Die fehlende Voraussetzung zum Besten von E-Lkw hat wenig mit High-Tech zu tun

Derzeit haben wir rund 2800 Bestellungen und Bestellanfragen für Elektrolastwagen.
Und wie viele Lkw produziert und verkauft MAN insgesamt in einem Jahr?
Das sind in der Regel zwischen 60.000 und 85.000 Trucks im Jahr.
Woran liegt der geringe Elektroanteil? Etwa daran, dass Deutschland auch für Lkw die Förderung für den Elektroantrieb abgeschafft hat?
Die Serienfertigung unserer Elektro-Lkw läuft erst in diesem Sommer an. Deutschland ist der wichtigste Lkw-Markt in Europa, und tatsächlich wurde hier leider 2023 die Förderung für den Kauf von Lkw mit alternativen Antrieben eingestellt. Aber es gibt andere Länder, die weiterhin Zuschüsse für den Kauf von Elektro-Lkw bezahlen. Förderprogramme gibt es etwa in Polen, Frankreich, Österreich, den Niederlanden oder in Norwegen.
Wie beurteilen Sie den Umgang der bisherigen deutschen Regierung mit der Förderung und dem Hochlauf der Elektrotechnologie?
Als wir im Frühjahr 2022 unseren ersten Prototypen eines Elektro-Lkw in Berlin-Tempelhof vorgestellt haben, waren wir guter Dinge, dass die Politik verstanden hat, wie wir uns bei MAN in Richtung Elektroantrieb orientieren wollen. Damals wollte die Politik die Einführung von Elektro-Lkw fördern. Doch 2023 wurden dann unseren Kunden quasi über Nacht alle Möglichkeiten für eine langfristige Planung weggenommen – und damit de facto auch ihr Geld für notwendige Investitionen.
Es wurden ja nicht nur die Zuschüsse für den Kauf von Elektro-Lkw gestrichen. Zugleich wurden auch noch für alle Diesel-Lkw in Deutschland die Mautgebühren auf Autobahnen und wichtigen Bundesstraßen verdoppelt. Damit müssen die Gütertransporteure für ihre Lkw-Transporte jährlich sieben bis acht Milliarden Euro mehr bezahlen als bisher. Wir fordern ja keine Kaufprämie für alle Ewigkeit, aber diese Förderung über Nacht mitten im initialen Hochlauf zu streichen, war wirklich ungeschickt. Und gleichzeitig den Gütertransporteuren mit der Verdoppelung der Mautgebühren das Kapital für Investitionen in Zukunftstechnologien zu entziehen, hat das Ganze nochmals getoppt.
Wenn ein „normaler“ Sattelschlepper mit Dieselantrieb so um die 100.000 Euro kostet, wie teuer ist denn im Vergleich dazu ein Lkw mit Elektroantrieb?
Je nach Ausführung und Einsatzzweck kostet ein Elektro-Lkw in der Anschaffung ungefähr das Zwei- bis Dreifache. Wichtiger ist aber eine Betrachtung der Gesamtbetriebskosten. Eine große Rolle spielt, dass die Kosten für das elektrische Laden niedriger sind als der Dieseltreibstoff – vor allem wenn die Transportunternehmen ihre Ladesäulen mit eigenen Solaranlagen betreiben können. Und in Deutschland gibt es für Elektro-Lkw auch noch eine Befreiung von den Mautgebühren, doch auch die wird schon bald wieder zurückgeschraubt. Der nächste verkehrspolitische Fehler.
Es kommt also für die Umstellung beim Lkw-Antrieb nicht allein auf den Kaufpreis des Elektro-Lkw an.
Richtig. Es geht um das Gesamtpaket. Da ist zum einen der Elektro-Lkw selbst. Außerdem brauchen wir die Infrastruktur zum Laden, dafür dann nachhaltigen, kostengünstigen Strom, und schließlich muss das Ganze wirtschaftlich betrieben werden können. Insgesamt sollte es etwa fünf bis zehn Prozent günstiger sein, elektrisch zu fahren als mit Dieselantrieb, um Investitionen zu rechtfertigen. Und dann kommt noch der Faktor Zeit hinzu: Der Gütertransporteur mit Lkw oder die finanzierende Leasinggesellschaft investieren nur, wenn die Konditionen langfristig stabil und damit kalkulierbar sind. Es kommt also darauf an, dass die Förderung sowie die Strompreise stabil sind und die Mautbefreiung länger planbar ist. Das alles zusammen ist wichtig und eine Voraussetzung für den erfolgreichen Hochlauf des lokal CO2-freien Gütertransports.
Wie kommen die Konsumenten ins Spiel?
Wenn der Verbraucher CO2-neutralen Transport fordert und fördert, dann muss auch der Verlader, also der Auftraggeber der Transportbranche, eine CO2 -neutrale Güterbeförderung in Auftrag geben, und das Transportunternehmen wird eine lokal CO2-neutrale Lkw-Flotte aufbauen.
Wie viel kostet das den Verbraucher?
Ein Beispiel: Schon mit einem zusätzlichen Cent je Milchtüte oder anderer Konsumprodukte könnte es möglich sein, eine langfristig stabile Perspektive für Investitionen in klimafreundliche Fahrzeuge und die nötige Infrastruktur anzuschieben.
Irgendwie hat das mit den umfassenden Formeln für den Hochlauf des Elektro-Lkw aber nicht geklappt, angefangen von der Infrastruktur. Seit ein paar Jahren wird von Megawatt-Ladesäulen für Lkw gesprochen, aber gibt es die überhaupt?
Bisher haben wir solche Megacharger nur in unserem Werk, für das Laden von Prototypen. Unser Joint Venture Milence hat nun die erste öffentliche MCS-Ladesäule in Betrieb genommen. Bis Ende dieses Jahres startet entlang der europäischen Transportrouten der Ausbau eines Lkw-Ladenetzes – zunächst mit 750 Kilowatt Ladeleistung, die später aufgerüstet werden kann. Ein Elektro-Lkw, der faktisch zwischen 300 und 650 Kilowatt Leistung aufnimmt, kann auf diese Weise in einer halben Stunde nachgeladen werden. Das passt auch in die Wirtschaftlichkeitsrechnung der Transportunternehmen, weil der Fahrer ja auch eine entsprechende Betriebspause machen muss.
Das gilt doch nur, wenn er eine freie Ladesäule findet, wobei es jetzt schon nicht einmal Lkw-Parkplätze gibt.
Richtig. Darum sind wir ja auch selbst aktiv. Zusammen mit Daimler Trucks und Volvo haben wir in der Traton-Gruppe, der Nutzfahrzeugholding im VW-Konzern mit Scania und MAN, in Milence insgesamt 500 Millionen Euro investiert. Das Unternehmen verfolgt das Ziel, in Europa 1700 Ladepunkte für Lkw zu schaffen. Da ist es allerdings nicht so einfach, Standorte mit entsprechend leistungsfähigem Stromanschluss zu finden. Aber der Wille bei uns Lkw-Herstellern ist da – und das, obwohl wir früher ja auch nicht in Tankstellen investiert haben.
Und was ist mit dem vielen Strom, den Sie für diese Ladesäulen brauchen?
Das Netz für die Stromversorgung ist der zweite Teil des Infrastrukturproblems, und da kommen Schwierigkeiten wie Zeitverzögerung, Bürokratie und Kompetenzwirrwarr zusammen. Deutschland hat insgesamt 860 Netzbetreiber. Wenn wir mit unserem Beratungsunternehmen für einen Gütertransporteur Lademöglichkeiten für 25 Lkw schaffen wollen, dann muss er an das Mittelspannungsnetz angeschlossen werden. Doch es gibt viele Hindernisse: Die Gemeinde hat kein Geld oder will die Straße nicht aufreißen, der Netzbetreiber hat andere Prioritäten und so weiter. Da sind wir schon gut, wenn wir einen Anschluss in zwei Jahren schaffen, oft dauert es länger. Verrückt daran ist, dass es ja nicht um Innovationen geht. Wir haben komplett neue Fahrzeuge entwickelt und in der Branche einen Standard für die Megacharger festgelegt. Also etwas völlig Neues geschaffen. Doch beim Netzausbau geht es um etwas, was schon seit 150 Jahren geschieht – einfach nur um das Verlegen von Kupferkabeln.
Aber die EU-Kommission hat bisher dennoch an den Zielen für die Reduzierung der CO2-Emissionen für neu zugelassene Lkw festgehalten?
Die EU und die scheidende Bundesregierung haben für die Lkw-Hersteller ein Labyrinth von Regeln mit viel zu hohen Strafen geschaffen. Falls wir die CO2-Flottengrenzwerte für 2026 – minus 15 Prozent gegenüber 2019 – nicht einhalten, wird die Strafzahlung nicht wie beim Pkw nach zusätzlichen Gramm CO2 je Kilometer berechnet. Stattdessen wird die Strafe von 40 Euro mit den zusätzlichen Gramm CO2 und der Nutzlast in Tonnen multipliziert – das führt am Ende zu Strafen, die 25-mal so hoch sind wie für Pkw. Für 2030 wurde nicht nur das Ziel für die Reduzierung der Flottengrenzwerte verschärft, auf minus 45 Prozent, sondern auch die Höhe der Strafen. Im Endeffekt kostet dann ab 2026 jedes Gramm Abweichung einen zweistelligen Millionenbetrag, ab 2030 einen dreistelligen. Gut dass es hier politisch den Willen zu geben scheint, dies zu ändern.
Wie steht es denn um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Lkw-Hersteller? Die Pkw-Hersteller haben ja gerade gegenüber China an Boden verloren.
Die europäische Nutzfahrzeugindustrie ist Weltmarktführer und deckt außerhalb Chinas etwa 90 Prozent des Weltmarktes ab. Da ist die Ausgangslage ganz anders als bei den Pkw. Zudem wird die gesamte Technik in Europa entwickelt, von hier sind auch die Innovationen und ein großer Teil der Produktion. Das wird leider oft vergessen. Zugleich wäre es wohl so, dass mit den noch angedachten Strafzahlungen für CO2-Emissionen den Unternehmen Kapital entzogen würde. Eine bessere Industriepolitik für chinesische Wettbewerber kann man sich kaum vorstellen. Ich kann nur appellieren, an der Stelle zu anderen Lösungen auch für die Nutzfahrzeugindustrie zu kommen.
Verglichen mit Chefs anderer Nutzfahrzeughersteller sprechen Sie nicht so oft über den Antrieb mit Wasserstoff.
Wir sind aber die Einzigen, die schon jetzt Lkw mit Wasserstoffverbrennungsmotor liefern können.
Was sehen Sie für Verwendungsmöglichkeiten für Lkw-Antrieb mit Wasserstoff, sei es mit Brennstoffzelle oder mit Verbrennungsmotor?
Für besondere Aufgaben wie Schwertransporte oder Bagger ist aus unserer Sicht der Elektroantrieb nicht besonders gut geeignet. Wir verkaufen Wasserstoffantriebe etwa in den Niederlanden oder Norwegen. Das erste Fahrzeug haben wir gerade an ein Unternehmen im Nahen Osten übergeben, wo Wasserstoff deutlich günstiger ist. In Deutschland redet man zwar viel darüber. Doch der Preis liegt zwischen 16 bis 21 Euro je Kilogramm. Da ist noch nicht einmal sichergestellt, dass man dafür grünen Wasserstoff bekommt. Konkurrenzfähig wären Preise zwischen 3 und 5 Euro je Kilogramm. Hinzu kommt: Der Elektroantrieb ist gerade beim Lkw unschlagbar mit der Rekuperation. Da kann man beim Bergabfahren viel Energie zurückholen.
Was fordern Sie für 2025 von der Politik in Berlin und Brüssel?
Zu allererst, dass sie uns und unseren Kunden Planungs- und Investitionssicherheit schafft. Dazu gehört besonders, den Elektrifizierungspfad stringent zu begleiten, aber auch den Tank-to-Wheel-Ansatz, auf dem die Flottengrenzwerte basieren, beizubehalten. Wir können uns hier keine Rolle rückwärts erlauben. Gleichzeitig sollte die EU-Kommission die Klimastrategie schnell überprüfen. Der sogenannte Review war für die Nutzfahrzeugbranche erst für 2027 vorgesehen. Doch die Bestandsaufnahme muss dringend vorgezogen werden, möglichst noch 2025, um die Regulierung an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen, zum Beispiel an die aktuelle Ladeinfrastruktur.