Habeck nennt jahrzehntelange Verhandlungen verknüpfen „Witz“

Seit rund 20 Jahren versuchen Deutschland und Indien, ein Freihandelsabkommen auszuhandeln – solchen Stillstand könne sich Deutschland nicht mehr leisten, mahnen Wirtschaftsvertreter. Indiens Premierminister Modi kündigt eine kräftige Erhöhung der Visa-Kontingente an.

Deutschland und Indien wollen ihre wirtschaftlichen Beziehungen durch ein Freihandelsabkommen vertiefen. Bei der Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft in Neu-Delhi forderten am Freitag zahlreiche hochrangige Vertreter aus Politik und Wirtschaft einen baldigen Abschluss der Verhandlungen der EU-Kommission und Indien – nach rund 20 Jahren.

Siemens-Chef Roland Busch sagte, beide Seiten müssten sich bewegen. „Wir können uns jahrzehntelange Verhandlungen nicht mehr leisten.“

Lesen Sie auch

Ähnlich äußerte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): Ein Abkommen wäre die richtige Antwort auf die Herausforderungen, vor denen beide Seiten stünden. So lange Verhandlungen seien ein Witz. Es müsse jetzt vorangehen. Die Partnerschaft zwischen beiden Ländern sei zu wichtig.

Ein Abschluss der EU mit Indien könnte beiden Seiten einen Schub verleihen. Als unwahrscheinlich gilt jedoch eine Einigung im Agrarbereich. Habeck hatte deswegen zuletzt ein abgespecktes Abkommen ins Spiel gebracht, um wenigstens einen Schritt voranzukommen.

Keine Milch, aber Arbeitskräfte

Indiens Handelsminister Piyush Goyal sagte, sein Land verhandele nicht aus einer Position der Schwäche. Gegenseitige Befindlichkeiten müssten respektiert werden, was in Verhandlungen mit anderen Staaten gelungen sei. Dann könne es schnell gehen. Als Beispiel nannte er Milcherzeuger. Diesen Bereich könne er nicht öffnen. Indien könnte Partnern aber einen sehr großen Markt mit jungen und motivierten Menschen bieten.

Lesen Sie auch

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen deutlich mehr Inder zum Arbeiten nach Deutschland kommen: als Fachkräfte etwa in der Medizin, der Pflege oder der IT-Branche. Bei den Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen, die am Freitag auch in Neu Delhi auf der Agenda standen, kündigte Indiens Premier Narendra Modi an, die Zahl der deutschen Visa für Inder werde von 20.000 auf 90.000 jährlich erhöht. Er sei überzeugt, dass dies Deutschlands Wachstum „neue Impulse“ geben werde.

Aktuell arbeiten nach Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) 138.000 indische Fachkräfte in Deutschland. Sie helfen demnach „entscheidend“ gegen den Fachkräftemangel hierzulande. Ohne Zuwanderung aus Indien würde die Fachkräftelücke von aktuell 540.000 Menschen um 20 Prozent höher ausfallen, so das IW. Viele Inderinnen und Inder arbeiten demnach in Engpassberufen, etwa in der Gesundheits- und Krankenpflege.

Zu den Konsultationen sind neben Kanzler Olaf Scholz unter anderem noch Habeck, Arbeitsminister Hubertus Heil und Außenministerin Annalena Baerbock angereist. Themen sind neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auch Energie und Wasserstoff, Migration sowie geopolitische Fragen.

Indien ist das bevölkerungsreichste Land und die größte Demokratie der Welt. Die dortige Wirtschaft wächst derzeit so stark wie kein anderes großes Land. Schätzungen zufolge wird Indien bis Ende des Jahrzehnts um zwei Ränge zur drittgrößten Volkswirtschaft nach den USA und China aufsteigen und damit auch Deutschland überholen. Für Deutschland gilt Indien als Schlüssel, um die starke Abhängigkeit der Industrie von China zu reduzieren.

Reuters/sos

Source: welt.de