Ostmark: Rechtsextreme FPÖ gewinnt Wahlen, nun droht ein Kanzler Kickl

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Die rechtsextreme Freiheitliche Partei (FPÖ) hat bei den Wahlen in Österreich zum ersten Mal in der Nachkriegszeit die meisten Stimmen erhalten, nach einem Wahlkampf der Hetze gegen Migration und der Wut über die Lebenshaltungskosten. Nach den ersten Hochrechnungen lag sie drei Prozentpunkte vor der ÖVP, mehr Vorsprung, als Umfragen vorhersahen.

Nach Angaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehens erreichte die FPÖ, die im mit dem Versprechen der „Remigration“ unerwünschter Einwanderer geworben hatte, 29,1 Prozent der Stimmen; die ÖVP von Bundeskanzler Karl Nehammer erreichte 26,2 Prozent. Die oppositionelle Sozialdemokratische Partei erzielte mit 20,4 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten, während die liberalen NEOS etwa 8,8 Prozent der Stimmen erhielten. Trotz der verheerenden Überschwemmungen durch den Sturm Boris in diesem Monat, die die Klimakrise in den Vordergrund rückten, erreichten die Grünen, Juniorpartner in der Regierungskoalition, nur 8,6 Prozent.

Für die Kommunistische Partei und die unpolitische Bierpartei sah es nicht danach aus, dass sie die 4 Prozent-Hürde für eine Vertretung nehmen würden.

Die ÖVP steht für den Tabubruch des Regierens mit der FPÖ bereit

Die FPÖ und ihr polarisierender Spitzenkandidat Herbert Kickl profitierten von einem Rechtsruck in vielen Teilen Europas und nahmen sich Ungarns Viktor Orbán zum Vorbild. Sie schlugen Kapital aus den Ängsten in Bezug auf Migration, Asyl und Kriminalität, die durch die Absage von drei Taylor-Swift-Konzerten in Wien im August wegen eines angeblichen islamistischen Terroranschlags noch verstärkt wurden. Die steigende Inflation, das laue Wirtschaftswachstum und der anhaltende Unmut über die strengen Maßnahmen der Regierung während der Covid-Pandemie führten dazu, dass die FPÖ seit der letzten Wahl 2019 um 13 Prozentpunkte zulegen konnte.

Da sie die absolute Mehrheit verfehlt hat, wird die FPÖ einen Partner zum Regieren brauchen. Im Gegensatz zu den anderen Parteien der Mitte hat die ÖVP eine Zusammenarbeit mit der extremen Rechten in der nächsten Regierung nicht ausgeschlossen. Nehammer sagte jedoch, dass Kickl, ein ehemaliger Hardliner-Innenminister, als Bundeskanzler nicht in Frage käme, was zu einem potenziellen Showdown führen würde: Die FPÖ müsste in diesem Fall entweder Kickl loswerden oder sich in der Regierung zurückhalten, um die Unterstützung der ÖVP zu gewinnen.

Herbert Kickl: Wahlkampf gegen Klimaaktivisten und für zwei Geschlechter

Kickl war ein Protegé von Jörg Haider. Der ehemalige FPÖ-Chef und Kärntner Landeshauptmann, der 2008 bei einem Unfall unter Alkoholeinfluss ums Leben kam, verwandelte die von ehemaligen Nazifunktionären und SS-Offizieren gegründete Partei in jene nationalistische, islamfeindliche Truppe, die sie heute ist.

Migrantische Initiativen haben sich besorgt über die Zukunft Österreichs geäußert, das sich nach Ansicht von Kritikern nie vollständig zu seiner Nazi-Vergangenheit bekannt hat. Rabbiner Jacob Frenkel vom Zentralrat der Juden in Wien nannte die Wahl einen „Moment der Wahrheit“.

Bei seiner Abschlusskundgebung am Freitag in der Wiener Innenstadt wetterte Kickl unter großem Beifall gegen die EU-Sanktionen gegen Russland, „die Snobs, Schulleiter und Besserwisser“, gegen Klimaaktivisten und „Drag Queens in Schulen und die Frühsexualisierung unserer Kinder“. Er begrüßte eine vorgeschlagene Verfassungsänderung, die die Existenz von nur zwei Geschlechtern erklärt. Den größten Applaus erntete jedoch seine Forderung nach „Remigration“, also der zwangsweisen Abschiebung von Menschen, „die meinen, sich nicht an die Regeln der österreichischen Gesellschaft halten zu müssen“.

ÖVP kam in Sachen Rechtsruck kaum hinterher

Nehammer hat während des Wahlkampfs aktiv versucht, die harte Haltung der FPÖ in der Einwanderungsfrage zu übernehmen, die die Rechtsextremen insbesondere auf EU-Ebene durchsetzen wollen. „Die Regierung hat die Asylanträge drastisch reduziert“, sagte der Bundeskanzler am Donnerstag. „Aber wir brauchen mehr: Asylverfahren in Drittstaaten, bevor Asylsuchende durch mehrere europäische Länder kommen. Und mehr: Vollständiger Zugang zur Sozialhilfe erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Österreich.“

Es ist ein bemerkenswertes Comeback für die FPÖ, die vor fünf Jahren nach dem so genannten Ibiza-Skandal in Verruf geraten war. Damals wurde der damalige Vizekanzler und Parteivorsitzende Heinz-Christian Strache auf Video aufgenommen, als er in einem spanischen Luxusresort über eine mögliche Bestechung durch eine Frau sprach, die angeblich die Nichte eines russischen Oligarchen war.

Der in Ungnade gefallene Strache und sein Fraktionsvorsitzender Johann Gudenus, der das Treffen initiiert hatte, wurden zum Rücktritt gezwungen, was Neuwahlen auslöste, bei denen die ÖVP unter dem damaligen „Wunderkind“ Bundeskanzler Sebastian Kurz triumphierte. Zwei Jahre später zog sich Kurz im Zuge einer Korruptionsuntersuchung aus der Politik zurück.

Die letzte Legislaturperiode war für die Regierung, eine ÖVP-Koalition mit den Grünen, selbst für die barocken Maßstäbe der Politik in diesem Alpenland mit 9 Millionen Einwohnern von einer erstaunlichen Kehrtwende geprägt. Die Konservativen büßten in dieser Zeit 11 Prozent ein, während die FPÖ seit Ende 2022 in den Umfragen führt und bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni den ersten Platz belegte.

Es wird erwartet, dass die Koalitionsverhandlungen mehrere Wochen dauern werden, bevor eine neue Regierung gebildet werden kann. Unabhängig vom Ergebnis scheint die ÖVP bereit zu sein, sich an der Macht zu halten, entweder in einem Bündnis mit der extremen Rechten oder in einer schwerfälligen, noch nie dagewesenen Dreierkoalition mit kleineren Parteien der Mitte – der Ampelregierung nicht unähnlich.