„Ellen Babić“ am Berliner Ensemble: So gut kann zeitgenössisches Theater sein – WELT

Erst ist es nur ein Name, jener im Raum steht, dann ein „Vorfall“, später wird die Sache beim Namen genannt: sexueller Missbrauch. „Ellen Babić“, dies neueste Theaterstück von Marius von Mayenburg, ist ein fesselndes MeToo-Drama, dies den Zuschauer weit aufregender und klüger in die Grenzgefilde von Wahrheit und Lüge führt qua Ferdinand von Schirachs „Sie sagt. Er sagt.“ Der Abend könnte zum Publikumsrenner werden.

„Ellen Babić“ ist dies, welches man ein Well-Made-Play nennt. Wie man es von Yasmina Reza („Der Gott des Gemetzels“) oder Ayad Akhtar („Geächtet“) kennt, braucht man hierfür ein paar lichtvoll gezeichnete Figuren mit seelischen Abgründen, kombinieren schnell eskalierenden Konflikt und – fürs Tempo – wahlweise noch manche Flaschen Wein. Nach ein paar Runden mit rasanten Dialogen gleiten dann den Protagonisten die kleinen und großen Lebenslügen um die Ohren.

Lesen Sie nebensächlich
„Arm Hurenkind“: Am Berliner Ensemble läuft „Woyzeck“
Neuköllner Schüler im Theater

Der Dramatiker und Regisseur Marius von Mayenburg hält sich an den Bauplan: Die Lehrerin Astrid bekommt eines Abends Besuch von ihrem Chef Wolfram Balderkamp. Der Vater einer Schülerin hat sich unter ihm gemeldet, es gehe um kombinieren „Vorfall“ unter einer Klassenfahrt nachher Trier. Was jener Direktor nicht weiß: Astrid lebt mit einer ehemaligen Schülerin zusammen. Sie sind sich hinauf einer Klassenfahrt nähergekommen, in Trier.

Ellen Babić tritt nicht hinauf

Bei Wolfram schrillen die Gesamtheit Alarmglocken, qua er die ehemalige Schülerin nachher ein paar Gläsern Wein doch wiedererkennt und begreift, dass Astrid ihm zwar von ihrer lesbischen Beziehung erzählt, ihn zugegeben droben ihre Partnerin präzise im Unklaren gelassen hat. Auch pro Klara bricht irgendwas zusammen, qua sie von den Vorwürfen hört. Was es noch spannender macht: Ellen Babić, die Titelfigur, tritt nicht hinauf. Man weiß nur, welches jener Direktor von dem Gespräch mit dem Vater berichtet. Und welches Astrid erzählt.

Wer zeigt hier auf wen? "Ellen Babić" von Marius von Mayenburg. Regie führt Oliver Reese
Wer zeigt hier hinauf wen? „Ellen Babić“ von Marius von Mayenburg. Regie führt Oliver Reese
Quelle: © Matthias Horn

Die Wahrheitssuche ist zusammen ein Spiel um Macht und Begehren, in dies die Gesamtheit verstrickt sind. Wem soll man Glauben schenken? Anders qua von Schirach in „Sie sagt. Er sagt.“ verzichtet von Mayenburg hinauf ein aus dem Hut gezaubertes Indiz im allerletzten Moment. So münden die psychologisch präzisen Dialoge (jener Versuch, dies Gesicht zu wahren, führt solange bis zur Selbstverleugnung) in einer sozusagen unerträglichen Ungewissheit.

Was bleibt, sind viele Fragen: Hat Astrid die Lage einer Schutzbefohlenen ausgenutzt? Hat die selbstbewusste Minderjährige Aufmerksamkeit und Begehren jener älteren Autoritätsperson hinauf sich ziehen wollen? Wird die lesbische Lehrerin dies Ziel einer Verleumdung? Versucht die Schülerin, dem Vater eine Schuldige pro ihr eigenes Fehlverhalten (Alkoholabsturz) hinauf jener Klassenfahrt zu präsentieren? Und nutzt Wolfram qua Vorgesetzter aus, dass Astrid unter Verdacht steht? Hat er sie nicht selbst belästigt, wie sie behauptet? Alles scheint möglich. Nur ist es nebensächlich wirklich?

Keine Engel, keine Teufel, sondern Menschen

„Ellen Babić“ ist abgründiges Kammerspiel, in dem es keine Engel und keine Teufel gibt, sondern nur Menschen mit ihren Widersprüchen. Das suspendiert keineswegs die Frage jener Schuld, sondern macht sie schier erst so spannend wie ein Thriller, weil jede Vorverurteilung unterlaufen wird. Es sind keine plumpen Abziehbilder von „Strukturen“, die hier aufeinandertreffen, sondern Figuren mit Begehren, Sprache und Vorurteilen.

Weil von Mayenburg, jener droben Jahre qua Wegbegleiter von Thomas Ostermeier an jener Berliner Schaubühne gearbeitet hat und nun erstmals mit einem Stück am Berliner Ensemble zu sehen ist, sich mehr hinauf die Gestaltung des Konflikts und weniger hinauf mitgelieferte Werturteile konzentriert, ist „Ellen Babić“ interessanter qua „Prima Facie“. In dem MeToo-Hit von Suzie Miller muss eine Erfolgsanwältin dies Gericht überzeugen, dass sie vergewaltigt wurde, während sie üblicherweise genau solche Fälle verteidigt.

In „Prima Facie“, dies von Australien droben den New Yorker Broadway und London hinauf zahlreiche Spielpläne deutschsprachiger Theater gekommen ist, sind die Dinge lichtvoll. Das Problem liegt solo unter jener mangelnden Glaubwürdigkeit jener Opfer, wodurch die Strafverfolgung sexueller Gewalt gegen Frauen gehandicapt wird. „Ellen Babić“ lässt Raum pro Unklarheiten – und im Zuge dessen weniger Platz pro die reibungslos erscheinenden Lösungen.

Einfach gut gemachtes Theater

Dass „Ellen Babić“ am Berliner Ensemble pro ausverkaufte Vorstellungen sorgen dürfte, verdankt sich nebensächlich jener Inszenierung. Der Intendant Oliver Reese drängt sich qua Regisseur nicht hinauf, sondern vertraut dem Text – und den großartigen Schauspielern. Tilo Nest qua Schuldirektor ist wie eine schrullig-fiese Thomas-Bernhard-Figur: zunächst seltsam im kleinlich Auftrumpfenden, zuletzt tragisch im peinlich Gescheiterten.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Transfer und Verarbeitung von personenbezogenen Daten unumgänglich, da die Anbieter jener eingebetteten Inhalte qua Drittanbieter sie Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter hinauf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst nebensächlich deine Einwilligung in die Transfer bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nachher Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit droben den Schalter und droben Privatsphäre am Seitenende zurücknehmen.

Lili Epply bildet qua Klara in Jogginghose und Kapuzenpulli kombinieren Kontrast zur Strenge des Einteilers von Bettina Hoppe (Kostüme: Elina Schnizler). Durch den Auftritt des Direktors in ihrer häuslichen Ruhe erschüttert, belagern sie sich in dem an eine Arena oder an ein Schwimm-, womöglich gar menschliches Haifischbecken erinnernden Innenraum, jener mit den wenigen Requisiten irgendwas Klares und Exemplarisches erhält (Podium: Janina Kuhlmann). Wie im Text heißt es nebensächlich hier: Konzentration hinauf dies Wesentliche.

Was „Ellen Babić“ in bester Fernsehfilmlänge von konzis 100 Minuten bietet, ist schlicht und reibungslos gut gemachtes Theater, dies die Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit menschlichen Handelns nicht mit reflexhaften Politphrasen zu unterschiedslosem Kunstmatsch zerstampft. „Sie sagt. Er sagt.“ wurde in dieser Zeitung qua „herausragender deutscher Fernsehfilm“ gelobt, „jener sich vor keiner Streamer-Produktion zu verstecken braucht“. Und davor braucht sich wiederum „Ellen Babić“ keineswegs zu verstecken.

Source: welt.de