Labour gewinnt Großbritannien-Wahl: Was bedeutet welcher Regierungswechsel?

Die Prognosen stimmten diesmal, die Tories haben die vorzeitig angesetzten Wahlen krachend verloren, Labour hat den Erdrutschsieg geschafft. Mit knapp 40 Prozent der Stimmen gewinnt die Partei 410 Sitze im Unterhaus, nur acht weniger als Tony Blair bei seinem historischen Triumph von 1997 und mehr als doppelt so viele als bei der vorigen Unterhauswahl. Im Dezember 2019 verlor Labour unter dem Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn klar und musste sich mit 202 Sitzen zufriedengeben.

Mit nunmehr 410 Sitzen liegt die Partei weit über der absoluten Mehrheit von 326 Sitzen und kann bequem durchregieren, obwohl sie von der absoluten Stimmenzahl her nur 1,6 Prozentpunkte hinzugewonnen hat. Dafür haben die Tories fast zwanzig Prozent eingebüßt, gemessen an der Unterhauswahl 2019. Mit nur noch 119 Sitzen haben sie mehr als zwei Drittel ihrer bisherigen Unterhausmandate verloren und damit die Macht. Im neuen Parlament können sie der künftigen Labour-Regierung nur noch wenig entgegensetzen.

Nach der verheerendsten Niederlage der Parteigeschichte wird in der geschrumpften Tory-Fraktion das übliche Hauen und Stechen weitergehen. Liz Truss, Sunaks Vorgängerin, die Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit, hat ihren Unterhaussitz verloren. So wie auch die große Mehrzahl früherer Regierungsmitglieder und prominenter Tories, unter ihnen der markante Hardliner Jacob Rees-Mogg. Ein schwacher Trost für die Tories: David Cameron und Theresa May wurden bzw. werden ins Oberhaus befördert.

Die Liberaldemokraten sind so gut wie seit 100 Jahren nicht mehr

Rishi Sunak, der glücklose letzte Tory-Premier, konnte seinen Wahlkreis in Nord-Yorkshire zwar halten, wird aber Downing Street schon am heutigen Freitag räumen müssen. Labourchef Keir Starmer löst ihn ab und kann sofort mit der Arbeit beginnen. Die Regierungsmannschaft steht schon bereit. An diesem Freitag erhält Starmer vom König den Auftrag zur Regierungsbildung. In der kommenden Woche wird er sein Kabinett vorstellen.

Drittstärkste Partei wurden die Liberaldemokraten mit 71 Sitzen, ihr bestes Ergebnis seit mehr als hundert Jahren. Dafür kamen die Grünen auf lediglich vier Sitze. Massiv verloren hat die Schottische Nationalpartei (SNP), sie ist von 56 Mandaten in Schottland auf nunmehr acht Sitze abgestürzt. Damit sind die Pläne für ein neues Unabhängigkeitsreferendum in Schottland erst einmal begraben. Dafür ist Sinn Fein in Nordirland stärkste Partei geworden, die Befürworter einer Wiedervereinigung mit der Republik Irland frohlocken.

Und nach sieben vergeblichen Anläufen hat der lauteste Frontmann der Brexiteers, Nigel Farage, mit der neuen Partei Reform UK einen Sitz im Unterhaus ergattert. Mit nur vier Abgeordneten kann er dort allerdings außer der üblichen Schreierei kaum Schaden anrichten. Jeremy Corbyn, der von Keir Starmer wegen seiner ungeklärten Haltung zum Antisemitismus aus der Partei geworfen wurde und mit einer eigenen Liste antrat, hat sein Unterhausmandat verloren. Das heißt, die letzten Linken sind in Westminister nicht mehr präsent.

Die Wahlbeteiligung war mit 60 Prozent eine der niedrigsten der letzten Jahre, nur knapp über dem Niveau von 2000. Nach 14 Jahren Tory-Regierung steht Labour vor einer gigantischen Aufgabe in einem Land, dessen Bürger tief enttäuscht, ernüchtert und in zahlreichen politischen Streitfragen zutiefst zerrissen sind. Labour wird die Schäden reparieren müssen, die die Tories in ihrer Regierungszeit angerichtet haben. Zuallererst müssen sie den durch zahllose Sparrunden und Privatisierungsattacken ruinierten Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) wieder auf die Beine bringen, sie müssen das ebenso marode Bildungssystem reformieren und sich der Wohnungskrise stellen. Wie überall, wo Konservative in Europa zu lange an der Macht waren, ist die öffentliche Infrastruktur in Großbritannien viele Jahre lang sträflich vernachlässigt und daher schwer beschädigt worden.

Zu vieles ist versprochen und nicht gehalten worden

Keir Starmers Team hat den Briten einen neuen Wachstumsschub versprochen. Allerdings sind die Erwartungen gedämpft, zu viel ist in den zurückliegenden Jahren versprochen und nicht gehalten worden. Auch in der Migrationspolitik, eigentlich das Kernthema, mit dem die Tories bisher immer wieder gepunktet haben, wird vorerst keine große Wende erwartet. Starmer gilt als nüchterner Pragmatiker, als geschickter Organisator und Dirigent, ein Volkstribun wie Jeremy Corbyn ist er nicht. Labour hat so klar gesiegt, weil die Briten nach 14 Jahren von den Tories mehr als genug hatten und einen Wechsel wollten. Den Wechsel haben sie nun, es bleibt ihnen zu wünschen, dass der notwendige und erhoffte Wandel folgen wird. In der EU jedenfalls herrscht eitel Freude über den Regierungswechsel.

Obwohl Keir Starmer und sein Anhang jede Debatte um die eindeutig verheerenden Folgen des Brexits sorgfältig vermieden haben, wollen sie mit der EU künftig anders umgehen als die Tories und eine Wiederannäherung versuchen. In Brüssel hört man das gern.