Gewalt gegen Politiker: „Oft verbale, manchmal körperliche Bedrohungen“

René Wilke ist seit 2018 Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder. Der 39-Jährige ist Mitglied der Linken. Schon vor den Angriffen auf Franziska Giffey und Matthias Ecke warnte er vor den üblen Drohungen, mit denen viele Politiker konfrontiert sind.  

ZEIT ONLINE: In Brandenburg sind Anfang Juni
Kommunalwahlen. Ist ein normaler Wahlkampf in Frankfurt / Oder unter den
derzeitigen Voraussetzungen überhaupt möglich?

René Wilke: Was ist denn normal? Dass sich
Menschen, die ehrenamtlich auf kommunaler Ebene politisch aktiv sind, um ihre
Sicherheit Sorgen machen, ist nichts Neues. Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer
überlegen auch bei uns in Frankfurt schon länger, wo und in welcher
Konstellation sie Plakate aufhängen oder Infostände machen. Wir sprechen jetzt
also über einen Zustand, über den man schon viel früher hätte reden müssen. 

ZEIT ONLINE: Man muss also auch in Frankfurt Angst haben,
wenn man Plakate klebt oder Wahlkampf macht?  

Wilke: Menschen, die sich hier engagieren, kalkulieren
zumindest ein, dass es Pöbeleien geben könnte.

ZEIT ONLINE: Pöbeleien sind schlimm genug. In Dresden und
Berlin wurden zuletzt aber sogar Politiker attackiert und im Fall von Matthias Ecke schwer verletzt. Sind das Einzelfälle? Oder handelt es sich um ein
größeres Phänomen? 

Wilke: Oft sind es verbale, manchmal körperliche
Bedrohungen. Die Übergänge sind fließend. Viele Kommunalpolitiker, ob
Bürgermeister oder Landräte, bekamen schon Morddrohungen. Von daher kann man
nicht mehr von Einzelfällen reden. Auch wenn jetzt nicht jeden Tag
Politiker auf offener Straße angegriffen werden. Aber dass sich Menschen
Sorgen müssen, die Plakate aufhängen, das ist trauriger Alltag.

ZEIT ONLINE: Haben Sie selbst bedrohliche Momente erlebt?

Wilke: Für bedrohliche Momente reicht mittlerweile schon das
Bemühen um Bürgernähe. Was natürlich hochproblematisch ist, weil die Nähe zu
Menschen und das Wissen um ihre Themen essenziell für gute politische Arbeit
und damit für eine funktionierende Demokratie ist. Bisher fühle ich mich vor allem unter vielen Menschen sicher. Weil es dann immer auch eine große
Mehrheit gibt, die keine Gewalt zulassen würde.

„Oft laufen die Konfrontierten rot an“

ZEIT ONLINE: Was raten Sie Wahlkämpfern und
Parteifreundinnen, die in brenzlige Situationen kommen?

Wilke: Nicht allein unterwegs sein. Schnellstmöglich die
Polizei informieren. Und, wenn andere Opfer werden, nicht tatenlos zuschauen.
Wir dürfen das nicht akzeptieren, auch wenn eine Partei betroffen ist, die man
nicht wählt. Ich persönlich setzte gern auf eine Konfrontationsstrategie. Wenn
jemand verbal entgleist oder mir böse Briefe schreibt, versuche ich erst recht
ins Gespräch zu kommen, rufe diese Menschen an oder komme unangekündigt zu
Besuchen.   

ZEIT ONLINE: Wie reagieren die Menschen darauf?  

Wilke: Sie sind erst einmal schockiert. Weil ihre
Erwartungshaltung über die „Menschen da oben“, die angeblich nichts interessiert,
gebrochen wird. Oft laufen die Konfrontierten rot an und es ist ihnen sehr
unangenehm, was sie gemacht haben. Und dann kommt man vernünftig ins Gespräch.
Ich empfinde das als heilsam. Auch bei umkämpften Projekten, wie zum Beispiel
gerade bei einer Straßensanierung, arbeiten wir mit solchen Formaten, wo wir
Konflikte offen aushandeln. Wir schaffen als Verwaltung Situationen, in denen
Menschen mit einer bestimmten Haltung auch mit anderen zusammengebracht werden.
Damit sie merken, dass ihr Interesse eines von vielen ist.