Letzter Auftritt für jedes Karin Hanczewski im „Tatort“ aus Dresden: Rutschbahn dieser Jugend

Man erwartet, das Schrappen eines Hubschraubers zu hören, auch wenn da nichts ist. Der verirrte Blick nach oben, das verschwitzte Gesicht, die lauter werdende Musik, wenngleich nicht „The End“ von den Doors, sondern „Smalltown Boy“ von Bronski Beat: In den ersten Sekunden liegt „Apocalypse Now“ als ästhetische Referenz tatsächlich nahe. Dass der Protagonist dieser Szene kein heroischer Martin Sheen alias Captain Willard ist, sondern der mal geduldete, mal gemobbte Schul-Nerd Marlin (Max Wolter), der wie der Rest seiner Stufe dem dunklen Charme des halb vergötterten Janusz (Louis Wagenbrenner) erlegen ist, das macht sie besonders interessant. Ein Kurtz ist Janusz aber nicht.

Doch auch das berauschte Herumstolpern Marlins zwischen seinen nur verschwommen wahrgenommenen Mitschülern auf dieser von Drogen aller Art befeuerten Hausparty, woraus schließlich – Marlin meint, Janusz tot in der Dusche des Poolhauses gesehen zu haben – eine panische Flucht wird, das würde wenigstens entfernt zum berühmten Einstieg von Francis Ford Coppolas Film passen. Dort sind es die Dämonen des Krieges, vor denen der Held in den Rausch abtaucht. Ansonsten aber bleibt einigermaßen, nun ja, dunkel, worauf die unübersehbare Titelanspielung auf Joseph Conrads Antikolonialismus-Erzählung „Heart of Dark­ness“ (die auch „Apocalypse Now“ zugrunde liegt) hinauswill. Marlin liegt jedenfalls bald schwer verletzt auf der Straße. Die Party ist aus. Aber die Feiernden wissen es noch gar nicht.

Letzter Einsatz für Hanczewski

Karin Gorniak (Karin Hanczewski), die in diesem „Tatort“ leider ihren letzten Einsatz hat, beschäftigt derweil die Frage, ob sie auf das Angebot ihres neuen Freunds Paul (Hannes Wegener) eingehen und bei ihm einziehen soll. Erst einmal aber gilt es, sich wieder anzuziehen – und diese Party aufzusuchen. Marlin hatte vor seinem Unfall nämlich noch einen Notruf wegen seines Freunds Janusz abgesetzt. Selten sind Krimieinstiege in Stimmung, Stil und Tempo so kohärent und einnehmend wie in dieser von Andreas Köhler gefilmten und von Claudia Garde inszenierten Episode nach einem Drehbuch von Claudia Garde und Ben von Rönne, das nicht übermäßig spannend ist, aber mit traumtänzerischer Sicherheit ein von eigenen Sehnsüchten und Gesetzen geprägtes Jugendmilieu von innen her porträtiert. So offen sich die Jugendlichen in mancher Hinsicht geben, so stark wütet die Eifersucht.

Orientiert an Jugendserien wie „Euphoria“, wirkt das, allein schon der Glitter im Gesicht von Party-Girl Maya (Katharina Hirschberg), kurzgeschlossen zugleich mit den Ekstasen der Jugend vor zwei, drei, vier Jahrzehnten, der Jugend von Gorniak, von Kollegin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und vielleicht gar noch der ihres Chefs Michael Schnabel (Martin Brambach) – was hier vor allem über die Musik funktioniert. Zu hören sind Bronski Beat, Eurythmics und Underworld, deren mächtiges „Born Slippy. NUXX“ von 1996 eine Kernszene der Party untermalt und gut die Stimmung der im Fokus stehenden Szene einfängt: das Energetische und Enthemmte ebenso wie das Verlorene und Ziellose. Der Stroboskopbeat klingt nach Zusammenhalt im Absturz und nach Schwindel hervorrufendem Überschwang beim kollektiven Übergang in eine plötzlich weit offene, nicht mehr von Wächtern abgeschirmte Welt der Lüste und Gefahren. Zu allen Zeiten rannte die Jugend der eigenen Verantwortung voraus. Man muss nur irgendwann aufhören zu rennen, sonst wird es finster.

Karin Hanczewski (2.v.l.) in ihrem letzten „Tatort“ aus Dresden.
Karin Hanczewski (2.v.l.) in ihrem letzten „Tatort“ aus Dresden.MDR/MadeFor/Steffen Junghans

Es ist eine wunderbare Idee, die gesamte zugedröhnte Gruppe noch im Partydress auf die Wache zu verfrachten und dabei zu beobachten, wie die Kommunikation mit der Erwachsenenwelt selbst unter dramatischen Bedingungen – Wo ist Janusz? Wie passierte das mit Marlin? – überhaupt nicht funktioniert. Filip Schnack glänzt in der Rolle des Kevin, der mit dem ihn autoritär angrunzenden Schnabel kollidiert, ohne davon auch nur minimal beeindruckt zu sein. „Warum trägst denn du so’n Kinderhemd?“, fragt er den Kommissariatsleiter, der sich nur noch mit Überheblichkeit zu helfen weiß: „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du wahnsinnig unsympathisch bist?“

Dass die Jugendlichen eine Menge Geheimnisse haben, neben intimen auch gemeinsame, das deutet eine zunächst nicht wirklich verständliche Waldszene an. Wie sie sich dabei nach und nach mit einer der großen Kränkungen zu arrangieren versuchen – der desillusionierenden Einsicht, gar nicht unsterblich zu sein –, das ist sensibel und originell erdacht und gespielt. Je größer die Verunsicherung durch die untergründig sich entwickelnde Tragik, desto heftiger klammern sich die Jugendlichen aneinander. Aber dann werden die Risse im Gefüge immer größer.

TrailerTatort: Herz der Dunkelheit

Zugleich ist das natürlich eine für Karin Hanczewski geschriebene Folge, die nach Winklers Beinahe-Solo in der letzten Episode („Unter Feuer“) diesmal die Handlung auf Ermittlerseite prägt. Privat bangt sie davor, die jugendliche Tochter Romy (Charlotte Krause) ihres Lebensgefährten Paul endlich kennenzulernen, und dann steht die samt Vater plötzlich vor ihr, denn zufällig war auch sie auf der besagten Party, nur bereits früh nach Hause gegangen. Trotzdem ist sie natürlich aufs Engste mit der Schülergruppe verbandelt. Außerdem ist schnell klar, dass sie nicht die Wahrheit sagt, wie die Kommissarin schon deshalb weiß, weil sie in der besagten Nacht bei Paul und Romys Zimmer leer war. Schnell überlagern sich private und berufliche Motive für Gorniaks Handeln, die alle Grenzen übertritt, als sie bemerkt, dass auch Paul sie anlügt. Beinahe besessen wirkt sie davon, Romys Lügengespinst zu zerreißen, koste es, was es wolle, ganz sicher auch das Vertrauen ihres Freundes.

Die ganze Tragik der Ereignisse wird erst retrospektiv deutlich. Die hier durchaus lautstarke Sprachlosigkeit zwischen den Generationen hat viel damit zu tun. Eine Verbindung zum Wahnsinn von Krieg und Kolonialismus lässt sich immer noch nicht erkennen, aber mit seinem starken Schluss und einem stillen Abschied gelingt „Herz der Dunkelheit“ ein unaufdringliches Plädoyer für mehr Kommunikation und das Heraustreten aus der eigenen Blase.

Der Tatort: Herz der Dunkelheit läuft am Sonntag, um 20.15 Uhr, im Ersten.

Source: faz.net