Iranischer Raketenangriff: Der befürchtete regionale Konflikt ist entbrannt
Die USA sollen Teheran signalisiert haben, diesmal keinen mäßigenden Einfluss auf die Regierung Netanjahu ausüben zu wollen, sollte es zum Gegenangriff kommen. Er könnte in einem Präventivschlag gegen iranische Atomanlagen bestehen
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Der Anblick von Raketen, die Tel Aviv erreichen, war das eindrücklichste Zeichen, das man sich vorstellen konnte. Der seit einem Jahr befürchtete Regionalkonflikt ist nun endgültig entbrannt. Es gab einen zweiten iranischen Luftangriff auf Israel in weniger als sechs Monaten. Er fiel diesmal um einiges intensiver aus als die Operation im April. Seinerzeit waren langsamere Drohnen und Marschflugkörper eingesetzt, das Hauptziel war eine Militärbasis in der kaum bewohnten Negev-Wüste.
Diesmal waren ballistische Raketen im Anflug, die nach Israel nur zwölf Minuten brauchten und deren Zielkoordinaten dicht besiedelte Stadtgebiete einschlossen. Israelische Zeitungen zitieren Regierungsbeamte, die den Angriff als „iranische Kriegserklärung“ bezeichnen.
Es ist davon auszugehen, dass die Zielliste umfangreich sein wird
Auch wenn bisher über Opfer nichts bekannt ist, wird die Tatsache, dass Städte angegriffen wurden, für die Reaktion Israels von entscheidender Bedeutung sein. Nach dem iranischen Angriff im April war die Vergeltung weitgehend performativ. Das einzige Ziel, das im Iran getroffen wurde, war ein Außenposten der Luftverteidigung auf einer Militärbasis in der Nähe von Isfahan. Diesmal ist von der Regierung Netanjahu ein viel umfassenderer Gegenschlag zu erwarten. Das Kriegskabinett kann sich zwischen verschiedenen Optionen entscheiden, es ist jedoch davon auszugehen, dass die Zielliste umfangreich sein wird. Dazu könnten auch die Nuklearanlagen des Iran gehören.
Das Weiße Haus hatte wenige Stunden vor dem bevorstehenden Raketenstart durch den Iran gewarnt. Vermutlich sollte der Operation das Überraschungsmoment genommen oder Teheran im letzten Moment abgeschreckt werden. Auf jeden Fall hatte die Regierung in Washington wohl zeigen wollen, dass sie nicht überrascht sein werde und sich auf der Höhe der Ereignisse befinde.
Neben allen Gefahren, die dieser Angriff für den Nahen Osten mit sich bringt, dürfte er erhebliche Auswirkungen auf die US-Politik haben, und das fünf Wochen vor einer auf des Messers Schneide stehenden Präsidentenwahl, bei der Donald Trump mehr denn je versucht sein könnte, seine Rivalin Kamala Harris als jemanden hinzustellen, der in der internationalen Politik unglücklich agiert und überfordert ist.
Der Biden Regierung ist es über viele Monate hinweg nicht gelungen, einen Deal über eine Freilassung der israelischen Geiseln und einen Frieden in Gaza auszuhandeln. Auch sind ihre Bemühungen gescheitert, in der vergangenen Woche mit Frankreich während der UN-Generalversammlung einen Waffenstillstand im Libanon auszuhandeln.
Israels Antwort darauf kam, kurz nachdem Premier Netanjahu in New York vor den Vereinten Nationen gesprochen hatte. Sie bestand in einem massiven Luftangriff, bei dem der Hisbollah-Führer und führende Partner Irans in der Region, Hassan Nasrallah, getötet wurde. Für die iranischen Revolutionsgarden ist der nun erfolgte Raketenangriff auch eine Vergeltung für dessen Liquidierung und die Ermordung Ismail Haniyehs, des politischen Führers der Hamas, Ende Juli in Teheran.
Die US-Regierung hat im vergangenen Jahr nie eine spürbare Deeskalation bewirkt
Seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges im Herbst vergangenen Jahres erklärten Politiker der US-Regierung des Öfteren, sie hätten verhindert, dass die Gewalt zu einem regionalen Konflikt wird. Diese Behauptungen haben nun kein Gewicht mehr. Nach dem iranischen Raketenangriff auf Israel im April hatte die US-Regierung Netanjahu noch zur Zurückhaltung aufgefordert und auf ihre Luftverteidigungshilfe verwiesen, die daran beteiligt gewesen sei, fast alle ankommenden Projektile abzuschießen. Diesmal sollen die USA diversen Berichten zufolge Teheran signalisiert haben, dass sie im Fall eines zweiten iranischen Angriffs keinen bremsenden Einfluss mehr ausüben würden und könnten.
Wie ersten Berichten zu entnehmen ist, haben die iranischen Raketen nur minimale Schäden verursacht. Sie haben jedoch die Vorstellung belebt, was in den nächsten Jahren passieren könnte, wenn Flugkörper, die nur zwölf Minuten bis Israel brauchen, möglicherweise Atomsprengköpfe tragen. Israels Vernichtungskriege gegen seine regionalen Feinde, zuerst die Hamas und dann die Hisbollah, werden den Argumenten iranischer Falken, dass nur Kernwaffen das Land sicher und stark machen können, zwangsläufig mehr Nachdruck verleihen. Doch wird dies zugleich Rufe in Israel nach einem Präventivkrieg schüren.