VW steht vor schmerzhaften Entscheidungen

In der Regel schlägt Arno Antlitz nüchterne Töne an. Der Finanzvorstand des Volkswagen -Konzerns ist schon qua Amt ein Zahlenmann, der sich eher auf Fakten beschränkt, als rhe­torisch aufzutrumpfen. Doch in der aktuellen Krise bemüht sich der 54 Jahre alte Topmanager sichtlich, den Konzern auf­zurütteln. Man stehe vor „wesent­lichen und schmerzhaften“ Entscheidungen, sagte er am Mittwoch in einer Telefonkonferenz mit Finanzfachleuten und Journalisten. Es sei die „gemeinsame Verantwortung“ aller Beteiligten, Europas größten Autohersteller jetzt in eine gute und sichere Zukunft zu führen. „Das sind wir den kommenden Generationen schuldig“, fügte er hinzu.

Aus Sicht von Antlitz untermauern die am Mittwoch vorgelegten Zahlen für das dritte Quartal den Ernst der Lage. Probleme in der Lieferkette, Kosten für den Konzernumbau und Gegenwind in wichtigen Märkten haben das Ergebnis des Auto­herstellers im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 40 Prozent auf 2,9 Milliarden Euro absacken lassen. Die ope­rative Rendite verschlechterte sich von 6,2 auf 3,6 Prozent. Unter anderem weil es für VW auch im einstigen Wachstumsmarkt China schlecht läuft, gab der Gewinn nach Steuern gar um 64 Prozent auf etwa 1,6 Milliarden Euro nach.

Pauschale Senkung der Entgelte um zehn Prozent

Parallel zur Präsentation versammelten sich am Vormittag Vertreter des Konzerns und der IG Metall zur zweiten Verhandlungsrunde für einen neuen Haus­tarif. Wie schon bekannt geworden war, fordert das Management eine pauschale Senkung der Entgelte um zehn Prozent. Bonuszahlungen für hoch bezahlte Spezia­listen sollen neu organisiert werden, be­stimmte Zulagen wegfallen. Arne Meis­winkel, Verhandlungsführer des Konzerns, verwies auf die unverändert schlechte Situation der Stammmarke VW. Ihre Rendite reiche nicht, um selbständig in die Zukunft investieren zu können. „Der Handlungsbedarf erhöht sich massiv – für uns alle.“ Das Management schließt Entlassungen im großen Stil nicht aus, und es erwägt, drei Werke zu schließen. Eine Annäherung habe es nicht gegeben, aber zumindest lägen nun konkrete Vorschläge des Managements vor, auf deren Basis man weiter verhandeln könne, hieß es nach dem Treffen von der IG Metall. Die nächste Sitzung ist für den 21. November angesetzt.

Schon lange ringt Europas größter Autohersteller um Einsparungen. Wie schwierig das Umfeld ist, zeigt die Lage in vielen Märkten. So ist der Weltmarkt für Autos und leichte Nutzfahrzeuge in der Zeit von Januar bis September mit 57 Millionen Autos gegenüber der Vor­jahreszeit kaum von der Stelle gekommen. In Westeuropa herrscht Stagnation, Amerika wächst nur leicht, ebenso wie China, wo lokale Rivalen immer mehr Markt­anteile übernehmen. In diesem Umfeld hat die Stammmarke VW binnen Jahresfrist eine Rendite von etwa zwei Prozent erreicht, wie aus den am Mittwoch ver­öffentlichten Zahlen hervorgeht. Sie liegt damit weit unter dem Ziel 6,5 Prozent bis 2026.

Auch die Markengruppe „Progressive“ um die VW-Konzernmarke Audi gab in den ersten neun Monaten nach – ihre Rendite sackte von 9,1 auf 4,5 Prozent ab. Ausschlaggebend waren unter anderem Sonderkosten für die geplante Schließung des Werks in Brüssel, wo die Produktion voraussichtlich im Februar enden soll. Die Zahlen von Porsche waren schon bekannt. Vom Umsatz des Sportwagenherstellers blieben im Jahresverlauf 14,6 Prozent als Gewinn hängen nach 18,8 Prozent im entsprechenden Vorjahreszeitraum.

Finanzfachleute finden aber auch positive Aspekte. Jose Asumendi von der US-Bank J.P. Morgan verweist auf einen ermutigenden Auftragseingang des VW-Konzerns, vor allem im dritten Quartal. Aus Sicht von Daniel Schwarz, Analyst der Investmentbank Stifel, fiel auch das operative Ergebnis angesichts der Ende September verkündeten jüngsten Ergebniswarnung besser aus als befürchtet. In einer ersten Reaktion der Börse am Vormittag legte der Aktienkurs um mehr als zwei Prozent zu, büßte dann aber einen Teil der Zugewinne wieder ein und lag später mit etwas mehr als 90 Euro noch leicht im Plus. Auf Halbjahresbasis hat die Aktie des VW-Konzerns mehr als 20 Prozent an Wert verloren.

Bezahlbare, wettbewerbsfähige Preise erfordern eine wettbewerbsfähige Kostenbasis

Finanzvorstand Antlitz, als „Chief Operating Officer“ gleichzeitig für die Steuerung weiter Teile des Tagesgeschäfts verantwortlich, verwies auf eine Vielzahl neuer Modelle, die in den kommenden Monaten und Jahren für Impulse sorgten. Besonders hob er die geplanten günstigen Modelle hervor, etwa den elek­trischen ID.2, der 2026 für einen Preis um 25.000 Euro auf den Markt kommen soll. „Von Volkswagen werden immer wieder Fahrzeuge im Einstiegssegment gefordert, insbesondere Elektrofahrzeuge“, sagte er. „Bezahlbare, wett­bewerbsfähige Preise kann man aber nur anbieten, wenn man eine wettbewerbs­fähige Kostenbasis hat.“

Als positives Beispiel nannte er die tschechische Volumenmarke Škoda. Sie erreichte in den ersten neun Monaten ei­ne operative Rendite von mehr als acht Prozent. Das liege vor allem an der „wettbewerbsfähigen Kostenbasis“, betonte Ant­litz. In Wolfsburg hält man den Vergleich allerdings seit jeher für unfair. Škoda profitiere von Entwicklungsleistungen der Ingenieure am Wolfsburger Stammsitz, heißt es stets. Außerdem sei die Ar­beit in der Tschechischen Republik mit ih­ren generell niedrigeren Löhnen nicht vergleichbar mit Deutschland.

Zum Streit mit dem Betriebsrat sagte der Finanzchef, man wolle schnell zu ei­ner Lösung kommen. Wichtiger als die Geschwindigkeit sei aber, dass der Konzern eine Lösung finde, um dauerhaft wettbewerbsfähiger zu werden. Ob noch dieses Jahr ein Ergebnis stehe, sei offen. In dem Streit geht es um 120.000 Beschäftigte der Volkswagen AG in Deutschland. Der Betriebsrat warnt, dass Zehntausende Stellen in Gefahr sind.