Scheidender Marquardt-Chef: „Jede hohe Lohnforderung gefährdet Arbeitsplätze“
Vor einem Jahr hat Harald Marquardt noch ganz allein auf dem Podium während der Bilanzpressekonferenz gesessen, am Mittwoch zur Vorstellung der Zahlen für das Jahr 2023 hatte der Vorstandschef des Autozulieferers Marquardt dann fünf Manager an seiner Seite – unter anderem den früheren Hella-Geschäftsführer Björn Twiehaus, der Marquardt Ende des Jahres nachfolgen wird. Mit diesem Wechsel endet eine Ära: Erstmals in der fast 100 Jahre währenden Geschichte des Unternehmens mit Sitz in Rietheim-Weilheim bei Tuttlingen rückt ein Manager an die Spitze, der nicht den Familien der zwei Gründer entstammt.
In der Person Harald Marquardts, der den Zulieferer seit dem Jahr 1996 führt, gibt in wenigen Monaten ein Unternehmer die operative Verantwortung seines Familienunternehmens ab, der wie wenige andere leidenschaftlich für die Belange von kleinen Zulieferern und mittelständischen Industriebetrieben in Baden-Württemberg gestritten hat.
Der 63 Jahre alte Unternehmer tut das in einer Zeit, in der sein Unternehmen in der für viele Zulieferer so typischen Krise steckt: Marquardt hat in den vergangenen Jahren in Werke für Komponenten für die Elektromobilität investiert, die Abrufe der Autohersteller kommen jedoch nicht wie geplant. „Zum Teil nehmen uns die Kunden nur 40 Prozent der vereinbarten Menge ab“, sagte Marquardt. „Wir haben Maschinen, die im Drei-Schicht-Betrieb laufen sollten und nun maximal eine Schicht in Betrieb sind.“
Umsatz sinkt, das Ergebnis erreicht eine schwarze Null
Die letzte Bilanz, die der Unternehmer nun vorgestellt hat, spiegelt das wider. Der Umsatz sank um 2 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro. „Beim Ergebnis haben wir immerhin noch eine schwarze Null erreicht“, erklärte Marquardt. Das sei deutlich unter den Ergebniserwartungen, die operative Umsatzrendite liege zwischen 0 und 2 Prozent. „Das ist viel zu wenig, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen und die Entwicklungen zu finanzieren, dafür brauchen wir eine Rendite von mindestens 6 Prozent“, erläuterte Marquardt weiter. „Weil die Werke nicht ausgelastet sind, mussten wir im vergangenen Jahr auch die Zahl der Mitarbeiter anpassen.“
Im Jahr 2023 hat das Unternehmen weltweit 700 Stellen abgebaut, davon 150 in Deutschland, so dass Marquardt Ende 2023 in Deutschland noch etwas mehr als 2500 Mitarbeiter von weltweit insgesamt 10.000 Mitarbeitern beschäftigt hat. Im laufenden Jahr wird der Zulieferer in Deutschland weitere 150 Stellen abbauen – darunter werden aller Voraussicht nach auch erstmals seit der Finanzkrise betriebsbedingte Kündigungen sein.
„Die Auftragseingänge sind seit mehr als einem Jahr Monat für Monat rückläufig. Die Polster, die wir hatten, sind abgeschmolzen“, sagte Marquardt. „Wir erfahren wenig Rückenwind von konjunktureller Seite und auch wenig Rückenwind von politischer Seite.“ Als stellvertretender Vorsitzender des Vorstands des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg hat der Unternehmer in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert, dass die Rahmenbedingungen für die Industrie sich sukzessive verschlechtern. „40 Prozent der Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg erwirtschaften eine Umsatzrendite von unter 2 Prozent, das ist zu wenig, um über die Runden zu kommen“, erklärte Marquardt. „Wenn diese Industriearbeitsplätze einmal weg sind, dann sind sie weg.“
Die Politik der Bundesregierung habe es nicht nur versäumt, die Rahmenbedingungen zu verbessern, sondern habe die Situation zuletzt immer weiter verschlechtert. Stichworte seien die Arbeitskosten, die Steuerpolitik, Energiepreise und die immer weiter zunehmende Bürokratie. „Wir haben mittlerweile 15 Mitarbeiter, die sich mit der neuen PFAS-Regulierung beschäftigen“, sagte Marquardt. „Das sind Ressourcen, die mir für Zukunftsinnovationen fehlen.“
Wenn Harald Marquardt angesichts seiner letzten Bilanzpressekonferenz wehmütig war, ließ er es sich nicht anmerken. Und auf die Frage, ob die Stimme, die die Wirtschaftspolitik seiner Heimat immer wieder so vehement kritisiert, künftig verstummen werde, wenn er seinen Posten an seinen Nachfolger übergeben habe, lachte der Unternehmer. „Als Typ kann ich mich nicht verändern, und ich werde mein Mundwerk weiter aufmachen, weil ich an einer guten Entwicklung für uns alle interessiert bin.“
Die IG Metall sollte diese Ankündigung im Hinblick auf die neue Tarifrunde im Herbst als Warnung verstehen. „Bei den Mitgliedern der Gewerkschaft müsste es angekommen sein, dass der Industrie-Standort in Gefahr ist, ich kann nur zur Zurückhaltung raten“, sagte Marquardt kämpferisch. „Jede hohe Lohnforderung gefährdet Industriearbeitsplätze im sechsstelligen Bereich.“