Wien-»Tatort« über Mafia-Bodyguard: Sie nannten sie Knochenbrecherin

Mariam Hage als Azra: Wortgefechte, Knochenbrüche, hier vollzieht sich beides auf höchstem Niveau

Mariam Hage als Azra: Wortgefechte, Knochenbrüche, hier vollzieht sich beides auf höchstem Niveau


Foto: Felix Vratny / ORF / ARD

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Wer sich in Sicherheit wiegt, hat schon verloren. Dieser exzellente Mafiakrimi aus Wien gehorcht dieser Maxime sowohl in Gesprächs- als auch in Kampfzenen. Er gewinnt seine Dynamik und Spannung vor allem daraus, wie die Figuren aus Positionen vermeintlicher Schwäche das Gegenüber über den Tisch ziehen oder auf die Matte knallen. Wortgefechte, Knochenbrüche, hier vollzieht sich beides auf höchstem Niveau.

Das mit den Knochenbrüchen geht zum Beispiel so: Baut sich ein Typ mit weit aufgeknöpftem Hemd im Kampfsportkeller vor einer jungen Frau auf, die einen Kopf kleiner ist, und lässt Karate-Gott-artig die Arme durch die Luft kreisen. Spritzt die Frau dem Möchtegern-Bruce-Lee erst Pfefferspray ins Gesicht, verpasst ihm dann aus dem Überraschungsmoment eine mit der Rechten und schließlich eine Kopfnuss, um ihm am Boden die Hand zu verdrehen. Treffer, verrenkt.


Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), Bibi Fellner (Adele Neuhauser): Ausgetrickst?

Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), Bibi Fellner (Adele Neuhauser): Ausgetrickst?


Foto: Felix Vratny / ORF / ARD

Die junge Frau mit der filigranen Rechten und der Stirn aus Stahl ist Azra, Junkietochter, Straßenkind, Türsteherin und V-Frau für die Kripo. Der am Boden, der vor Schmerz schreit, ist der Sohn des georgischen Paten von Wien. Mit dem Schaukampf versucht sich Azra dem Alten als Personenschützerin anzudienen. Der Mafiaboss schwebt in Lebensgefahr; gerade wurde sein Bruder auf dem Parkplatz vor dem Klub der Familie erschossen. Ist das eine Folge von Revierkämpfen mit anderen Clans oder ein interner Zwist in der Familie? Azra soll unter der Bodyguard-Identität Informationen für das Ermittlerduo Eisner (Harald Krassnitzer) und Fellner (Adele Neuhauser) herbeischaffen.

Im Netz der georgischen Mafia

Dieser »Tatort« handelt zwar von der georgischen Mafia, die in Wien eng vernetzt mit Politikern und Industriellen sein soll. Aber es geht weniger um große Geschäfte und fette Villen, um Clan-Folklore und archaische Blutrache, sondern vielmehr darum, wer wann wem welche Information unterjubeln oder vorenthalten kann.



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Kommissar-Karussell: Alle »Tatort«-Teams im Überblick

Foto: Hardy Spitz / MDR

»Azra«, so der Episodentitel, ist weniger Mafia-Oper als Trickserinnen-Thriller. Dass er bei aller Verspieltheit mit enormer emotionaler Wucht daherkommt, liegt auch an der serbisch-libanesisch-österreichischen Schauspielerin Mariam Hage, die bei der Verkörperung der Knochenbrecherin hinter dem Getrickse und Gekeile eine große Tragik erahnen lässt.

Der Wien-»Tatort« hat zur Zeit ja einen einen Super-Lauf . Tempo, Tiefe und guter sarkastischer Humor gehen hier brillant zusammen. Auch diese Folge hat eine enorme Geschwindigkeit, aber die Verantwortlichen (Buch: Sarah Wassermair, Regie: Dominik Hartl) verstehen es, zentrale Informationen über lange Strecken zurückzuhalten, so dass man mit den Ermittlern im Ungefähren verharrt. Dazu wird geschickt mit der Erzählzeit gespielt. Ellipsen und Echtzeit wechseln sich stetig ab.

Das Ermittlerduo verliert dabei zusehends die Souveränität, da seine taktischen Züge oft schon von den Gegnern eingepreist sind. Grandiose Szene: Die getriebenen Fellner und Eisner fühlen sich ganz ausgebufft und hecken aus, wie sie einen festgesetzten Mafia-Handlanger in der Vernehmung manipulieren wollen, so dass sie ihn für ihre Zwecke einspannen können.

Der Mann, der ausgetrickst werden soll, empfängt die beiden mit einem Lächeln: »Ich kann es von hier aus riechen, Sie brauchen meine Hilfe.« Hatten Eisner und Fellner in ihrem Stress wahrscheinlich schon wieder vergessen: Wer sich in Sicherheit wiegt, hat schon verloren.

Bewertung: 9 von 10 Punkten

»Tatort: Azra«, Pfingstmontag (!), 20.15 Uhr, Das Erste