Habecks kalkulierter Kuschelkurs
Der Besuch von Robert Habeck in Indien zeigt: Bei seinen Partnern ist Deutschland nicht mehr allzu wählerisch. Um von China unabhängiger zu werden, umgarnt die Regierung das riesige Land, trotz teils anderer Wertvorstellungen. Gerade Habeck ist bereit, einiges über Bord zu werfen.
Am Ende kann niemand sagen, dass Deutschland in Indien keinen Blumentopf gewinnen kann. Robert Habeck bekommt nämlich schon vor dem Anpfiff ein mittelschönes Exemplar geschenkt – einfach nur dafür, dass er da ist. Und lange sieht es so aus, als würde es an diesem Tag die einzige Trophäe für einen Vertreter Deutschlands im Major Dhyan Chand Stadium in Neu-Delhi bleiben: Die Hockey-Nationalmannschaft hat keine Chance gegen ihre indischen Gegner.
Beim Stand von 5:1 verlässt der Bundeswirtschaftsminister die Tribüne. Er muss gleich den richtigen Pokal auf dem Spielfeld übergeben, und eigentlich gibt es keinen Zweifel daran, dass der in Indien bleibt. Immerhin hat Habeck nun eine neue Vase für die vielen Tulpen, die er in Indiens Hauptstadt bei jedem Gespräch mit Ministerkollegen vom Subkontinent bekommt.
Doch eigentlich geht es darum, deutlich mehr aus Neu-Delhi mitzunehmen als einen Blumentopf. Nicht nur Habeck ist in dieser Woche nach Indien gereist und hofft auf Fortschritte bei einem möglichen Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südasiatischen Land.
Auch der Kanzler kommt, und Arbeitsminister Hubert Heil (SPD) will vor Ort dafür sorgen, dass sich mehr indische Fachkräfte für Deutschland entscheiden statt für Kanada, Australien oder die USA. Jeden Monat kommt eine Million neue Akademiker auf den indischen Arbeitsmarkt, der mit dieser Zahl völlig überfordert ist. Sogar Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will an den deutsch-indischen Regierungskonsultationen teilnehmen.
In kaum ein Land ist die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode so häufig gereist wie nach Indien. Dabei ist der Riesenstaat mit seinen mehr als 1,4 Milliarden Menschen eigentlich kein Land, das sich ein grüner Wirtschaftsminister, der auch für den Klimaschutz verantwortlich ist, als bevorzugten Partner wünschen würde.
Das ist schon daran erkennbar, dass Habeck gleich mit zwei Kollegen auf indischer Seite über Energie reden muss: Einer ist für Erneuerbare zuständig, einer für „Power“ – die fossile Stromerzeugung. Das deutsche Ministerium hat für die Delegation hektisch noch den Besuch eines Solardachs auf dem India Habitat Centre von Neu-Delhi ins Programm geschoben.
Der Minister ist erstaunlich verständnisvoll
Es scheint nicht sehr viele dieser Fotovoltaik-Anlagen in der indischen Metropole zu geben, die Besitzer sind jedenfalls stolz auf die verstaubten Module unter der Smog-Glocke von Delhi. Die Luftverschmutzung, die man bei jedem Atemzug merkt, kommt nicht nur von Kohlekraftwerken, die Indien noch immer baut, sondern auch von den Feldern um die 33-Millionen-Stadt, wo Bauern gerade die Reste der Reisernte verbrennen.
„Indien ist ein Land mit einer wachsenden Bevölkerung und einem wachsenden Wohlstand, das heißt logischerweise, der Energiebedarf wird steigen“, sagt Habeck. „Wer wollte den Menschen verwehren, ein Wohlstandsniveau zumindest anzustreben, das für uns ganz selbstverständlich ist?“
Der deutsche Minister ist wie die gesamte Regierung erstaunlich verständnisvoll und nachsichtig, wenn es um die Partner am Ganges geht. Das zeigt sich auch bei den Verhandlungen über ein mögliches Handelsabkommen und geopolitische Allianzen der Inder. „Wir leben in einer Welt, die sich in enormer Geschwindigkeit verändert – nicht immer zum Besseren“, sagt Habeck. Die Botschaft: Wir können nicht mehr allzu wählerisch bei unseren Partnern sein. Statt angeblich wertegeleiteter Außenpolitik ist geopolitischer Pragmatismus gefragt.
Habeck umgarnt die Inder schon vor dem Abflug als bevorzugte Partner und „Freundesland“. Doch Indien sieht überhaupt nicht ein, sich auf einen Freund oder zumindest einen Freundeskreis zu beschränken. Vor allem die engen Beziehungen des Landes zu Russland sind aus deutscher Sicht problematisch.
Es gehört weiter zu den größten Abnehmern von russischem Öl und Gas, hat sich den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen. „Indien ist ein selbstständiger Staat mit einer eigenen Rolle“, sagt Habeck. Die Inder suchten durchaus die Nähe zu Deutschland und Europa. Das zeigen auch mehrere Partnerschaftsabkommen, die am Freitag bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen geschlossen wurden.
„Aber selbstverständlich gibt es aus deutscher Sicht auch sehr viele Konflikte und Probleme zu bereden“, sagt Habeck und meint vor allem die Sanktionsumgehungen und -verstöße. „Indien besteht auf einer Art Neutralität, Führungsrolle für die BRICS-Staaten, für die noch nicht so stark entwickelten Länder, und das entspricht nicht immer unseren Werten und unseren Wertvorstellungen.“
Heftige Umarmung der Inder
Deutschland will das Problem durch noch heftigere Umarmung der Inder lösen und endlich ein Freihandelsabkommen mit dem Land schließen, über das schon seit fast zwei Jahrzehnten verhandelt wird. „Das ist jetzt nicht gerade Deutschlandtempo. Mal gucken, ob wir ein paar Knoten lösen können“, sagt Habeck.
Auch hier will er pragmatisch sein und notfalls ein Abkommen nur für bestimmte Sektoren und Bereiche schließen. So soll der Widerstand der Inder etwa bei der Landwirtschaft umgangen werden. Ob das gelingt, ist offen. Habeck ist für diese Verhandlungen nicht zuständig, das macht die EU-Kommission.
Ginge es nach dem deutschen Minister, soll plötzlich auch ein Vertrag möglich sein, ohne noch die letzten Umwelt- und Sozialstandards abschließend einheitlich zu regeln. Daran scheitern seit Jahren viele ähnliche Abkommen.
Bei einem rennt Habeck damit offene Türen ein: „Wir sollten das Freihandelsabkommen behandeln als das, was es ist: ein Handelsabkommen“, sekundiert in Neu-Delhi Siemens-Chef Roland Busch. Die Botschaft ist klar: Statt die Verträge mit eigenen Wertvorstellungen zu überfrachten, müssen endlich Lösungen her.
Busch ist zugleich Chef der Asien-Pazifik-Konferenz, die zeitgleich in Indien stattfindet. Mit dieser Veranstaltung versucht die deutsche Wirtschaft, den Handel mit der rasant wachsenden Region zu vertiefen – und so vor allem die Abhängigkeit von China zu verringern. „Die Welt driftet auseinander, das hat mit dem Krieg in der Ukraine zu tun, das hat mit Machtinteressen zu tun, mit einem anderen strategischen Angang, wo man Wirtschaft inzwischen als Machtinstrument nutzt“, sagt Habeck. „Für Deutschland wird es eine richtige Zerreißprobe.“
China und die USA seien nun mal die größten Handelspartner. „Wir erleben, dass Deutschland und Europa ihre Handelsbeziehungen breiter aufstellen müssen“, sagt der Minister. Längst sei man bei vielen Rohstoffen und Schlüsseltechnologien abhängig von China, man sehe nun nach der Erfahrung mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem Einsatz von Energielieferungen als Waffe, „dass wir dort eine Verletzlichkeit haben entstehen lassen“, so Habeck.
Inder erwarten auch Waffenlieferungen
Umsonst ist die Partnerschaft mit Indien nicht zu haben. Zwar werden Habeck und seine Ministerkollegen zuvorkommend empfangen. Doch die Inder kämen „oft mit einem Selbstbewusstsein daher, das durch keine Tür mehr passt“, sagt einer, der häufig mit ihnen verhandelt.
Habeck sagt, er habe Russland und die Sanktionen in den Gesprächen thematisiert – und bekommt dann immer die gleiche Antwort: „Euer Russland ist unser China.“ Damit meinen die Inder, dass Deutschland und die Europäer ja auch mit China weiter Handel treiben, obwohl Peking die gemeinsame Grenze mit Indien nicht anerkennt.
Aus indischer Sicht gehören zu einer Partnerschaft deshalb auch Waffenlieferungen. Bislang bezieht Neu-Delhi diese fast ausschließlich aus Russland, nun haben die Inder auch den Kauf von deutschen U-Booten beantragt. Habecks Ministerium wird darüber mitentscheiden. Es ist der Preis für eine engere Bindung an einen nicht perfekten Partner.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht in seiner Rede in Neu-Delhi die geopolitischen Differenzen klar an: „Wenn Russland erfolgreich wäre mit seinem illegalen, brutalen Krieg gegen die Ukraine, hätte das Auswirkungen weit über Europas Grenzen hinaus. Ein solches Ergebnis würde die globale Sicherheit und den Wohlstand als Ganzes gefährden.“ Scholz warnte vor der „Erosion internationaler Institutionen und Regeln“. Man müsse im globalen Handel offen bleiben, „ohne naiv zu sein“. Dazu gehöre auch ein Freihandelsabkommen mit Indien, er hoffe auf Fortschritte „in Monaten, statt in Jahren“.
Damit die Pläne von der Fachkräftezuwanderung bis zum Freihandel aufgehen, braucht es ein mittelgroßes Wunder. Dass es die gibt, zeigt sich ausgerechnet im Hockeystadion. Kurz vor Ende schießen die Deutschen tatsächlich noch zwei Tore. Weil sie das Hinspiel mit 2:0 gewonnen haben, kommt es zum Shootout. Am Ende gewinnt Deutschland damit in Neu-Delhi sogar gleich zwei Blumentöpfe – wenn das kein gutes Zeichen ist.
Philipp Vetter ist Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er berichtet über das Bundeswirtschaftsministerium, Wirtschaftspolitik, Energiepolitik, Verkehrspolitik, Mobilität und die Deutsche Bahn. Seinen exklusiven WELTplus-Newsletter können Sie hier abonnieren. Er ist seit 2021 Co-Host des WELT-Podcasts „Alles auf Aktien“.
Source: welt.de