzige Rückschlag für die Verteidigungsministerin in den vergangenen
Wochen in Sachen Beschaffung. Noch bevor ihr Haus ein Großsystem bestellen
konnte, rügte der Bundesrechnungshof bereits die Pläne. Das Verteidigungsministerium
hatte, wie so oft, den Etat überplant. Denn 100 Milliarden können sie nicht
ausgeben. Inflationsausgleich und Mehrwertsteuer müssen abgerechnet werden, was
die Beamten offenbar übersehen hatten.
Die Beschaffung von Ausrüstung ist kompliziert
Lambrecht
strich also von ihrer langen Einkaufsliste einige Posten. Deren Finanzierung
wird geschoben und soll aus dem regulären Einzelplan 14 beglichen werden, dem
Wehretat. Der soll, so versprach es die Bundesregierung, endlich das
Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen. 2014 hatte das Bündnis entschieden, dass alle
Mitglieder zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung
ausgeben.
Von einem
steigenden Etat allerdings ist nichts zu merken, auch nach der Kanzlerrede
nicht. „Nur neun Monate später scheint der verteidigungspolitische Elan
verflogen: Das Zwei-Prozent-Ziel rückt trotz 100-Milliarden-Sondervermögen in
weite Ferne und auch kurzfristig nötige Beschaffungen kommen nicht voran“,
stellen Hubertus Bardt und Klaus-Heiner Röhl vom Institut der Deutschen
Wirtschaft in einer am Montag veröffentlichten Kurzstudie vielmehr fest. „Die 2023
rückläufigen Ausgaben für Anschaffungen bewirken, dass die Schließung erkannter
Ausstattungsdefizite der Bundeswehr nicht gelingt und die Einsatzbereitschaft
niedrig bleibt.“
Für 2023 sinkt
die Höhe des Einzelplans 14 gegenüber dem Vorjahr um 287,4 Millionen
Euro. Das hat nicht nur die Rüstungsindustrie in Deutschland überrascht,
die dem Bundesverteidigungsministerium bereits wenige Tage nach dem Beginn des
Krieges in der Ukraine umfangreiche Listen mit Produkten für die Bundeswehr
präsentiert hatte. Auch die Verbündeten erwarten, dass Deutschland mehr ins
Militär investiert.
Auch der Bundestag will mitreden
Aber Geld
allein sorgt nicht für eine bessere Ausrüstung der Truppe. Viel zu umständlich ist
der Weg, bis ein Wunsch aus der Bundeswehr zu einem Kauf führt. Die Inspekteure der
Teilstreitkräfte melden ihren Bedarf beim Generalinspekteur an, der im
Bundesverteidigungsministerium sitzt, die Ideen prüft und weitergibt an die
Spitze des Hauses. Die politische Führung muss allen Bestellungen zustimmen.
Das Verteidigungsministerium leitet, wenn intern alle Fragen geklärt sind,
einen „inhaltlichen Beitrag“, wie es so schön im Haus heißt, an die Kollegen im
Finanzministerium weiter. Dort erstellen die Beamten eine 25-Millionen-Euro-Vorlage
und senden sie an den Bundestag. Denn alle Bestellungen, die diese Summe
überschreiten, müssen vom Haushaltsausschuss des Bundestages freigegeben
werden. Und auch der Verteidigungsausschuss hat natürlich ein Mitspracherecht.
Die
Parlamentarier haben in der Regel so manche Nachfrage, Alternativvorschläge und
nicht selten auch begründete Zweifel an Kostenangaben und Zeitplan. Wenn die
Ausschüsse eine – oft noch abgeänderte Vorlage – abgesegnet haben, kann das
BAAINBw die Bestellung in die Wege leiten. Oft ist dafür aber eine Ausschreibung
erforderlich, in den vergangenen Jahren geschah dies meist europaweit. Nachdem
ein Angebot aus der Industrie ausgewählt wurde, klagten unterlegene Bewerber
gegen die Vergabe an den Konkurrenten. Das sorgt für weitere Verzögerung, denn
der Weg durch die Rechtsinstanzen ist lang.
Bevor das
Beschaffungsamt dann mit einem Unternehmen die Details ausgehandelt und einen
Vertrag unterzeichnet hat, vergehen manchmal Jahre – das zeigt die immer noch
laufende Beschaffung des neuen Sturmgewehres, die unter Verteidigungsministern
Ursula von der Leyen begann und vielleicht von ihrer Nach-Nachfolgerin Christine Lambrecht abgeschlossen werden kann.
Der komplizierte Weg zum F-35
Wie
kompliziert die Beschaffung abläuft, zeigt auch die Nachfolge des Jagdbombers
Tornado. Seit 1981 fliegt der Jet für die Bundeswehr, seit Langem ist bekannt,
dass die Maschinen ausgetauscht werden müssen. Der damalige Inspekteur Karl
Müllner wünschte sich im November 2017 öffentlich den F-35 als Nachfolger. In
der Politik kam das nicht gut an, dass der Generalleutnant so vorpreschte. Ein
halbes Jahr später versetzte von der Leyen ihn in den vorzeitigen Ruhestand.
Die Ministerin soll den Eurofighter als Nachfolger bevorzugt haben, der aus
amerikanischer Sicht nicht für die „nukleare Teilhabe“ infrage kommt, das
Tragen von US-Atombomben. Dann wurde im Verteidigungsministerium der F-18-Jet
bevorzugt, der allerdings ebenfalls für diese Aufgabe nicht geeignet war. Die
Ampel-Koalition entschied sich nun doch für den F-35-Jet.
Wenn Scholz‘
Ankündigung Taten folgen, dann könnte noch in diesem Jahr der Vertrag
geschlossen werden, fünf Jahre nach Müllners öffentlichem Wunsch. Bis die
Piloten der Bundeswehr ausgebildet sind, die Infrastruktur für die neuen
Flugzeuge geschaffen und die ersten F-35 für die Luftwaffe aufsteigen, dürften
einige weitere Jahre vergehen.