Eine Drohung, die solange bis nachdem Europa hallt

Kaum ein Land ist für die Energiewende so wichtig wie der Kongo, der riesige Rohstoffvorkommen besitzt. Der Vormarsch der M23-Rebellen wird daher auch in Europa mit Sorge verfolgt. Was plant Anführer Corneille Nangaa? Unserem Reporter gelang es als einer der wenigen, vor Ort mit ihm zu sprechen.
Der Weg zum Rebellenchef endet am Tor eines Hotels in Goma. Corneille Nangaa sei nicht da, sagt der Soldat mit dem Maschinengewehr schroff. Nach Verweis auf den Termin greift er dann doch zum Handy, nickt und lässt das Auto nach Bomben durchsuchen. Es folgen zwei Leibesvisiten, eine weitere vor der Hotel-Suite, in der das Interview stattfinden soll. Dann geht die Tür auf.
Hinter ihr erhebt sich aus einem gelben Sessel der Mann, der Ostafrika erschüttert. Einige Tage zuvor hatte Nangaa, 54, gedrungene Gestalt, weißer Vollbart, hier noch in Militäruniform einen ruandischen Journalisten getroffen. Nun trägt er ein edles braunes Hemd, schwarze, polierte Schuhe, dazu eine Baseballmütze mit dem Emblem der Alliance du Fleuve Congo (AFC), der von ihm angeführten Allianz aus Oppositionellen und Rebellengruppen, zu der die mächtige Miliz M23 gehört.
Er lächelt freundlich, will jetzt als Politiker wahrgenommen werden. Als möglicher Verhandlungspartner, der die Uniform aber jederzeit wieder aus dem Schrank holen kann. Denn sein Widersacher Felix Tshisekedi, Präsident der Demokratischen Republik Kongo, verstehe nur eine Sprache: „Das ist die Gewalt.“
Ende Januar marschierte die M23 in die Millionenstadt Goma ein. Tagelang dauerten die Kämpfe mit Kongos Armee und ihren verbündeten Milizen, 2900 Menschen sollen Schätzungen zufolge gestorben sein. Nangaa spricht von „einem Preis für den Frieden“, für den die Regierung wegen ihrer Bewaffnung von Zivilisten die Verantwortung trage.
Seitdem kontrolliert der Rebell die gesamte Provinz Nord-Kivu, ein Gebiet von der Fläche der Schweiz, seine Truppen rücken in der Nachbarprovinz Süd-Kivu vor. „Im ganzen Land warten die Menschen auf uns“, sagt er. „Die Leute fragen uns: Warum dauert es so lange?“
Es ist eine Drohung, die bis nach Europa nachhallt. Denn kaum ein anderes Land ist für die Energiewende so wichtig wie der Kongo. Das riesige Land im Herzen Afrikas produziert 72 Prozent des weltweiten Kobalts, auch für andere kritische Rohstoffe ist es unverzichtbar. Ein idealer Lieferant ist der Kongo angesichts von Korruption, Bürokratie und Reputationsrisiken wie Kinderarbeit nicht gerade. Das eisern, aber effizient regierte Nachbarland Ruanda ist da schon interessanter.
Es soll künftig die Europäische Union beliefern. Anfang 2024 wurde eine Absichtserklärung unterzeichnet, nur einen Monat nach einer ähnlichen Vereinbarung mit dem Kongo. Dort war man erbost – schon allein deshalb, weil deutlicher auf Transparenz gepocht worden war als zuvor in den Schriftwerken mit Kigali.
Aber vor allem, weil der Kongo behauptet, dass Ruanda seine Mineralien aus dem Ostkongo einschmuggelt, das Land gar keine eigenen Rohstoffe habe. Letzteres ist Propaganda.
Mit den Vorwürfen konfrontiert, lädt die ruandische Regierung spontan in eines der Zinn-Bergwerke ein, das 1600 Arbeiter beschäftigt. Es werde im Kongo kein Mineral abgebaut, das man nicht auch in einem der rund 110 ruandischen Bergwerke finden könne, beteuert man dort.
Doch die Behauptung, dass Ruandas Exportvolumen das der eigenen Produktion übersteigt, hält sich trotz dünner Faktenlage hartnäckig. So sind etwa die Coltan-Exporte aus dem Land stark gestiegen, seitdem die aktuelle M23-Offensive vor drei Jahren begonnen hat. Die Rebellen kontrollieren unter anderem die Rubaya-Mine, die rund 120 Tonnen Coltan pro Monat produziert. Marktwert: 800.000 Dollar.
Westliche Länder hatten daher verstärkt entsprechende Untersuchungen zu Konfliktmineralien im Ostkongo eingeleitet. Dann eskalierte der Konflikt, in dem auch Länder wie Uganda, Burundi und Südafrika mitmischen. Erinnerungen an die Kongo-Kriege der 1990er-Jahre werden wach. Ruanda steuere wegen des Rohstoffschmuggels gar die M23-Rebellion, behauptet der Kongo. Zumindest für eine Unterstützung der M23 spricht ein UN-Expertenbericht, demzufolge Ruanda bis zu 4000 Soldaten geschickt hat.
Ruandas Präsident Paul Kagame bestreitet das, wenn auch mit wenig Vehemenz. Immer wieder verweist er auf die anhaltenden Morde an der Tutsi-Minderheit im Ostkongo. Nach ihrem Völkermord an den Tutsi im Jahr 1994 in Ruanda waren Hutu-Milizen über die Grenze geflohen, wüten dort bis heute.
Kagame, der selbst zum Volk der Tutsi gehört, betont die Gefahr für das eigene Terrain: Ruanda werde sein Territorium „um jeden Preis“ absichern. Seine schlagkräftige Armee gilt als die einzige in der Region, die über moderne Flugabwehrraketen verfügt. Raketen, die von der M23 wahrscheinlich beim Abschuss eines UN-Helikopters im Jahr 2022 eingesetzt wurden.
Inzwischen aber steigt der öffentliche Druck: 64 Bürgerrechtsorganisationen fordern die EU auf, von dem Vertrag mit Ruanda Abstand zu nehmen. Eine Aussetzung wird zwar wahrscheinlicher, eine Aufkündigung aber noch nicht, denn ein Großteil der Seltenen Erden kommt aus der Region.
„Wenn Europa dort keinen Zugang hat, dann droht der Industrie ein großer Preisschock“, sagt ein Branchenkenner. Und im Kongo sei es schwer, den Anschluss an China zu halten, das dort die meisten Minen betreibt: „Peking ist dem Westen dort 15 Jahre voraus.“ Auch der Druck auf die Spitzenvereine Bayern München, Paris Saint-Germain und Arsenal London wächst, ihre Sponsorenverträge mit Ruandas Tourismusbehörde zu beenden.
Rebellenchef Nangaa weist alle Vorwürfe zurück. Das mit Ruanda sei „nichts als Spekulation“, sagt er mit ruhiger Stimme. „Wenn der Kongo die Verfassung missachtet, öffentliche Gelder plündert oder mordende Milizen bewaffnet, dann schieben sie die Schuld immer auf Ruanda.“ Er scheint die M23 vom Image der Tutsi-Beschützer lösen zu wollen, präsentiert sich als „Befreier“ des gesamten Volkes. Die Wahrheit sei: „Wir sind Kongolesen. Und nur wir Kongolesen können unsere Probleme lösen.“
Nangaa ist zu Verhandlungen mit Tshisekedi bereit, der jedoch nicht. „Wir sind offen, aber wenn Herr Tshisekedi nicht mit uns diskutieren will, uns als Terroristen erachtet, dann werden wir mit anderen Kongolesen über die Zukunft des Landes reden“, sagt der Rebell, der in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde. Es ist eine weitere Warnung in Richtung Kinshasa.
Die Wahlen habe er gefälscht, gibt er zu
Dabei war Nangaa einst selbst Teil der dortigen Elite, ein Vertrauter des langjährigen Präsidenten Joseph Kabila. Als es immer wütendere Proteste gegen dessen Regierung gab, beauftragte Kabila den ehemaligen UN-Mitarbeiter Nangaa im Jahr 2018 mit der Organisation von Wahlen. Sie wiesen massive Unregelmäßigkeiten zugunsten von Kabilas Wunschnachfolger Tshisekedi auf, gab der US-sanktionierte Nangaa später selbst zu.
Da hatten Kabila und er sich mit dem doch nicht so genehm agierenden neuen Präsidenten überworfen. Sein dann erfolgter Anschluss an die M23-Rebellion, die damals bereits lief, sei „seine Pflicht, um eine Diktatur zu vermeiden“, sagt Nangaa heute.
In Goma inszeniert sich seine M23 nun als bessere Regierung, als korruptionsfreie Alternative zu der von Tshisekedi, die mit ihrer desolaten Armee den 100 bewaffneten Gruppen in Nord-Kivu nichts entgegenzusetzen hatte. Tagelang fahren Rebellen durch die Stadt, fordern die Menschen mit Megaphonen auf, zu einer Kundgebung im Stadion zu kommen.
50.000 erscheinen dann auch, darunter Unterstützer, die schlicht dankbar sind, dass es wieder ein klares Machtzentrum in Nord-Kivu gibt. Die Mehrheit aber kommt aus skeptischer Neugier. Afro-Beats dröhnen aus Lautsprechern, einige der M23-Anführer kommen wie Rockstars tanzend auf die Bühne.
Nangaa erscheint etwas staatsmännischer, fordert die Menschen auf, ihr normales Leben wieder aufzunehmen. Und sich dem Marsch auf Kinshasa anzuschließen. „Wollt ihr, dass wir in Goma aufhören?“, ruft er ins Mikrofon. „Nein, nach Kinshasa, Kinshasa!“, rufen zumindest seine Anhänger in den ersten Reihen. Später werden die Rebellen ein schickes Video von der Veranstaltung veröffentlichen, bestehend aus Drohnenaufnahmen. Titel: „Treffen der Hoffnung“.
Einige Kilometer weiter trifft man auf eine Frau ohne Hoffnung. Antoinette Kalema, 40, steht mit zwei ihrer sieben Kinder auf dem nackten Stück Erde, wo sich einst ihr Zelt befand. Jetzt sind nur noch Fetzen übrig und Pappstücke, mit denen sie den Boden bedeckt hatte.
Drei Jahre lebte sie hier, eine von Millionen in Nord-Kivu, die bei den Kämpfen aus ihren Dörfern vertrieben worden waren. Beim Einmarsch der M23 zerstörten Anwohner dann ihre Notunterkunft im Ngangi-Lager. Sie hatten von der Anweisung der Rebellen gehört, dass alle Binnenflüchtlinge in ihre Dörfer zurückkehren sollen. Dort seien sie jetzt wieder sicher, so die M23.
Doch selbst wenn das so sein sollte, fragt Kalema, wovon solle sie dort leben? Sie brauche Geld, um die Hütte wieder aufzubauen, um landwirtschaftliche Geräte zu kaufen. So einfach sei das alles nicht. Eine Kirche bietet ihr neue Zuflucht, hält die Familie mit Lebensmitteln am Leben. Irgendwie.
Schwierige Rückkehr zur Normalität
Auf solch offene Fragen stößt man überall in Goma. Die Lehrer sollen laut M23 wieder unterrichten, aber sie bekommen ihr Honorar aus Kinshasa nicht ausgezahlt, erzählt ein Dozent. Die Geschäfte sollen wieder ihren Betrieb aufnehmen, doch viele wurden geplündert. Die Zentralbank schickt Gomas Banken kein Bargeld mehr. Es wird knapp.
Unbeeindruckt konsolidiert Rebellenführer Nangaa seine Macht. Im Regierungssitz von Nord-Kivu vereidigt er den neuen Gouverneur. Danach wird Kongos Nationalhymne angestimmt, während einige Gebäude auf dem idyllischen Grundstück am Kivusee noch verwüstet sind.
Am Ende des Interviews reicht Nangaa die Hand, hält den Händedruck lange. „Ich hoffe, dass sie unsere Geschichte korrekt in Ihrem Land erzählen“, sagt er. Wie sie ausgeht, weiß allerdings auch er nicht. Sie ist ein wenig außer Kontrolle geraten.
Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.
Source: welt.de