Jetzt ebenfalls Lieferando – jener große Plan vom globalen Liefer-Giganten

Zukunftshoffnung oder Hype? Essens-Lieferdienste gehören seit Jahren zu den Geschäftsmodellen, die die Anleger spalten. Jetzt nimmt der südafrikanische Konzern Naspers einen neuen Anlauf, einen Weltmarktführer zu formen – auch ein deutscher Konzern ist Spielball in seiner Strategie.
Jitse Groen kennt alle Kapriolen des Liefergeschäfts. Im Jahr 2000 startete der damals 22-Jährige in den Niederlanden die erste große Plattform für Pizza-Bestellungen im Netz – in den Anfangszeiten des Internets ein spektakuläres Angebot. Bis heute ist er Chef des Amsterdamer Lieferdienstes, der inzwischen Just Eat Takeaway (JET) heißt und zu dem seit 2014 der deutsche Anbieter Lieferando gehört.
Zu Zeiten des Corona-Lieferbooms war Groen rechnerisch Milliardär, ging an die Börse, kaufte groß in den USA zu, verkaufte das US-Geschäft vor wenigen Wochen wieder – und jetzt steht die nächste große Veränderung an: JET verlässt die Börse und wird Teil eines Lieferimperiums, zu dem auch der deutsche Konkurrent Delivery Hero gehört.
Hinter dem Plan steht ein finanzkräftiger Spieler aus Südafrika: Naspers. Der Konzern ist in Europa wenig bekannt, dabei dominiert das Verlagshaus in seiner Heimat das Geschäft mit afrikaanssprachigen Medien. Und es hatte Glück mit einem Investment, das zunächst klein aussah. 2001 kauften die Afrikaner über ihre Investment-Gesellschaft für läppische 32 Millionen Dollar 46,5 Prozent an dem chinesischen Internet-Konzern Tencent.
Tencent gehört heute zu den mächtigsten chinesischen Online-Anbietern und ist an der Börse in Hongkong umgerechnet über eine halbe Billion Euro wert. Für Prosus war der glückliche Zukauf der Einstieg ins globale Spiel der Investoren. Seit 2019 ist der Investor an der Amsterdamer Börse – und hat damit viel Finanzkraft für Experimente. Eines davon ist der Versuch, ein starkes globales Lieferkonglomerat zu formen.
Dieser Vorstoß richtet sich nicht nur gegen regionale Liefer-Anbieter von Wolt in Europa bis Grab in Südostasien, sondern auch gegen globale Spieler wie Uber Eats. Denn das Liefergeschäft ist im Prinzip hochinteressant für Investoren: Eine starke Plattform, über die viele selbstständige Gastronomen ihr Liefergeschäft abwickeln, könnte ohne allzu große Investitionen über sprudelnde Provisionen gute Gewinne schreiben – wäre da nicht der Wettbewerb der Plattformen untereinander.
Hohe Ausgaben für Werbung und Gutscheine drücken auf die Margen. Deshalb versuchen die Risikokapitalgeber und Lieferkonzerne seit Jahren in den einzelnen Ländern, jeweils einen dominanten Spieler zu schaffen.
Die Prosus-Beteiligungen ergänzen sich regional
Prosus nimmt dafür nun einen neuen Anlauf. Konkret will der Investor Groens JET komplett kaufen und von der Börse nehmen. 4,1 Milliarden Euro will sich Prosus den Deal kosten lassen. Für die JET-Aktionäre dürfte das Angebot attraktiv sein: Es liegt zwar unterhalb des ersten Kurses der Aktie beim Börsengang 2016 und ist nur ein Fünftel des Höchstkurses in der Pandemie-Zeit, doch die Aktie dümpelt seit 2022 dahin. Prosus zahlt mehr als doppelt so viel, wie JET zuletzt an der Börse wert war. Der Deal dürfte daher durchgehen – und auch bei den Aufsichtsbehörden.
Der hohe Aufpreis zeigt, dass Prosus mit JET einiges vorhat. Denn Prosus gehört bereits der brasilianische Lieferdienst iFood komplett, außerdem etwa ein Drittel am indischen Lieferdienst Swaggy. Prosus ist zudem mit gut 27 Prozent größter Anteilseigner bei Delivery Hero. Die Berliner sind vor allem dort stark, wo JET, iFood und Swaggy nicht vertreten sind: im Nahen Osten, Südostasien, Osteuropa und Teilen Südamerikas.
Die Prosus-Beteiligungen ergänzen sich also regional. In Deutschland ist Prosus außerdem am Lieferdienst Flink beteiligt, dessen Zukunft unklar ist. Es gibt Spekulationen, dass der weitere Großinvestor Rewe den Lebensmittel-Lieferanten ganz übernehmen könnte. Da Flink seine globalen Ambitionen längst gestrichen hat, dürfte es im großen globalen Spiel der Lieferdienste kaum eine Rolle spielen – anders als JET.
Offenbar will Prosus JET nach dem Zukauf enger mit seinen anderen großen Anbietern verknüpfen. Denn Fabricio Bloisi, Chef von Prosus und Naspers in Personalunion, kennt sich mit dem Geschäft aus: Der Brasilianer war zuvor Gründer und Chef von iFood. Zur Ankündigung der JET-Übernahme preist er sein Know-how bei künstlicher Intelligenz (KI) für das Liefergeschäft, das künftig auch JET zugutekommen solle.
Zwar ist KI derzeit oft nicht viel mehr als ein Schlagwort, aber die Ankündigung zeigt die Richtung: Prosus sieht sich als aktiver Investor, der seine Lieferdienste über kurz oder lang enger zusammenführen könnte. Entsprechend stieg auch die Aktie von Delivery Hero nach der Ankündigung um gut neun Prozent. Denn eine spätere Komplettübernahme erscheint möglich.
Interessant wird, ob die starken Persönlichkeiten an den Spitzen harmonieren. Bei Delivery Hero ist noch immer Mitgründer Niklas Östberg Vorstandschef. Er verkaufte vor einem Jahrzehnt sein Deutschland-Geschäft, die Marke Lieferando, an Groen.
Der Niederländer wiederum kündigte bei einer Pressekonferenz am Montagmorgen an, er werde Chef in der JET-Zentrale in Amsterdam bleiben. Er wolle das Wachstum des auf Europa konzentrierten Anbieters mithilfe der Finanzkraft von Prosus beschleunigen. „Prosus wird aggressiver sein, als wir es selbst könnten“, sagte Groen laut der niederländischen Zeitung „NRC“.
Im Geschäftsjahr 2024 kam JET auf 5,1 Milliarden Euro Umsatz – ein Prozent weniger als im Vorjahr. Der operative Gewinn stieg deutlich von 339 Millionen Euro auf 460 Millionen Euro. Wegen des Verkaufs des verlustreichen US-Geschäfts stand unter dem Strich allerdings ein Verlust von 1,6 Milliarden Euro.
Denn Groen hat sich – wie viele andere Spieler – in der Pandemie verzockt. Damals hoffte die Lieferbranche, der Boom werde auch nach dem Ende der Corona-Maßnahmen anhalten. Groen kaufte in der Euphorie 2021 den US-Anbieter Grubhub für 7,3 Milliarden Dollar – und verkaufte ihn nach anhaltenden Verlusten im vergangenen November für nur noch 650 Millionen Dollar.
Ein anderes Milliardenrennen lieferte er sich ausgerechnet gegen seinen künftigen Eigner Prosus: 2020 schnappte er den Südafrikanern den britischen Anbieter Just Eat für 5,9 Milliarden Pfund in Aktien weg – also für eine höhere Bewertung, als Prosus heute für den Gesamtkonzern JET zahlt.
Die Prosus-Aktionäre sind angesichts des jahrelangen Hin- und Her skeptisch, was die Chancen für das Liefergeschäft angeht: Die Prosus-Aktie verlor am Montag deutlich, war allerdings in den Vorwochen gestiegen. Denn klar ist, dass das globale Liefergeschäft bei Weitem kein Selbstläufer ist. Bislang haben die Geldgeber in dem Feld vor allem Kapital verbrannt. Auch Delivery Hero ist eine Dauerbaustelle. Die Berliner bereinigen derzeit ihr Asien-Geschäft, in das sie zuvor kräftig investiert hatten.
Es gibt ein grundlegendes Problem: Die Hürde für den Markteinstieg ist relativ gering. Das führt bislang dazu, dass immer wieder neue Spieler auf den Markt drängen. Das macht die Hoffnung der Investoren regelmäßig zunichte, endlich einen lokalen Monopolisten mit entsprechender Gewinnmarge geformt zu haben. Denn kaum ist der Markt bereinigt, kommt neue Konkurrenz auf.
Dazu kommt, dass gegen reine Lieferdienste wie Lieferando auch noch Anbieter antreten, die Taxi-Dienste und Lieferungen verknüpfen wollen – wie Uber Eats. Wie das Spiel ausgeht, ist noch immer offen – auch ein Vierteljahrhundert, nachdem Jitse Groen sein Unternehmen als hoffnungsvoller Pionier in den Niederlanden gegründet hat.
Christoph Kapalschinski ist Wirtschaftsredakteur und schreibt regelmäßig über Lieferdienste.
Source: welt.de