Finanzminister Lindner stichelt gegen Amerikas IRA

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nutzte einen Auftritt am Rande der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington, um das amerikanische Gesetz zur Verringerung der Inflation (Inflation Reduction Act) zu kritisieren: „Warum träumt man von einem Inflation Reduction Act für Deutschland, wenn der Inflation Reduction Act in den USA dabei scheitert, die Inflation zu senken“, sagte Lindner auf einer Veranstaltung des Mediendienstes Semafor und setzte noch einen drauf: „Ich will es sehr höflich sagen: Wenn wir auf die wirtschaftliche Entwicklung in den USA blicken, sehen wir, die Inflation ist wieder höher.“

Rein semantisch ist Lindners kalkulierter Ausbruch legitim. Inflationssenkung steht im Titel des Gesetzes, was eine entsprechende Erwartungshaltung unter naiveren Zaungästen weckt. Beobachter, die durch längere Rezeption von Gesetzgebungsprozessen verdorben wurden, wissen dagegen schon seit Beginn: Das stramme Ausgabengesetz für grüne Technologie bekam den Namen, nachdem das fiskalisch deutlich expansivere Build-Back-Better-Programm keine Mehrheit fand.

Der demokratische Senator Joe Manchin verweigerte seine Zustimmung aus Sorge, Amerikas konventionelle Energieprojekte würden leiden, die Staatsschulden könnten weiter in die Höhe schießen und die Inflation befeuern. Der Titel „Inflation Reduction Act“ war die Verpackung eines kleineren Pakets, das Manchin die Zustimmung ermöglichte. Im Jahr 2022, als über das Gesetz verhandelt wurde, war Inflation schließlich das beherrschende Thema, weil die Inflationsrate um 8 Prozent herum lag.

Pharmalobby protestiert weiterhin

Trotzdem: „Die Senkung der Inflation war nie die zentrale Charakteristik des Gesetzes“, sagt Gian Maria Milesi-Ferretti, Forscher an der Brookings-Denkfabrik. Die Autoren des Gesetzes argumentieren indes auch, dass in der öffentlichen Debatte die Tatsache untergehe, dass der IRA neben der umfangreichen Förderung für grüne Projekte einen Teil enthält, der die Preisreduzierung besonders gängiger Arzneimittel anstrebt.

Die bis heute andauernde Protestkampagne der Pharmalobby lässt ahnen, dass die Preissenkungen real sind. Gleichzeitig sind die Preiseffekte bisher noch nicht spürbar und, selbst wenn sie eintreten, nicht bedeutend genug, um die Inflation schrumpfen zu lassen. „Sie bleiben eine Randerscheinung“, sagt Milesi-Ferretti. Das bestätigten auch die überparteilichen Buchprüfer des Kongresses, die keine Auswirkung des Gesetzes auf die Inflation erwarten.

Weißes Haus kontert

Der zweite Teil der Lindner’schen Provokation steckt in der Suggestion, dass der IRA aktuell die Inflation in den USA sogar nach oben treibe. Klar ist: Die hohe gesamtwirtschaftliche Nachfrage in den USA beflügelte die Inflation. Ein Teil dieser Nachfrage sind Staatsausgaben. Nach IWF-Angaben schnellte das kumulierte Defizit aller öffentlichen Haushalte im vergangenen Jahr von 4,1 auf 8,8 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Von diesem Defizit aber machten die IRA-Ausgaben nur einen kleinen Teil aus mit entsprechend kleiner Inflationswirkung.

Wichtiger für die Nachfrage waren niedrige Arbeitslosigkeit und ein historisch großer Vermögenszuwachs, die den privaten Konsum hoch hielten. Zwischen 2019 und 2022 wuchs das Nettovermögen der Amerikaner im Durchschnitt um 23 Prozent, geht aus einer Untersuchung der Federal Re­serve hervor. Wertzuwächse bei Eigenheimen, Wertpapierportfolios und Pensionsplänen bestimmten den Vermögenszuwachs. Davon zehren die Familien bis heute.

Der Chefökonom des Weißen Hauses, Jared Bernstein, konterte Lindners Kritik diplomatisch: Es sollte offensichtlich sein, dass es im IRA um viel mehr gehe als um die Senkung der Inflation. Er wies zudem darauf hin, dass die USA eine kraftvolle Konjunkturerholung an den Tag lege, während das verkaterte Deutschland kaum wachse.