Schwangerschaftsabbruch: Kippt welcher Paragraf 218 noch?

Ist dieser Bundestag, kurz vor der Vertrauensfrage und der anschließenden Neuwahl, vielleicht doch noch zu einer historischen Reform in der Lage? Eine Reihe von Politikerinnen und Politikern von SPD, Grünen und Linken will es zumindest versuchen: mit einer Neuregelung von Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs, der Schwangerschaftsabbrüche bisher als grundsätzlich rechtswidrig einstuft.

Wenn in Deutschland über Abbrüche diskutiert wird, fällt ein Satz häufig: Die aktuelle rechtliche Regelung sei ein guter Kompromiss, der einen gesellschaftlichen Großkonflikt befriedet habe. Nach diesem Kompromiss bleibt eine ungewollt Schwangere im Falle eines Abbruchs in den ersten zwölf Wochen straffrei – wenn sie sich vorher beraten lässt und danach bis zum Eingriff drei Tage Wartezeit einhält. 

Doch viele Ärztinnen, Juristen und Feministinnen kritisieren diese Regelung, die nun seit fast 30 Jahren gilt. Es gebe kein Gesetz, das in gleicher Weise in das Selbstbestimmungsrecht von Männern über ihren Körper eingreife. Inzwischen gibt es zudem ein handfestes Versorgungsproblem: Schwangere, die eine Schwangerschaft beenden wollen, haben in Deutschland zunehmend Probleme, Ärzte zu finden, die den Eingriff vornehmen.  

Der nächste Bundestag wird aller Voraussicht nach erheblich konservativer, der nun vorliegende Antrag dürfte somit auf längere Sicht die letzte Chance sein, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren. An diesem Donnerstag ist das Gesetzesvorhaben zur ersten Lesung im Bundestag. Doch inzwischen gibt es sogar Probleme, den Antrag überhaupt zur Abstimmung zu bringen: Union und FDP blockieren, doch auch Grüne und SPD zögern, das Thema offiziell auf ihre politische Agenda zu setzen. Dabei hatten gerade sie sich immer für das Vorhaben starkgemacht.

Wie ist es dazu gekommen?

Auch Grüne und SPD zögern

Schwangerschaftsabbrüche zu regeln, ist komplex. Das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person und der Schutz des ungeborenen Lebens müssen gegeneinander abgewogen werden. Die heutige Regelung ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt, das in dieser Frage zwei Grundsatzurteile gefällt hat. Demnach muss ein Schwangerschaftsabbruch zumindest grundsätzlich rechtswidrig bleiben, weil der Staat verpflichtet ist, ungeborenes Leben zu schützen. Das letzte dieser Urteile stammt allerdings aus dem Jahr 1993 – und lässt dem heutigen Gesetzgeber durchaus Spielräume, bei dieser Entscheidung neu zu gewichten. 

Ein gemeinsamer Gesetzentwurf der Ampel zu dem Thema, den man sich in der SPD und bei den Grünen vorstellen konnte, scheiterte zunächst an der FDP. „Das hielt und hält meine Fraktion bei einem medizinethischen Thema für grundfalsch“, sagt die rechtspolitische Sprecherin der FDP, Katrin Helling-Plahr, ZEIT ONLINE. Schon im Rahmen der Koalitionsverhandlungen konnten sich die Partner nur darauf einigen, eine Expertenkommission zum Thema Schwangerschaftsabbrüche einzusetzen.  

Deren Bericht im April dieses Jahres fiel eindeutig aus – mindestens in den ersten zwölf Wochen solle der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts geregelt werden. Sogar eine Ausweitung der Frist bis zur 22. Woche und ein Streichen der Beratungspflicht seien möglich. Die FDP blieb bei ihrer ablehnenden Haltung – doch plötzlich zögerten auch SPD und Grüne. Über zwei Monate dauerte es, bis die SPD zu dem Bericht der Kommission ein „Positionspapier“ veröffentlichte. Darin bekräftigt sie die Forderung, den Schwangerschaftsabbruch neu zu regeln, schlug aber keine konkreten Schritte vor.

Sollte man sich damals zugunsten der FDP zurückgehalten haben, so ist dies nach dem Ende der Ampelregierung kein Hindernis mehr. Doch auch heute stellen sich weiterhin nur einzelne Abgeordnete von SPD und Grünen hinter das Anliegen.

Die FDP bleibt bei ihrer Ablehnung

Die FDP lehnt das Anliegen bis heute ab. Dabei ist das Thema urliberal: Warum ohne Not mit den Mitteln des Strafrechts in einen Kernbereich persönlicher Eigenverantwortung eingreifen? Wie ihr Parteichef Christian Lindner stellt sich auch die rechtspolitische Sprecherin Katrin Helling-Plahr weiter gegen eine Reform des Paragrafen 218. Sie frage sich, was dadurch gewonnen werde außer einer gesellschaftlich aufgeheizten Debatte. „Was die Initiatorinnen des Gruppenantrags machen, ist reiner Show-Wahlkampf, der dem Thema überhaupt nicht gerecht wird“, sagt Helling-Plahr. Es blieben bis zur Neuwahl Ende Februar schlicht nicht genug Sitzungswochen, um das Gesetzgebungsverfahren abzuschließen. 

Dieses Argument hört man in diesen Tagen oft, vor allem aus der Union und der FDP. Tatsächlich ist die Zeit knapp, aber Eile bei Gesetzgebungsverfahren auch nichts Ungewöhnliches. Über gesellschaftspolitisch herausfordernde Themen hat der Bundestag schon binnen kürzester Zeit entschieden – etwa 2017 bei der Ehe für alle. Zwei Tage dauerte es damals von der Beratung im Rechtsausschuss bis zur Abstimmung im Plenum. Auch wenn die Entscheidung zwischen dem Schutz ungeborenen Lebens und dem Recht der Frauen auf ihren Körper eine vergleichsweise komplexe Angelegenheit ist: Die Grundsätzlichkeiten wurden nicht zuletzt durch die Expertenkommission ausgeleuchtet. Zeitnot allein kann den Kritikern und Kritikerinnen zufolge daher eigentlich nicht der ausschlaggebende Grund sein.