Mit 232 Wörtern lässt Trump den westlichen Ukraine-Konsens zusammenbrechen

Mit seiner Bezeichnung von Wolodymyr Selenskyj als „Diktator“ läutet der US-Präsident ein neues Zeitalter ein. Die Äußerung ist mehr als eine verbale Retourkutsche gegen den Ukrainer, der seinerseits Trump harsch anging. Sie steht im Einklang mit dem grundlegenden Kurswechsel Washingtons.

Der russische Ex-Präsident und Ex-Ministerpräsident Dmitri Medwedjew konnte seine Freude am Mittwochabend nicht mehr zurückhalten: „Wenn man mir nur vor drei Monaten gesagt hätte, dass das die Worte des US-Präsidenten seien, hätte ich laut gelacht“, schrieb er auf X. Er zitierte die Aussagen von Donald Trump.

Der hatte am Morgen auf seinem Netzwerk Truth Social zu einem Rundumschlag gegen den ukrainischen Präsidenten angesetzt. Nur 232 Wörter hatte der Post, der den Westen erschaudern ließ. Selenskyj sei ein „Diktator ohne Land“ und ein „mittelerfolgreicher Comedian“, der den „Grabeszug“ laufen lassen wolle, schrieb Trump.

Das Statement ist keine einmalige verbale Breitseite gegen die Ukraine. Am Abend wiederholte Trump die Aussagen nochmals bei einer vom Teleprompter abgelesenen Rede in Miami. Damit vollzieht Trump endgültig die Wende in der Ukraine-Politik.

Beinahe täglich muss sich die Ukraine nun Vorwürfe des US-Präsidenten anhören. Besonders eingeschossen hat sich Trump auf die Erzählung, dass es Selenskyj aufgrund der wegen des Kriegsrechts auf unbestimmte Zeit ausgesetzten Wahlen an Legitimität fehle. „Das ist kein russisches Ding. Das ist etwas, was von mir kommt und von vielen anderen Ländern“, sagte er am Dienstagabend.

Doch damit nicht genug. „Ihr hättet den Krieg nie anfangen sollen“, schob er an die Ukraine gerichtet hinterher. Dass der ukrainische Präsident illegitim sei und dass es Kiew war, das den Krieg begonnen hat, sind russische Narrative, die Trump im Original übernahm.

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Vordergründig stellt das eine massive Verschlechterung des Verhältnisses zwischen dem US-Präsidenten und seinem ukrainischen Gegenüber dar. Eine Beziehung, die bereits in der ersten Amtszeit auf die Probe gestellt wurde, als Selenskyj Trumps Wunsch nach einer Korruptionsermittlung gegen Joe Biden und dessen Sohn nicht nachkommen wollte. Diese Bitte wurde dann Gegenstand des ersten Amtsenthebungsverfahrens gegen Trump.

Schon vor Trumps Rückkehr ins Weiße Haus stand die Beziehung beider Männer unter keinem guten Vorzeichen. Besonders übel nahm Trump Selenskyj einen Besuch im September, mitten im Wahlkampf, im wichtigen Swing State Pennsylvania. Der ukrainische Präsident ließ sich bei einem Besuch in einer Waffenfabrik an der Seite des beliebten demokratischen Gouverneurs Josh Shapiro ablichten.

Westlicher Konsens zusammengebrochen

Nachdem Selenskyj Trump am Dienstag beschuldigt hatte, in einem „Raum von Desinformation“ zu leben, war für den US-Präsidenten das Maß voll.

Die Bezeichnung des gewählten ukrainischen Präsidenten als „Diktator“ war aber mehr als eine rhetorische Retourkutsche. Trump ließ damit den gesamten westlichen Konsens der Unterstützung der Ukraine zusammenbrechen. Denn er zweifelt damit offen an der Demokratie in der Ukraine. Und es war stets das Leitmotiv sämtlicher Politiker, dass die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russischen Invasoren nicht nur ihre, sondern die westliche Demokratie an sich verteidige. Ohne dieses gemeinsame Verständnis wäre es nie zu einer funktionierenden Unterstützer-Allianz aus Staaten, die dem Schlachtfeld geografisch nahe sind und solche, die ihm fern sind, gekommen.

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Die verbale Abkehr von der bisherigen einheitlichen westlichen Linie steht sie im Einklang mit dem tatsächlichen Kurswechsel der US-Regierung gegenüber der Ukraine. Am Montag traf sich Außenminister Marco Rubio mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Saudi-Arabien. Die Ukraine saß nicht mit am Tisch. Eine Tatsache, die die saudischen Gastgeber laut einem Bericht des Nachrichtenportals „Bloomberg“ verhindern wollten. Demnach wollte Kronprinz Mohamad bin Salman auch einen ukrainischen Vertreter einladen. Das sei aber sowohl in Moskau als auch in Washington auf Ablehnung gestoßen.

Ebenfalls nicht dabei war der Ukraine-Beauftragte von Trump, Keith Kellogg. Als ehemaliger Sicherheitsberater von Mike Pence hätte er Erfahrung in der internationalen Diplomatie mitgebracht. Ohne ihn bestand das amerikanische Verhandlungsteam aus drei Neulingen in der internationalen Arena. Außenminister Marco Rubio war zwar bisher stets mit Russland-kritischen Statements aufgefallen. Auch die Nominierung von Mike Waltz als Sicherheitsberater ließ die Außenpolitik-Kenner in Washington aufatmen. Als Abgeordneter hatte er sich pro-ukrainisch positioniert. Signifikante Erfahrung in diplomatischen Verhandlungen haben aber beide nicht vorzuweisen. Genauso wenig, wie Steve Witkoff, Trumps Nahostbeauftragter, der an Kelloggs Stelle teilnahm.

Die amerikanische Delegation saß dagegen hoch erfahrenen russischen Diplomaten gegenüber. Außenminister und Politik-Veteran Sergei Lawrow nahm Jurij Uschakow mit, den langjährigen außenpolitischen Berater Putins. Für sie war es ein Leichtes, Trumps Team davon zu überzeugen, aus hehren Motiven da zu sein. „Ich hatte das Gefühl, dass sie willig sind, ernsthaft zu verhandeln“, sagte Rubio im Nachhinein.

Schon vor dem Treffen hatte die Trump-Regierung Russland in eine komfortable Verhandlungsposition gebracht. Just vor der Münchner Sicherheitskonferenz verkündete US-Verteidigungsminister Pete Hegseth bei seinem Besuch in Brüssel, dass sowohl eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine als auch eine Rückkehr zu den Grenzen von 2014 „unrealistisch“ seien.

Eine Aussage, die Trump bekräftigte. Er nannte die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine „nicht praktikabel“. Er sei „okay“ damit, wenn das Land nicht Teil der Allianz werde. Eine Rückkehr zu den Grenzen von 2014 hält auch er für unrealistisch.

Gregor Schwung berichtet für WELT seit 2025 als US-Korrespondent aus Washington, D.C. Zuvor war er als Redakteur in der Außenpolitik-Redaktion in Berlin für die Ukraine zuständig.

Source: welt.de