Meyer Werft sichert kurzfristig Finanzierung und sucht Eigenkapital
Die Existenznöte der Meyer Werft in Papenburg sind derzeit das beherrschende Thema in der niedersächsischen Politik. „Es ist, das muss man deutlich sagen, eine existenzielle Krise“, sagte Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) in einer aktuellen Stunde im Landtag. Betriebsräte und Gewerkschafter, die dafür nach Hannover angereist waren, hörten dort vielfach auch Solidaritätsbekundungen.
Lies versprach, das Land werde „alles dafür tun, gemeinsam mit dem Bund Lösungen für eine zukunftsfähige Meyer Werft und für sichere Arbeitsplätze zu finden“. Auch die Opposition signalisiert Unterstützung. CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner bekräftigte: „Wir müssen zusammen eine tragfähige Lösung finden. Wir werden die Menschen in der Region nicht im Stich lassen.“
Die fast 230 Jahre alt Werft spielt mit ihren rund 3000 Arbeitsplätzen in Papenburg sowie tausenden weiteren Stellen bei Zulieferern im strukturschwachen Ostfriesland eine bedeutende Rolle. Selbst der Tourismus profitiert, weil tausende Menschen jährlich an die Ems pilgern, um zu sehen, wie Kreuzfahrtschiffe gebaut werden und wie sie über den kleinen Fluss ins Meer befördert werden.
Es geht um eine Mammutaufgabe
Zu lösen ist eine Mammutaufgabe. Allein um die schon bestellten sechs Kreuzfahrtschiffe bis zum Jahr 2028 fertig zu bauen, braucht Meyer 2,77 Milliarden Euro flüssige Mittel. Voraussetzung für entsprechende Kredite ist, dass 400 Millionen Euro als frisches Eigenkapital in das Unternehmen gepumpt werden. Die verbleibende Kreditsumme muss zu 80 Prozent mit Bürgschaften gesichert werden.
Selbst wenn das Land Niedersachsen die knapp 1,9 Milliarden Euro selbst absichern wollte, wäre das nicht möglich, weil das den jährlichen Bürgschaftsrahmen des Landes in der Größenordnung von rund 1,2 Milliarden Euro sprengen würde. Dazu kommt, dass es schon eine niedersächsische Bürgschaft für Meyer über 326 Millionen Euro gibt. Insofern hofft man in Niedersachsen auf eine Unterstützung vom Bund, ohne dass es dazu schon konkrete Zusagen gibt.
Ein Kampf gegen die Zeit
Die Zeit drängt. Zwar ist seit Dienstagabend klar, dass die Finanzierung bis September gesichert ist, doch schon im November steht ein Kredit über 550 Millionen Euro zur Refinanzierung an. Für das Management-Duo aus dem seit Dezember agierenden Geschäftsführer Bernd Eikens und dem im Frühjahr berufenen Sanierer Ralf Schmitz ist das Anlass für eine beruhigende Mail an die Mitarbeiter.
„Wir haben somit Zeit gewonnen, um die notwendigen Gespräche zur langfristigen Finanzierung unserer Werften voranzutreiben“, heißt es in dem Schreiben von Mittwochvormittag, das der F.A.Z. vorliegt. Dort wird auch explizit zugesagt, dass „Urlaubsgeld selbstverständlich wie gewohnt mit der Juni-Abrechnung ausgezahlt“ werde.
Weiterhin stimme positiv, dass die großen Reedereien klar signalisierten, dass sie „auch in den nächsten Jahren auf die Arbeit der Meyer Werft zählen“, heißt es in der Mail: „Dabei profitieren wir von unserer starken Stellung am Markt und davon, dass in der Kreuzfahrtindustrie weltweit eine hohe Nachfrage zu verzeichnen ist.“ Was damit gemeint ist, bleibt indes unklar. Es könnten weitere Aufträge in Aussicht stehen, es könnte aber auch um ein Entgegenkommen bei bestehenden Aufträgen gehen.
Die Kosten laufen aus dem Ruder
Hier ist eines der Hauptprobleme von Meyer offenbar, dass die Kosten aus dem Ruder laufen, weil keine Preisgleitklauseln vereinbart wurden. Auch weitere Abschlagszahlungen auf den Kaufpreis würden die Lage von Meyer entspannen. Generell gilt: Damit Banken überhaupt als Kreditgeber weiterhin aktiv werden dürfen, muss zuvor ein Sanierungsgutachten vorliegen, das nach dem Standard „IDW S6“ eine positive Fortführungsprognose gibt.
Der 76 Jahre alte Patriarch Bernhard Meyer, der seit Dezember keine operative Funktion mehr hat aber dennoch täglich bei der Arbeit ist, zeigt sich beeindruckt über das „außerordentliche Engagement“ von allen Seiten. Er sei „überzeugt, dass eine für die Region und den Standort langfristig gute Lösung gefunden wird“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. „Dazu wird auch die Familie Meyer ihren Beitrag leisten.“
Worin dieser Beitrag besteht, ist noch ein Rätsel. Das nötige Eigenkapital kann der Patriarch selbst offenbar nicht aufbringen. Womöglich können seine Söhne Jan, Tim und Paul Meyer helfen, die als Führungskräfte in der Gruppe Erfahrung gesammelt haben, zu der noch die Neptun-Werft in Rostock-Warnemünde gehört sowie ein Standort im finnischen Turku.
Ungeachtet dessen gibt es offenbar Versuche, privates Kapital für ein Engagement bei der Meyer Werft zu finden. Während die Kunden – allen voran Konzerne Disney sowie Carnival – dem Vernehmen nach wenig Interesse haben, selbst in den Bau von Kreuzfahrtschiffen zu investieren, könnten womöglich Wettbewerber aus der Werftbranche als strategische Investoren in Frage kommen.
Notfalls müsste die öffentliche Hand einspringen, lautet die Hoffnung in Niedersachsen. Hilfe, welcher Art auch immer, will Niedersachsen aber nicht ohne Zugeständnisse gewähren. Wirtschaftsminister Lies fordert explizit, Meyer müsse den Unternehmenssitz aus Luxemburg zurück nach Deutschland verlegen und hier einen Aufsichtsrat unter Beteiligung von Arbeitnehmervertretern installieren.
Meyer hatte die Holding und maßgebliche Einkaufsfunktionen im Jahr 2015 nach Luxemburg verlegt, um die Mitbestimmung in dem längst zu einem Konzern angewachsenen Familienunternehmen zu beschränken. In dieser Sache scheint Bewegung zu sein, wie Bemerkungen von völlig unterschiedlichen Betroffenen erkennen lassen.