Supreme Court: Wie mächtig darf ein US-Präsident sein?

Seit Februar befasst sich der Oberste Gerichtshof in Washington, D. C., mit der möglichen Immunität von Ex-US-Präsident Donald Trump vor Strafverfolgung. Eine Entscheidung wird spätestens Anfang Juli erwartet. Ein Ziel hat Donald Trump mit dem Verfahren aber bereits erreicht. Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Worum geht es in dem Fall um Donald Trumps Immunität?

Donald Trump hat auf „absolute präsidentielle Immunität“ vor Strafverfolgung für Handlungen während seiner Amtszeit geklagt. Eine solche Immunität macht der Ex-Präsident für sich konkret mit Blick auf das Strafverfahren gegen ihn wegen mutmaßlicher Wahlmanipulation geltend.

Trump ist in Washington, D. C., im Zusammenhang mit seiner Rolle beim Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 wegen Verschwörung und versuchten Wahlbetrugs angeklagt. Trumps Anwälte haben gefordert, dass diese Anklage fallen gelassen werden solle, da Handlungen des Präsidenten auch nach dessen Amtszeit einer Immunität unterlägen. Die zuständige Bundesrichterin Tanya Chutkan wies dies zurück, ein Berufungsgericht gab ihr recht. Trump zog daraufhin vor den Supreme Court, der den Fall im Februar annahm und sich seither damit befasst.

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Wie argumentieren Donald Trump und seine Anwälte?

Trumps zentrales Argument lautet: Hätte ein Präsident keine absolute Immunität, könnte er sein Amt nicht richtig ausführen. „Wenn man keine Immunität hat, wird man nichts machen. Dann wird man nur ein zeremonieller Präsident“, sagte er im April. Und sein Anwalt John Sauer warnte bei einer Anhörung vor dem Supreme Court im selben Monat, dass es ohne präsidentielle Immunität vor Strafverfolgung keine Präsidentschaft in den USA mehr geben werde, „wie wir sie kennen“. Eine drohende Strafverfolgung nach ihrer Amtszeit würde Präsidenten davon abhalten, mutige Entscheidungen zu treffen, sagte er. Auch für Trumps Nachfolger im Amt könne ein Wegfall der präsidentiellen Immunität Folgen haben, argumentierte Sauer und suggerierte, dass Joe Biden nach seiner Amtszeit strafrechtlich im Zusammenhang mit seiner Migrationspolitik belangt werden könnte.

Laut Sauer obliegt es im US-amerikanischen System grundsätzlich nicht der Justiz, sondern dem Kongress, festzustellen, ob ein Präsident sich einer Straftat schuldig gemacht hat. Ein Präsident könne nur dann wegen Taten während seiner Amtszeit strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, wenn der Senat ihn zuvor seines Amtes enthoben habe. Zwei solcher Impeachmentverfahren gegen Trump sind an den Republikanern im Senat gescheitert.

Im Einzelfall kommt es Sauer zufolge darauf an, ob die Handlung eines Präsidenten eine offizielle Amtshandlung ist oder eine private. Trumps Agieren nach der Präsidentenwahl 2020 – also auch im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol – gehörte dem Anwalt zufolge zu Trumps offiziellen Pflichten als Präsident.

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Wie argumentiert die Gegenseite?

In den bisherigen Instanzen sind Trumps Anwälte mit ihrer Argumentation gescheitert. Einem ehemaligen Präsidenten absolute Immunität zu gewähren, untergrabe die Aufgabe der Justiz, bei der
Strafverfolgung Gerechtigkeit walten zu lassen, entschieden die Gerichte. Zudem stützten Text und Geschichte der US-Verfassung nicht die Auffassung, dass ein Präsident für alle Amtshandlungen während seiner Amtszeit vor Strafverfolgung geschützt sei. Die Staatsanwaltschaft argumentierte darüber hinaus, der Versuch der Wahlbeeinflussung zähle nicht zu den offiziellen Aufgaben eines US-Präsidenten.

Aus Sicht von Michael Dreeben, der in dem Verfahren vor dem Supreme Court Kapitol-Sturm-Sonderermittler Jack Smith vertritt, bekämen künftige Präsidenten einen Freibrief für Straftaten, sollten die Richter Trumps Argumentation folgen. So wäre es denkbar, dass ein Präsident kurz vor dem Ende seiner Amtszeit ein Verbrechen begehe, ohne dass der Kongress genug Zeit habe, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Der Präsident stünde damit faktisch über dem Gesetz.

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Auf welcher Grundlage entscheidet der Supreme Court über Trumps Immunität?

„Der Text der Verfassung sagt explizit nichts über die Immunität des Präsidenten aus“, sagt Trevor Morrison, Verfassungsrechtler an der New York University. Allerdings habe der Supreme Court in der Vergangenheit Amtsträgern wie Richtern und Staatsanwälten Immunität zuerkannt, obwohl der Verfassungstext auch diesbezüglich keine expliziten Regelungen enthalte.

Traditionell herrscht im US-Justizsystem zudem die Auffassung, dass Präsidenten während ihrer Amtszeit nicht angeklagt werden können. Da vor Trump noch nie ein Präsident in der US-Geschichte wegen einer Straftat vor Gericht stand, handelt es sich bei dem derzeitigen Verfahren vor dem Supreme Court um einen Präzedenzfall. „Was auch immer wir entscheiden, wird für alle künftigen Präsidenten gelten“, sagte der konservative Richter Samuel Alito.

Zwar hat sich der Supreme Court schon einmal mit der präsidentiellen Immunität befasst: im sogenannten Fall Nixon v. Fitzgerald 1982. Damals ging es aber um die zivilrechtliche, nicht die strafrechtliche Haftbarkeit des früheren Präsidenten Richard Nixon. Mit einer Mehrheit von fünf zu vier Stimmen gestand das oberste Gericht dem Republikaner eine umfassende Immunität vor zivilrechtlicher Verantwortung zu. Einer strafrechtlichen Verfolgung im Zusammenhang mit der Watergate-Affäre entging Nixon wiederum, weil sein Nachfolger Gerald Ford ihn noch vor einer möglichen Anklage begnadigte.

Grundlegend für die Entscheidung des Supreme Courts im gegenwärtigen Verfahren dürfte sein, wo die Richterinnen und Richter die Grenze zwischen offiziellen und privaten Handlungen im Amt ziehen. In der Anhörung Ende April spielten sie dabei zahlreiche hypothetische Szenarien mit Trumps Anwalt durch. Die liberale Richterin Sonia Sotomayor fragte Sauer etwa: „Was ist, wenn der Präsident entscheidet, dass sein Rivale korrupt ist, und er dem Militär oder jemand anderem befiehlt, ihn zu ermorden? Wäre dies im Rahmen seiner offiziellen Amtshandlungen und er wäre immun vor Strafverfolgung?“ Sauer antwortete darauf ausweichend, gab aber letztlich zu erkennen, dass nach seiner Lesart eine Immunität selbst im Falle einer solchen Straftat gegeben sei.

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Warum ist der Zeitpunkt des Urteils so wichtig?

Gerechnet wird mit dem Urteil Ende Juni oder Anfang Juli. Sein zentrales Ziel hat Trump aus Sicht seiner Kritiker aber jetzt schon erreicht: die Verzögerung des Wahlbetrugsprozesses. Dieser hätte ursprünglich bereits am 4. März starten sollen, was Trumps Anwälte durch die erfolgreiche Klage beim Supreme Court verhinderten. Inzwischen gilt es als zweifelhaft, dass der Prozess vor der Präsidentschaftswahl im November starten kann. Sollte Trump diese gewinnen, würde er mit großer Wahrscheinlichkeit beim Justizministerium die Einstellung des Verfahrens anordnen – oder sich nach einer Verurteilung womöglich selbst begnadigen.

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Wie wahrscheinlich ist es, dass der Supreme Court Trump absolute Straffreiheit gewährt?

Dass die Richterinnen und Richter Trumps Argumentation in Gänze folgen, gilt als unwahrscheinlich. Bei der Anhörung im April zeigten sich mehrere von ihnen skeptisch hinsichtlich einer absoluten präsidentiellen Immunität, darunter auch die konservative Richterin Amy Coney Barrett, die von Trump selbst ernannt worden war.

Zugleich wurde in der Anhörung deutlich, dass vor allem die konservativen Richter eine begrenzte Immunität von Präsidenten auch vor strafrechtlicher Verfolgung unterstützen. In diesem Zusammenhang äußerte sich unter anderem der Vorsitzende Richter John Roberts kritisch über die Begründung des Berufungsgerichts in Washington, D. C., das Trumps Antrag auf Immunität unter Verweis auf den Verfassungstext abgelehnt hatte. Einige Rechtsexperten erwarten deshalb, dass der Supreme Court kein eindeutiges Urteil zur präsidentiellen Immunität abgeben wird. Womöglich könnten die obersten Richter den Fall auch zurück an die Vorinstanz überweisen. In diesem Fall würde sich auch der Prozess gegen Trump wegen Wahlmanipulation noch weiter verzögern.

Der New Yorker Verfassungsrechtler Trevor Morrison hält es für nahezu ausgeschlossen, dass der Supreme Court Trump absolute Straffreiheit gewährt. Selbst ein Richterspruch, der eine begrenzte Immunität für Ex-Präsidenten gegen strafrechtliche Anklagen im Zusammenhang mit ihren offiziellen Amtshandlungen feststellen würde, ist aus seiner Sicht eher unwahrscheinlich. „Doch selbst falls es so weit kommt, könnten einige der Anklagen gegen Trump noch fortgesetzt werden“, sagt Morrison. So habe sogar Trumps eigener Anwalt in der mündlichen Verhandlung zugegeben, dass einige Anklagen gegen den Ex-Präsidenten Handlungen betreffen, „die unmöglich als offizielle Präsidentenhandlungen betrachtet werden können“.

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