Rassismus | Krimi-Sensation „Ein höheres Ziel“: Die Stimmung ist aufgeheizt

Der erste Kriminalroman der Staatsanwältin Malin Thunberg Schunke „Ein höheres Ziel“ wurde ein großer Überraschungserfolg und ist nun auf Deutsch erschienen. Hier trifft Spannung auf Sozialkritik und gesellschaftliche Aufklärung

Illustration: Büke Schwarz für der Freitag


Später wird sich Amir Yasin oft gefragt haben, warum ausgerechnet er meinte, die nächste Runde Drinks von der Bar holen zu müssen. Doch solche Überlegungen sind müßig, wenn man in einer Falle sitzt, aus der es kein Entkommen zu geben scheint. Dabei hat alles ganz harmlos und vergnügt angefangen. Vier alte Freunde feiern einen Junggesellenabschied. Und weil sie allesamt recht gut situiert sind, findet die Party nicht daheim in Stockholm, sondern im exklusiven Seebad Juan-les-Pins an der Cote d’Azur statt. Ein verhängnisvoller Fehler.

Denn während Amir Yasin seine Bestellung aufgibt, stürmen bewaffnete Männer die Bar und schießen um sich. Es gibt Tote und Verletzte. Doch davon bekommt Amir, der sich zu seinem Schutz auf den Boden geworfen hat, wenig mit. Später wird jemand behaupten, den Ruf „Allahu Akbar“ gehört zu haben. Als die Polizei eintrifft, wird Amir nicht als unbeteiligter Zeuge vernommen, sondern zusammen mit einem der Attentäter, dessen Komplizen fliehen konnten, verhaftet. Zu seinem Entsetzen beschuldigt man ihn, an dem Anschlag beteiligt zu sein. Der ehrgeizige Untersuchungsrichter Philippe Duvernoy ist fest entschlossen, Amir als Mörder und Mitglied in einer terroristischen Vereinigung anzuklagen. Denn trotz einer ausgesprochen dürftigen Beweislage ist er von der Schuld des schwedischen Staatsbürgers mit irakischen Wurzeln überzeugt. Dass der 41-jährige Betriebswirt ein bürgerliches Leben führt und Kontakte zu islamistischen Gruppen nicht nachweisbar sind, interessiert den Karrierejuristen nicht. Zu gut passt Amir in sein von rassistischen Vorurteilen geprägtes Täterschema.

Im Sommer 2015 ist die Stimmung in Frankreich aufgeheizt. Der Terroranschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo liegt erst wenige Monate zurück. Und ein Sohn irakischer Einwanderer, wie integriert er auch sein mag, ist per se verdächtig. Zumal sich seine drei Begleiter ziemlich rasch aus Frankreich verabschiedet haben. Im Vertrauen auf die französische Justiz, wie sie später sagen.

Ausgeklügelte Rechtssysteme

Außerdem glauben sie, von Schweden aus mehr für ihren Freund tun zu können. Doch das erweist sich als ein fataler Irrtum. Also bleibt Amir allein und hilflos zurück, als Untersuchungshäftling eingesperrt in eine Einzelzelle im berüchtigten Gefängnis Fleury-Mérogis, der Landessprache nicht mächtig und ohne angemessene Verteidigung, Währenddessen führt seine Lebensgefährtin in Stockholm, mit der er zwei Kinder hat, einen verzweifelten Existenzkampf.

Was die schwedische Autorin Malin Thunberg Schunke in ihrem packenden Krimi Ein höheres Ziel als kafkaesken Albtraum schildert, ist ein durchaus realistisches Szenario. Wer in einem anderen europäischen Land in den Verdacht gerät, ein schweres Verbrechen begangen zu haben, ist zunächst der dortigen Justiz ausgeliefert. Und selbst in „ausgeklügelten Rechtssystemen kann es“, wie die Autorin in ihrem Nachwort schreibt, „vorkommen, dass man in einem grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren plötzlich im Nachteil ist“.

Dann geht es einem vielleicht wie Amir Yasin, der Hauptfigur ihres Romans, dessen fiktives Schicksal die schlimmstmöglichen, aber eben nicht unwahrscheinlichen Wendungen nimmt. Bis sich Fabia Moretti und Esther Edh von Eurojust, einer in Den Haag angesiedelten Agentur der Europäischen Union, die für die länderübergreifende Zusammenarbeit in Strafsachen zuständig ist, sich des Falles annehmen. Und durch hartnäckige Recherche herausfinden, was es tatsächlich mit dem Anschlag auf sich hat.

Der Start einer Erfolgsreihe

Malin Thunberg Schunke, 1969 in Skövde (Schweden) geboren, ist Dozentin für Strafrecht und hat als Staatsanwältin gearbeitet. Ein höheres Ziel, im Original 2019 erschienen, war nach mehreren Sachbüchern ihr erster Roman, dem bis heute vier weitere Bücher mit dem ungleichen Ermittlerinnenpaar Moretti und Edh gefolgt sind. Die Entscheidung, Spannungsliteratur mit gesellschaftlicher Aufklärung zu verbinden, hat in Schweden Tradition, seit Maj Sjöwall und Per Wahlöö 1965 Die Tote im Götakanal den ersten Band ihrer berühmten Reihe von sozialkritischen Kriminalromanen veröffentlichten.

Und so wundert es nicht, dass die 2020 verstorbene Maj Sjöwall, als sie das Manuskript für den Verlag prüfte, begeistert war. „Ein fantastisches Buch, das Beste, was ich in den letzten Jahren gelesen habe“, hieß es in ihrem Gutachten. Ein sehr nachvollziehbares Urteil. Denn Ein höheres Ziel (Leseprobe) überzeugt als hoch spannender, rasanter und empathisch erzählter Kriminalroman von beklemmendem Realismus.

Eine Verlagsbeilage in Zusammenarbeit mit dem Polar Verlag