M&A-Markt: Konzerne erzwingen dies Geschäft

Im Geschäft mit Fusionen und Übernahmen öffnet sich in diesem Jahr eine Schere. Die Zahl der Transaktionen auf der Welt ist im bisherigen Jahresverlauf so niedrig wie in der entsprechenden Periode seit beinahe 20 Jahren nicht. Das addierte Volumen aller Übernahmen hingegen – die Leitgröße der meisten Branchenstatistiken – steht im Langzeitvergleich ordentlich da und liegt deutlich über dem Vergleichswert des Vorjahres.

Dies zeigt eine Erhebung, welche der Datendienstleister Dealogic für die F.A.Z. erstellt hat. Fachleute sehen momentan die treibende Kraft im Geschäft mit Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, M & A) in den Konzernen, weniger durch Finanzinvestoren.

Nach den Dealogic-Zahlen stieg das Transaktionsvolumen auf der Welt bis 7. Juni gegenüber dem entsprechenden Zeitraum 2023 um 23 Prozent auf 1,3 Billionen Euro – das ist der neunthöchste Wert in diesem Jahrtausend. Die Zahl der Deals liegt mit 15.240 unter allen Vergleichswerten, die zu diesem Zeitpunkt seit dem Jahr 2005 gezählt wurden. Europa zeigt im Volumen einen überproportionalen Anstieg, während seine größte Volkswirtschaft Deutschland alleingenommen stark abfällt: Auf 34 Milliarden Euro summiert sich der Wert der Transaktionen, in denen deutsche Parteien als Käufer, Verkäufer oder auf beiden Seiten involviert waren. Das liegt unterhalb der Hälfte des Vorjahresniveaus.

Private Equity hält sich zurück

Politische Unsicherheit, vor allem durch den Ukrainekrieg, sowie Inflation und steigende Zinsen erschweren das M & A-Geschäft. Mit Blick auf die beiden letzten Aspekte stabilisiert sich inzwischen die Lage. Merklich bleibt die Zurückhaltung der Beteiligungsgesellschaften – jener Investoren, die Unternehmen aus Industrie, Dienstleistungssektor oder Infrastruktur erwerben und nach einigen Jahren weiterreichen.

Sie finanzieren die Übernahmen meist zu einem beträchtlichen Teil mit Fremdkapital; Kredite aber sind in kurzer Zeit vergleichsweise teuer geworden. So ist die relative Bedeutung von Private Equity zuletzt geschrumpft: Im vergangenen Jahr trug das Segment zum globalen M & A-Volumen 28 Prozent bei, gegenüber jeweils etwa 40 Prozent in den beiden Jahren zuvor.

Stattdessen rücken die Unternehmen selbst – im Branchenjargon „Corporates“ genannt – stärker in den Vordergrund: „Wir sehen eine zunehmende Aktivität, Projekte anzutreiben, sowohl auf der Erwerbs- als auch auf Verkaufsseite“, sagt Kristina Klaaßen-Kaiser, Leiterin des europäischen M & A-Corporate-Geschäfts der Anwaltskanzlei Linklaters. Die Unternehmensberatung McKinsey und die Anwaltskanzlei Gleiss Lutz riefen neulich auf einer Tagung mit M & A-Fachleuten 2024 zum „Jahr des Corporate Deals“ aus. Maßgebliche Börsenindizes stünden auf Rekordwerten, was das Investorenvertrauen spiegele. Außerdem häuften sich disruptive Innovationen, also solche, die Geschäftsmodelle durchwirbelten, etwa künstliche Intelligenz.

Jede Menge Geld für Übernahmen

Die beiden Veranstalter verwiesen außerdem auf einen Punkt, der sonst nur im Zusammenhang mit Private Equity zur Sprache kommt: die hohen Bargeldreserven auf der Welt. Unternehmen säßen auf etwa 20 Billionen Dollar nicht eingesetzten Kapitals – und damit etwa sieben Mal so viel wie Private Equity. Dabei ist allerdings die Frage, welchen Anteil der Summe Unternehmen tatsächlich für M & A einsetzen – während Übernahmen im Falle der Finanzinvestoren der eine bestehende Zweck sind.

Wichtiges M & A-Motiv für Unternehmen, jedenfalls börsennotierte, seit Jahren: gemäß den Forderungen des Kapitalmarkts ein Kerngeschäft definieren und den Rest zu Randgeschäften zu erklären. Ersteres wird dann mit Akquisitionen ausgebaut, die anderen Sparten werden gegebenenfalls über einen „Carve-out“ ausgegliedert; dieser Trend dürfte sich fortsetzen. „Konzerne werden ihre Strukturen durch strategische Zukäufe und Carve-outs entsprechend anpassen“, prognostiziert Laurenz Tholen, Ko-Leiter der Praxisgruppe M&A der Kanzlei Noerr. Patrick Frowein, Leiter des europäischen Investmentbankings der amerikanischen Citi, nennt daneben die Veränderungen in der Weltpolitik.

Wegen dieser Dynamiken „wird die jeweilige geografische Aufstellung verstärkt überdacht“. Außerdem wollten sich Unternehmen durch Zukäufe ihre Technologieführerschaft sichern, „gesunkene Bewertungen in dem Sektor machen Investitionen attraktiver“. Frowein weist auch auf die Bewertungsdifferenz zwischen den Aktienmärkten in den USA und Europa hin. Linklaters-Anwältin Klaaßen-Kaiser sieht deutsche Unternehmen als anfällig für Übernahmen aus dem Ausland. „Ganz klar sind die deutschen Corporates aufgrund ihrer großen Qualität, aber auch aufgrund ihrer niedrigen Bewertungen im Fokus von ausländischen Investoren.“

Unternehmen von der Börse wegkaufen

Immer wieder Thema ist der Spezialfall, dass ein börsennotiertes Unternehmen durch einen Finanzinvestor erworben wird, im Branchenjargon „Public-to-Private“ genannt. Das Interesse gilt besonders Unternehmen, die im Umbruch stehen und möglicherweise Zeit für Transformation ohne die verpflichtende Quartalsberichterstattung brauchen.

Das mag ein Private-Equity-Bieter so sehen oder sogar das Unternehmen selbst. Veränderungen in Unternehmen durchzuziehen – „das geht im privaten Kontext einfacher, zum einen weil man schneller Entscheidungen durchbekommt und zum anderen, weil die Publizität um ein solches Unternehmen geringer ist“, sagt Marcus Schenck, Geschäftsführer und Ko-Leiter des Investmentbankings im deutschsprachigen Raum der Investmentbank Lazard.

Für Europa erstellt die Datenbank Datasite auf Basis von Informationen des M & A-Spezialdiensts Mergermarket wie mit einer Wärmebildkamera ein „Hitzediagramm“ („heatmap“) zu Verkaufskandidaten in der Unternehmenswelt. „Bei weitem der heißeste Punkt ist TMT – Telekom, Medien, Technologie – im Vereinigten Königreich und Irland“, lautet das Resümee. 105 potentielle Deals werden in diesem tiefroten Quadrat gezählt, entsprechend einem Viertel aller Kandidaten dieser Region. Im deutschsprachigen Raum erscheinen „Industrie und Chemie“ tiefrot, TMT und Verbrauchsgüter als orange (warm) und Pharma als hellorange. Der Rest ist lau bis kalt.

Warten auf die Finanzinvestoren

Die M & A-Branche wartet nun auf Impulse von Finanzinvestoren, gerade mit Blick auf den alternden Bestand an Beteiligungen in den Portefeuilles. Da die Bewertungen am Markt gefallen sind, wird es schwieriger, Unternehmen über Buchwert wieder zu verkaufen. Das hat zu einem Stau an Unternehmen geführt, die fällig bis überfällig für einen „Exit“ sind.

Private-Equity-Fachleute berichten, die Zahl der Projekte schwelle wieder an. „Das Momentum ist jetzt deutlich höher als vor einem Jahr“, vermeldet etwa Allan Bertie, der für das amerikanische Haus Raymond James das europäische Investmentbanking leitet und nach eigener Aussage derzeit beinahe ausschließlich mit Private-Equity-Deals befasst ist.

Die Haltedauern sind merklich gestiegen. Und in vielen Fällen legen die Private-Equity-Häuser Spezialfonds auf, um die gekauften Unternehmen über die Laufzeit der Ursprungsfonds hinaus aufzufangen. Aber ewig können sie auch dort nicht lagern. Auf 3,2 Billionen Dollar und damit einem Rekord bezifferte die Beratungsgesellschaft Bain & Company für 2023 den Wert der verkaufsreifen, aber noch nicht verkauften Kandidaten: „Unverkaufte Unternehmen stapeln sich in den Private-Equity-Portefeuilles.“

In Deutschland sind Finanzinvestoren immerhin für die beiden größten Transaktionen verantwortlich, die das hierzulande bisher schwache M & A-Jahr 2024 zu bieten hat: KPS einigte sich mit Siemens darauf, die Antriebssparte Innomotics zu einer Bewertung von 3,5 Milliarden Euro zu übernehmen. Noch höher wird der börsennotierte Wind- und Solarparkbetreiber Encavis bewertet, den KKR zusammen mit anderen Investoren erwirbt.

Source: faz.net