Die überzeugte Kapitalistin, die ihr Geld tunlichst aufs Sparbuch legte

Kein Verfechter des gänzlich freien Marktes hat auch nur annähernd so viele Bücher verkauft wie Ayn Rand. Die Gesamtauflage ihrer Werke liegt bei über 37 Millionen, sie wurden in 38 Sprachen übersetzt. Allein ihr Roman „Atlas Shrugged“ verkaufte sich über zehn Millionen Mal. Zum Vergleich: Der Bestseller von Friedrich August von Hayek „Der Weg zur Knechtschaft“ wurde über zwei Millionen Mal verkauft, Milton Friedmans „Kapitalismus und Freiheit“ über eine Million Mal.
Sie sah sich nicht nur als Verteidigerin einer Wirtschaftsordnung, sondern auch als Anwältin der Reichen und Erfolgreichen gegen Neid und Mittelmäßigkeit. Ein typisches Vortragsthema von ihr lautete: „Amerikas verfolgte Minderheit: Big Business.“
Woher rührte ihr großer Erfolg? Anders als die Ökonomen Ludwig von Mises, Hayek oder Friedman schrieb sie vor allem Romane. Ihre Aufsätze und Sachbücher hatten demgegenüber eine untergeordnete Bedeutung. Es waren nicht Argumente der Vernunft, sondern der Appell an Moral und Gefühle, der ihr eine solche Wirkung brachte. Dabei war der Kern ihrer Philosophie der starke Glaube an die Überlegenheit der Vernunft. Gefühle hatten ihre Berechtigung nur dann, wenn sie auf strikt logischen Überlegungen basierten.
Das unterschied Rand von Hayek, der die Vorstellung kritisierte, dass die menschliche Vernunft ausreiche, um komplexe soziale Systeme zu verstehen und zu steuern. Er betonte die Begrenztheit menschlichen Wissens und argumentierte, dass soziale Ordnungen wie Märkte oder Traditionen spontan und durch evolutionäre Prozesse entstehen und nicht als Ergebnis von vernünftigen Überlegungen.
Ihre Biografin Anne C. Heller hat auf den Widerspruch bei Rand hingewiesen: „Ob sie es wusste oder nicht, sie vermittelte ihre Philosophie der strengen Rationalität durch einen vor allem emotionalen Appell von Figuren in einer Fabel.“ Als sie versuchte, Geld bei Unternehmern für eine Kampagne für ihren Roman „The Fountainhead“ (verfilmt 1949 mit Gary Cooper) zu akquirieren, erklärte sie, Romane bewegten die Menschen zuerst emotional und dann intellektuell – und das machte sie zur überzeugendsten Art von Propaganda.
Das war nur einer der Widersprüche in ihrem Leben. Viele Anhänger, die sie oft wie einen Guru anbeteten, sahen Rand als Übermensch, der, ähnlich wie die Helden ihrer Romane, strikte Rationalität vorbildlich vorlebte. Aber sie war eine starke Raucherin, und selbst nachdem ihr der Arzt erklärte, er müsse einen Lungenflügel entfernen, glaubte sie nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs gab.
Ein großes Dollarzeichen war das Symbol der Helden in ihrem Roman „Atlas Shrugged“, und sie trug manchmal eine goldene Brosche in Form eines Dollarzeichens – doch sie selbst investierte nicht in Aktien, sondern hatte alles Geld auf einem Sparkonto bei einer Sparkasse auf der anderen Straßenseite ihres Wohnhauses. Flugzeuge faszinierten sie, aber sie flog nicht. Sie hatte Angst abzustürzen und ließ sich lieber im Autofahren, obwohl das schon damals statistisch gesehen viel gefährlicher war.
Kurz: Sie war ein Mensch mit Stärken und Schwächen und nicht der perfekte Übermensch aus ihren Romanen. Niemand predigte Individualismus so vehement wie sie, aber in ihrer Anhängerschaft entwickelte sich ein Kult, den der Anarchokapitalist Murray N. Rothbard in seinem Aufsatz über „Die Soziologie des Ayn-Rand-Kults“ scharf kritisierte. Sie war bekennende Atheistin, dennoch machten die Anhänger dieses Kultes aus ihren Lehren eine dogmatische Religion, die unerbittlich Konformismus verlangte und mit Unduldsamkeit gegen Andersdenkende und Kritiker vertreten wurde.
Kapitalismus hat die Armut überwunden
Trotz dieser Schwächen und Widersprüche können wir bis heute viel von Ayn Rand lernen. Die historischen Fakten sind so überzeugend, dass schwer verständlich ist, warum der Kapitalismus ein so schlechtes Image hat. Vor dem Beginn des Kapitalismus, vor rund 200 Jahren, lebten 90 Prozent der Menschen in extremer Armut, heute sind es weniger als 9 Prozent. Den Anhängern des Sozialismus ist es gelungen, ein System, das so viel zur Überwindung von Armut beigetragen hat, als unmenschlich darzustellen – und ein System, das nur Armut erzeugt hat, den Sozialismus, als menschlich.
Die meisten Menschen lassen sich aber nicht von Statistiken und historischen Tatsachen leiten, sondern von Emotionen. Das verstand niemand besser als Rand, die Hohepriesterin der Vernunft. Die Ökonomin Isabelle Paterson, die einzige Mentorin, die sie in ihrem Leben hatte (mit der sie später jedoch brach, wie mit fast allen Freunden) pries Rand für ihr Buch „The God of the Machine“. Dieses Werk sei ein Dokument, das buchstäblich die Welt retten könnte: „’The God of the Machine’ tut für den Kapitalismus, was ‚Das Kapital’ für die Roten tut und was die Bibel für das Christentum getan hat“, so Rand. Einmal schrieb Rand jedoch über Paterson: „Sie weiß, dass sie ihre Feinde, die Irrationalen, nicht mit ihrer eigentlichen Waffe, dem Verstand, erreichen kann.“
Deshalb machte sich Rand zu Recht mehr Sorgen um die negative Darstellung von Unternehmern in Hollywood-Filmen als in Lehrbüchern an der Universität. Sie verfasste sogar einen Leitfaden mit Empfehlungen für Hollywood, wonach Geschäftsleute nicht als Schurken dargestellt werden sollten.
Früher lasen besonders viele junge Amerikaner Ayn Rand. Heute lesen junge Menschen im Allgemeinen viel weniger Bücher. Dennoch ist das Interesse an ihr nach wie vor groß. Laut Angaben der Atlas Society erreichte der animierte Buchtrailer von „Atlas Shrugged“ zwölf Millionen Aufrufe und verdoppelte in den darauffolgenden Wochen die Verkaufszahlen des Romans. Deshalb hat die Atlas Society ihren Fokus verschoben und konzentriert sich heute auf Publikationen, die von jungen Menschen konsumiert werden, beispielsweise auf einen Comicroman ihres Werkes „Anthem“. Davon werden nun jährlich 75.000 Exemplare verkauft.
Rainer Zitelmann ist Historiker und Autor des Buches „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“. Der Beitrag erschien zuerst im Wall Street Journal.
Source: welt.de