Otto-Gruppe: Versand-Konzern schreibt Rekordverluste – WELT

Viel Weiß, ein hoher Lichtschacht, moderne Großräume: In der neuen Zentrale von Otto scheint die Transformation des Katalogversenders in einen Online-Marktplatz bestens geglückt. Zumindest architektonisch, denn das gerade eröffnete Bürogebäude nutzt die bauliche Hülle eines überflüssig gewordenen Logistikbaus aus den 1960er-Jahren.

Doch die wirtschaftliche Wirklichkeit sieht weniger prachtvoll aus, wie die Bilanz für das abgelaufene Geschäftsjahr zeigt. Der US-Konzern Amazon enteilt dem deutschen Konkurrenten immer mehr – und das, obwohl sich nicht nur Otto eigentlich eine Aufholjagd vorgenommen hat.

Denn es ist nicht nur die Flaute am Online-Markt, die der Otto-Gruppe 2023/24 einen Rekordverlust beschwert hat: Bei knapp 15 Milliarden Euro Umsatz kam sie auf 426 Millionen Euro Miese. Der Umsatz sank um eine Milliarde Euro, der Verlust stieg leicht.

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POLAND - 2023/12/07: In this photo illustration a Temu logo is displayed on a smartphone with stock market percentages in the background. (Photo Illustration by Omar Marques/SOPA Images/LightRocket via Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Rasanter Aufstieg

Das liegt vor allem daran, dass Amazon – obschon längst Marktführer – immer weiter Marktanteile gewinnt. Laut dem Einzelhandelsverband beherrschte der US-Konzern 2023 stolze 60 Prozent des deutschen Online-Geschäfts. Im Vorjahr waren es noch vier Prozentpunkte weniger. Amazon lässt die Angriffe der deutschen Konkurrenten einfach an sich abperlen.

Die Zahlen belegen den Erfolg der Strategie der Amerikaner, die nicht nur Otto-Chef Alexander Birken eigentlich kopieren will: Amazon wächst dank externer Händler, die auf der Website verkaufen. Bei diesem sogenannten Marktplatzgeschäft kassiert Amazon einen Teil der Umsatz- und Werbegelder. Für die Kunden steigt so die Auswahl über die von Amazon selbst verkaufte Ware hinaus – und Amazon verdient bei geringem eigenem Risiko prächtig mit.

Otto.de kopiert Amazon-Marktplatz

Ebendieses Prinzip verfolgt nach längeren Anlaufschwierigkeiten auch Otto.de im großen Stil. Zwei Milliarden Euro Marktplatzvolumen habe Otto.de so in zwei Jahren aufgebaut. „Es gibt nicht viele Anbieter weltweit, die das schaffen“, lobte Birken sein Team – mit Ausnahme aggressiver chinesischer Anbieter wie Temu. Die Zahl der Artikel bei Otto.de hat sich dadurch auf 18 Millionen verneunfacht.

6500 externe Händler nutzen die Plattform. Meist sind das Anbieter, die bereits über Amazon verkaufen und ihre Ware zusätzlich bei Otto.de einstellen.

Quelle: Infografik WELT

Doch es gibt eine Kehrseite: Anders als bei Amazon kannibalisiert das Marktplatzwachstum bei Otto.de den angestammten eigenen Handel. Der Umsatz, der bei der Otto-Gruppe aus den Plattformen Otto.de und About You hängen bleibt, ist daher trotz des neuen Marktplatzes um 4,7 Prozent gesunken.

Bei Amazon ist das anders: Dort blieb im Deutschlandgeschäft im vergangenen Jahr das eigene Handelsvolumen stabil, während das Wachstum aus dem Marktplatzgeschäft obendrauf kam. Daher wächst Amazon unter dem Strich rasant, während Otto.de schrumpft. Das ist auch deshalb bitter, weil Otto in den Zeiten vor dem Internet als größtes Versandhaus der Welt galt.

Alexander Birken, Vorstandsvorsitzender der Otto-Group
Alexander Birken, Vorstandsvorsitzender der Otto-Group
Quelle: picture alliance / ABB

Der Umsatz von Amazon lag 2023 – inklusive IT-Dienstleistungen – allein in Deutschland bei 37,6 Milliarden Dollar, also fast sechsmal so hoch wie der Otto-Umsatz im Heimatland. Damit hat Amazon die Schwäche nach Beginn des Ukraine-Kriegs im Vorjahr bereits aufgeholt. Das Marktplatzgeschäft von Amazon ist inzwischen viermal so groß wie alle anderen deutschen Marktplätze zusammengenommen.

Mehrere neue Spieler im Marktplatzgeschäft

Der Erfolg von Amazon ist umso bemerkenswerter, da über Otto hinaus andere große Spieler in das Marktplatzgeschäft eingestiegen sind. Die Schwarz-Gruppe etwa baut das Geschäft mit Kaufland.de aus, Ceconomy hat Mediamarkt.de für Dritte geöffnet, etliche weitere Anbieter machen es ebenso.

Sie hoffen darauf, dass sie Amazon-Händler mit etwas geringeren Gebühren für sich gewinnen können. Doch letztlich zählt, wie viele Kundenkontakte eine Plattform generieren kann – und da liegt Amazons große Stärke.

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Die übrigen Anbieter sind auf der Suche nach Unterscheidungsmerkmalen: Otto.de etwa will Endkunden mit Nachhaltigkeit und der hanseatischen Herkunft überzeugen, Mediamarkt mit Sortimentskompetenz, Kaufland.de mit der Verknüpfung mit den Warenhaus-Filialen. Dennoch sank etwa bei der Kaufland-Mutter Schwarz der Online-Umsatz 2023 um 9,4 Prozent auf das Niveau von 2021, also auf 1,7 Milliarden Euro.

Wie die Lage der Branche insgesamt ist, ist strittig. Laut dem Branchenverband BEVH ist der Umsatz im deutschen Onlinehandel 2023 um 11,1 Prozent gefallen. Allerdings beruft sich der Verband dabei auf eine Verbraucherumfrage. Der Handelsverband HDE kommt unter Verweis auf das Institut IFH auf andere Zahlen: Er meldet für 2023 ein leichtes Online-Plus von einem Prozent auf 85,4 Milliarden Euro – getrieben durch Amazon.

Sparkurs bei der Otto-Gruppe

Klar ist: Bei der Otto-Gruppe ist der Konzernverlust nur deshalb nicht noch stärker angewachsen, weil sie kräftig spart. Für weite Teile des Konzerns gilt schon länger ein Einstellungsstopp. Innerhalb eines Jahres haben rund 2500 Menschen die Gruppe verlassen, die nun noch knapp 38.500 Mitarbeiter hat.

Finanzchefin Petra Scharner-Wolff, die demnächst Konzernchef Alexander Birken an der Spitze ablösen soll, hat zudem die Werbeausgaben zurückgefahren und die Spielzeug-Kette MyToys beerdigt. Ganz ohne Ärger läuft das offenbar nicht ab: Der für den Aufbau des Otto-Marktplatzes zuständige Manager, Bodo Kipper, hat Otto.de wegen „unterschiedlicher Auffassungen über die strategische Ausrichtung“ verlassen.

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Die Flaute hinterlässt in der Bilanz vielfältige Spuren: So ist der Verlust des Paketdiensts Hermes in Deutschland, an dem Otto auch nach einem Teilverkauf beteiligt ist, weiter gestiegen. Beim börsennotierten Modehändler About You wurden außerplanmäßige Abschreibungen etwa auf den Wert der Marke nötig.

Auch Beteiligungen an Start-ups sind weniger wert. Und in den USA drückt die Immobilienflaute auf die dortige Einrichtungsläden der Gruppe. Der Sparkurs führt immerhin dazu, dass die Gruppe operativ (EBIT) einen kleinen Gewinn von elf Millionen Euro schreibt. Diese Kennzahl rettete allerdings fast im Alleingang die Finanzsparte, die operativ 420 Millionen Euro verdiente: Mit dem Inkassodienstleister EOS verdienen die Hamburger seit Jahren viel Geld, das ebenso regelmäßig zu einem Gutteil im Online-Geschäft versickert. Operativ profitabel sind auch die angestammten Handelsformate wie Bonprix.

Kredite große Belastung für Otto-Gruppe

Eine erhebliche Belastung für den Konzern sind weiterhin die Kredite: Mit der Zinswende steigen die Finanzierungskosten. Netto liegen die Schulden bei 2,7 Milliarden Euro – darunter Anleihen, die auch Kleinanleger gezeichnet haben. Das hat Folgen: Die Gesellschafter, also die Familie Otto und ihre teils gemeinnützigen Stiftungen, erhielt 2023 keine Ausschüttung. Im Vorjahr flossen noch 100 Millionen Euro.

Der langjährige Aufsichtsratschef Michael Otto hat zuletzt angekündigt, den Staffelstab Ende des Jahres an seinen Sohn Benjamin weiterzureichen. An seiner Seite wird Noch-Konzernchef Birken Aufseher.

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Vom einst ausgerufenen Ziel, bis 2020 auf 17 Milliarden Euro Umsatz zu kommen, bleibt die Otto-Gruppe wohl auch im laufenden Geschäftsjahr deutlich entfernt. Zwar hoffe er auf den Marktplatz als Wachstumsmotor, doch auch 2024/25 werde die Sicherung von Profitabilität und Liquidität vorrangiges Ziel sein. Das soll dabei helfen, die Schulden zu senken. Das Umsatzziel ist daher mittlerweile bescheiden. Birken sagte: „Wir kämpfen darum, dass wir in diesem Jahr eine Umsatzstagnation erreichen.“

Source: welt.de