Wenn jener Friedhof jener Kuscheltiere noch sachte zuckt

In den Installationen von Precious Okoyomon gedeihen Flora und Fauna, da wuchern die Träume und Alpträume nur so. Jetzt hat der Shootingstar der zeitgenössischen Kunst eine Ausstellung in Bregenz und will von seinem Publikum einige sehr persönliche Dinge wissen.

Die Gewissensbisse, die Kinder mit in die Schau von Precious Okoyomon im Kunsthaus Bregenz genommen zu haben, kommen im ersten Obergeschoss. Denn, wie nicht anders zu erwarten, in ihrem Alter fliegen sie geradezu auf die Plüschfiguren, die ihrerseits mit Flügeln aus echten Vogelfedern ausgestattet sind. Doch die flattern nicht, sondern wippen nur sachte. Was auch für Kinderaugen lediglich ein paar Momente lang süß und putzig wirkt, ist nämlich ein verstörender Friedhof der Kuscheltiere.

Die Stoffungetüme bestehen aus nicht zueinanderpassenden Teilen, sie wurden aus verschiedenen Plüschspielzeugen an Schultern und Hüfte auseinandergeschnitten, zu Schimären neu zusammengenäht und an Hanfseilen aufgehängt. Wurden sie, oder haben sich die Kuscheltiere mit ihren fremden, aufgenähten Augen selbst erhängt? Versteckte Motoren in der Decke geben den Schlingen um ihre Hälse einen Impuls, der sie kaum merklich zucken lässt.

Ein Stockwerk darüber – in Peter Zumthors unweit des Bodensees sorgsam gefügter Architekturikone aus Sichtbeton und Milchglas – liegt ein gigantischer Plüschbär auf einem rosa Teppich. Ist er tot? Oder träumt er im Wachkoma? Kinder dürfen auf ihm herumklettern, wenn sie vorher die Schuhe ausziehen. „Aber nicht auf dem Kopf“, ermahnt der Wachschutz des Museums für zeitgenössische Kunst. Die da so unbedarft den Bären in Beschlag nehmen, müssen sich nicht fragen, was die Werke der nigerianisch-amerikanischen und nonbinär gegenderten Kunstschaffenden Precious Okomoyon (geboren 1993) mit Spiritualität, Identität und Kolonialgeschichte zu tun haben soll. Darauf macht die Besucher jedenfalls der Flyer zur Bregenzer Ausstellung aufmerksam.

Okoyomon ist spätestens seit der Kunstbiennale von Venedig 2022 bekannt. Da durfte sie den letzten Raum des Ausstellungsteils im Arsenale gestalten. Ein dunkler, feuchter, aromatisch schwerer Garten musste vom Publikum noch auf geschwungenen Wegen durchquert werden, bevor es wieder nach draußen in die Kunst-Freiheit entlassen wurden. Erdskulpturen in Gestalt von archaischen Fruchtbarkeitsgöttinnen wuchsen dort aus dem Boden, kultivierte Pflanzen wucherten in Beeten, verströmten einen geheimnisvollen Duft.

Darunter, so lernte man, war auch die kletternde Kudzu, eine Schlingpflanze aus der Familie der Hülsenfruchtgewächse, die wild in Ostasien wächst, aber Ende des 19. Jahrhunderts in die USA eingeführt wurde. Dort sollte sie den ausgelaugten Böden der Baumwollplantagen zu neuem Nährstoffreichtum verhelfen. Doch wie viele Neophyten breitete sie sich aus – ein Inbegriff der invasiven Art. In einer Kunstinstallation ist das mehrfach metaphorisch zu verstehen.

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Von ganz oben im Turmbau des Kunsthaus Bregenz weht warm-humide Luft die Treppe hinunter. Auch dort hat Okoyomon einen Garten anpflanzen lassen. Hier duftet es besonders aufdringlich – beziehungsweise verführerisch. Jedenfalls für die Schmetterlinge, die dort nicht nur hinter Netzvorhängen herumflattern und aus den Blütendolden Nektar saugen.

Die Falter sollen hier auch schlüpfen, einfach mal nur Raupe sein dürfen, sich irgendwann verpuppen und die Metamorphose durchleben (alles in der Ausstellungslaufzeit bis Ende Mai? Und dann? Das Schmetterlingshaus auf der Bodenseeinsel Mainau ist jedenfalls beratend dabei.), ehe sie sich wohl gern auf den Fußboden setzen, wo man – so warnt die Aufsicht – sie bitte nicht zertreten soll.

Während die Kinder neugierig auf Schmetterlingsjagd gehen, fragt man sich, ob der Trend zum lebenden Getier in der zeitgenössischen Kunst irgendwann wieder aufhört. Aber irgendwie gehört das wohl seit Joseph Beuys’ Schakalen und den Hunden und Bienen von Pierre Huyghe dazu. Hinter einem weiteren Vorhang flimmert ein Video, aufgenommen aus einem Propellerflugzeugflug über dem Hudson River – Okoyomon fliegt selbst.

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„Denken Sie sorgfältig nach: Was BRAUCHEN Sie zum Leben?“ Diese Frage zu beantworten, fällt nun jedenfalls ein bisschen leichter. Sie gehört zu einem Fragenkatalog, den Okoyomon im Erdgeschoss des Museums ausgelegt hatte. Zwei betretbare Boxen sind dort in der Art von altmodischen Behandlungszimmern ausgestattet. Ein Bett, ein Schrank, ein Tischchen; ein Bücherregal, eine Liege, ein Schreibtisch, darauf Abreißzettel mit Durchschlag. Den Fragenkatalog bittet Okoyomon zu beantworten („Bitte lügen Sie nicht“), um das Material für zukünftige Arbeiten zu verwenden.

„Was ist Ihr unentdeckter Schatten?“ – „Sagen Sie mir, wie Sie in einer Sprache außerhalb Ihrer selbst sprechen.“ – „Was geben Sie vor, nicht zu wissen?“ Tja, so schnell wie man Okoyomons possierliche Ausstellungsstücke erfasst, wird man aus diesem Therapiezimmer nicht entlassen. Vielleicht hilft die Buchauslage auf die Sprünge.

Im Regal steht der aktuelle Handapparat des zurzeit inständig nach psychologischer, emotionaler und postkolonialer Heilung suchenden Kunstbetriebs. Alles da, was im vorherrschenden Diskurs zitiert wird: „Das rote Buch“ vom von Okoyomon verehrten Schweizer Psychiater C. G. Jung, das erst 50 Jahre nach seinem Tod entdeckt wurde und von seinem Verlag als das „mythopoetische Manifest einer postchristlichen Spiritualität“ beworben wird. „All About Love“, eine feministische Ethik der Liebe von der amerikanischen Intersektionalistin Bell Hooks liegt parat. Und einige Bücher von Édouard Glissant, dem angesagten Theoretiker einer „opaken“ Identität, dürfen natürlich nicht fehlen.

Kuscheln, lesen, schreiben, selber malen, das Publikum hat in der Ausstellung die Qual der Wahl. „Kollektives Träumen“ beschäftige sie, sagte Okoyomon zur Eröffnung, unsere „Fragilisierung“. Neben der Psychoanalyse-Couch – Okoyomon selbst besucht den Analytiker zweimal pro Woche – liegt auf dem Schreibtisch ein weiterer Abreißzettelstoß mit vielen Fragen. Und dem Wunsch Okoyomons, ein Tier zu aquarellieren. Und noch eins. „Sind Sie ein diasporischer Cyborg.“ – „Fühlen Sie sich wohl?“ Ganz unten auf dem Ausfüllblatt steht, dass man die gelben Durchschläge behalten darf. Ist vielleicht ratsam, falls Nebenwirkungen nach dieser Ausstellungs-Behandlung auftreten.

„Precious Okoyomon. One Either Loves Oneself or Knows Oneself“, bis zum 25. Mai 2025, Kunsthaus Bregenz, Österreich

Source: welt.de