Japans Autoindustrie: Kommando Aufholjagd

Wenn dieser Tage japanische Automanager über ihre Branche sprechen, schwingt Dramatik mit. Von den größten Veränderungen seit Erfindung des Automobils spricht der Verwaltungsratsvorsitzende von Toyota, Akio Toyoda. Einen Wendepunkt, wie ihn die Autoindustrie seit 100 Jahren nicht erlebt habe, macht Nissans Vorstandsvorsitzender Makoto Uchida aus. Und der Chef von Honda, Toshihiro Mibe, findet: „Wir können nicht mehr nach den bekannten Regeln kämpfen angesichts der rapiden Veränderungen unserer Industrie.“

Es sind vor allem die vielen neuen Wettbewerber aus China und der Elektro-Pionier Tesla aus Amerika, die den Vertretern einer der erfolgreichsten Autonationen der Welt die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Ähnlich wie die deutschen Hersteller Volkswagen, BMW und Mercedes sind die Japaner mit klassischen Verbrennungsmotoren groß und beliebt geworden. Noch etwas später als ihre deutschen Konkurrenten haben sie sich auf eine Welt eingestellt, in der klimaschonendere Antriebe gefragt sind und die Software im Auto für viele Kunden zum Kaufargument wird.

Während Tesla und der chinesische Emporkömmling BYD ihre Elektroautos längst in Millionen-Stückzahlen verkaufen, dürfen viele der vollelektrischen Angebote der Japaner noch als Experimente betrachtet werden. Wie etwa der Honda E, der zwar irgendwie kultverdächtig knubbelig aussah, aber aufgrund der mangelnden Reichweite kaum Käufer fand – und wieder vom Markt genommen wurde.

Vor allem in China an Boden verloren

Vor allem im wichtigen Absatzmarkt China haben die Japaner dadurch rasant an Boden verloren: War noch vor vier Jahren jeder vierte in China verkaufte Neuwagen ein Japaner, liegt der Marktanteil inzwischen nur noch bei 12 Prozent. Nissan hatte hier über Jahre mehr als eine Million Fahrzeuge im Jahr verkauft, gut ein Drittel der Gesamtverkäufe. Im vergangenen Geschäftsjahr waren es nur noch 790.000. Mitsubishi hat mangels Nachfrage vor wenigen Monaten angekündigt, seine Produktion in China ganz einzustellen.

Der außergewöhnlich günstige Yen-Kurs federt die China-Misere bislang noch gut ab. So konnten die Japaner vor allem in Europa und Amerika ihre Verkäufe deutlich verbessern und unterm Strich Rekordgewinne verbuchen. Zudem punktet zum Beispiel Toyota derzeit mit seinen Hybrid-Fahrzeugen, die offensichtlich vielen Käufern als gute Alternative zu den teuren und noch nicht immer zuverlässigen reinen Elektroautos erscheinen. Aber Japans Automanager und die Regierung haben erkannt, dass sie dringend in die Aufholjagd einsteigen müssen, wenn sie von den neuen Wettbewerbern nicht bald nur noch die Rücklichter sehen wollen.

Die Konzerne investieren derzeit hohe Milliardensummen, um bei den vielen Technologien, die im Auto der Zukunft stecken sollen, mitzuhalten. Toyota, der absatzstärkste Autobauer der Welt, will allein in diesem Jahr umgerechnet 13 Milliarden Dollar in E-Mobilität, Künstliche Intelligenz und die dafür erforderlichen neuen Lieferketten investieren. Für insgesamt 14 Milliarden Dollar baut der Konzern gerade eine neue Fabrik nur für E-Auto-Batterien im amerikanischen North Carolina. Honda hat sein Budget für Zukunftstechnologien für die kommenden Jahre auf 65 Milliarden Dollar verdoppelt.

Lokalrivalen suchen Schulterschluss

Doch nicht nur Geld, auch engere Zusammenarbeit soll den Weg in die Zukunft ebnen. So suchen die Lokalrivalen derzeit erstaunlich offen den Schulterschluss, um gemeinsam neue Technologien schneller und günstiger entwickeln zu können. Honda und Nissan prüfen, wie sie in der Entwicklung neuer Elektromotoren ihre Kräfte bündeln können. Und mit Blick auf wichtige Fahrzeugsoftware etwa für das Autonome Fahren oder die Cyber-Sicherheit hat das für seine industriepolitischen Ambitionen bekannte japanische Wirtschaftsministerium Meti nun sogar die gesamte Autoindustrie des Landes zur gemeinsamen Forschung aufgerufen. Die Regierung hat es zur nationalen Strategie erklärt, dass die heimischen Autokonzerne beim sogenannten Software-definierten Auto bis zum Ende des Jahrzehnts einen Weltmarktanteil von 30 Prozent erreichen.

Die globale Autoindustrie durchlaufe gerade eine Welle revolutionärer Veränderungen, sagte Premierminister Fumio Kishida jetzt auf einer Wirtschaftstagung in Tokio. „Das nächste Jahrzehnt wird entscheiden, wer siegreich aus diesem Wettkampf hervorgeht.“ Daran, dass Japans Regierung die wichtigste Industrie des Landes dabei unterstützen wird, lässt Kishida keinen Zweifel.