Niederlande: Der neue Wirtschaftsplan Den Haags

Die neue Koalition in den Niederlanden kündigt sich mit einer doppelten Botschaft an: Neben einer rigiden Einwanderungspolitik („strengstes Asylpaket, das es je gab“) führt das Bündnis sozial- und wirtschaftspolitische Pläne auf, die Arbeitnehmer und Mieter entlasten und die Kaufkraft stützen sollen.

Knapp sechs Monate nach der Wahl zur Zweiten Kammer haben sich vier Parteien aus dem konservativen Lager auf eine Koalition geeinigt; in der Nacht zum Donnerstag legten sie ihre Koalitionsvereinbarung vor. Der Wahlsieger Geert Wilders mit der Partei PVV betonte die rigorosen Maßnahmen, die in der Asylpolitik geplant sind – wobei auch er schon immer sozioökonomische Punkte im Programm hat, die nach dem traditionellen Schema eher „links“ zu verorten sind. Seine Koalitionspartner sind die rechtsliberale VVD des scheidenden Ministerpräsidenten Mark Rutte, die neugegründete sozialkonservative Partei NSC und die 2019 gegründete Bauernpartei BBB.

Doppelte Botschaft

VVD und NSC stellten bei der Präsentation der Vereinbarung in Den Haag etwas mehr als Wilders soziale und arbeitnehmerfreundliche Aspekte in den Vordergrund. Die Eigenbeteiligung an Gesundheitskosten soll um mehr als die Hälfte auf 165 Euro im Jahr sinken, wobei das erst von 2027 an gilt. Um der Wohnungsnot zu begegnen, spricht die Koalition von 100.000 neuen Wohnungen im Jahr, 30 Prozent der Neubauten sollen dem sozialen Wohnen dienen. Vermieter sollen es schwerer haben, die Miete zu erhöhen.

Die Abgabenbelastung auf Arbeit soll sinken, Kinderbetreuung für arbeitende Eltern „beinahe gratis“ sein. Die Koalition will mehr Festanstellungen in dem Land, in dem die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts nach inzwischen vorherrschender Meinung zu weit gegangen ist. Trotz guter Wirtschaftsdaten und niedriger Arbeitslosigkeit hatten viele Niederländer im vergangenen Jahrzehnt das Gefühl, beim Durchschnittsbürger komme wirtschaftlich nicht genug an – was sogar der wirtschaftsliberale Rutte thematisierte. Eine Regierungskommission, benannt nach ihrem Vorsitzenden Hans Borstlap, befasste sich vor Jahren mit dem Befund, der Arbeitsmarkt sei überflexibilisiert: zu viele Zeitarbeiter und zu viele unfreiwillig Soloselbständige. Die Industriestaatenorganisation OECD hatte sich ähnlich geäußert.

Gewerkschaft winkt ab

Die Gewerkschaft FNV ließ sich am Donnerstag nicht überzeugen. Ihr Vorsitzender Tuur Elzinga verwies auf den Begriff der „Existenzsicherheit“, der im Wahlkampf im Herbst eine wichtige Rolle gespielt hatte; im Kern geht um es stark gestiegene Lebenskosten nach der Phase der hohen Inflationsraten. Jetzt aber bleibe ein höherer Mindestlohn aus, sagte Elzinga, und im öffentlichen Dienst werde gespart. Der Anführer des linksgrünen Oppositionsbündnisses, Frans Timmermans, sprach von einer „kata­strophalen“ Vereinbarung. Er führte ebenfalls den Mindestlohn auf, der nicht steige, und zog außerdem die Finanzierbarkeit des gesamten Pakets in Zweifel.

Den zweiten Punkt teilte er mit dem linksliberalen Parlamentarier und derzeit noch geschäftsführenden Staatssekretär Hans Vijlbrief. Der sprach von einem „unordentlichen Finanzierungsplan“ und forderte, das Programm schnell vom renommierten Forschungsinstitut Centraal Planbureau (CPB) durchrechnen zu lassen.

Atomkraft? O ja!

Vijlbrief ist bekannt durch seine maßgebliche Rolle, die er auf dem Weg zur Schließung des Erdgasfeldes in der nördlichen Provinz Groningen spielte. Das Feld sicherte jahrzehntelang die Energieversorgung der fünftgrößten EU-Volkswirtschaft, führte aber auch zu Erdbeben. Die Koalition bekräftigt, das Gasfeld bleibe geschlossen. Dagegen spricht sie sich dafür aus, die Erdgasförderung in der Nordsee auszubauen. Künftig sollten neue „langfristige Verträge für Erdgas abgeschlossen werden“, heißt es. Nationale Reserven an Gas und wichtigen Rohstoffen sollen angelegt werden. Ausbauen will das Viererbündnis auch die Atomenergie. Die Unterstützung dafür dürfte breit sein: Kürzlich hatte eine lagerübergreifende Mehrheit in der Zweiten Kammer dafür gestimmt, dass dereinst vier statt wie bisher geplant zwei Atomkraftwerke Strom liefern sollen. Sie beauftragte das noch geschäftsführende Kabinett, sich mit Bauplänen zu befassen. Momentan ist nur ein Kernkraftwerk in Betrieb: Borssele in der südwestlichen Provinz Zeeland.

Fiskalpolitisch sagt die neue Koalition Stabilität zu, die Schulden sollen unter jenen 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bleiben, die einst im Maastricht-Vertrag vereinbart wurden. Erfreut zeigte sich die Deutsch Niederländische Handelskammer (DNHK) in Den Haag: „Diese Einigung, die auf einer Rahmenvereinbarung basiert, bedeutet einen wichtigen Schritt für die politische Stabilität und ist darum auch eine gute Nachricht für die deutsch-niederländischen Wirtschaftsbeziehungen.“ Die Niederlande sind mit 215 Milliarden Euro Handelsvolumen Deutschlands drittwichtigster Handelspartner hinter China und den USA.