„Die Ballade des letzten Gastes“: Nicht schon wieder

Alles, wirklich was auch immer, ist mittlerweile via Peter Handke gesagt worden. Spätestens seitdem welcher umstrittenen Auszeichnung mit dem Nobelpreis 2019 und den unzähligen daraus resultierenden feuilletonistischen Anklagen und Apologien des politisch irrlichternden Autors hat quasi niemand mehr so recht Lust, sich mit Handke zu beschäftigten. Niemand, solange bis aufwärts Handke selbst. Bereits sechs Bücher hat er qua Nobelpreisträger veröffentlicht. Nun ist mit welcher Ballade des letzten Gastes dasjenige siebte Spätwerk erschienen.

Und was auch immer, wirklich was auch immer an dieser 185 Seiten umfassenden Erzählung kennt man von Peter Handke. Der Protagonist Gregor trat schon vor konzis 60 Jahren im Debütroman Die Hornissen aufwärts und ist seither eine wiederkehrende Figur in diesem Œuvre. In welcher Ballade des letzten Gastes reist er in die Heimat, um seine Familie via den Tod des jüngeren Bruders zu informieren. Angekommen, spaziert er möglichst in welcher vertrauten Umgebung umher – besucht den Obstgarten welcher Familie, geht ins Kino, kehrt ein –, statt die traurige Botschaft zu zustellen. Natürlich schlägt die Vermeidungsstrategie fehl; Gregor erkennt die alten Bekannten nicht wieder, welcher Obstgarten liegt unkultiviert, Trost ist nirgendwo zu finden. Auch diesen Topos des Fremdelns in welcher Heimat und des Heimatgefühls in welcher Fremde kennt man von Handke, meisterhaft etwa aus seinem Kurzen Brief zum langen Abschied.

Sprachlich bildet sich dasjenige Unheimliche in Handkes berüchtigter Eigenart ab, weniger mit dem Leser qua mit sich selbst zu sprechen. Immer wieder drängt ein fremder Ich-Erzähler in dasjenige aus welcher dritten Person geschilderte Geschehen rein und fragt, ob schon dasjenige rechte Wort gefunden sei. So wuchern manche Sätze zu seitenfüllenden Konstruktionen heran, mit rein Alternativvorschlägen, wie man den Vorgang des morgendlichen Aufstehens charakterisieren könnte. Handke schreibt nicht wie ein Dichterfürst, sondern wie ein genialischer Lektor – wacklige Substantivkonstruktionen markiert er mit einem „(sic!)“, Wortwiederholungen klagt er selbst an. Diese stilistischen Schrulligkeiten zeugen Die Ballade des letzten Gastes zu einer letztlich unvergnüglichen Lektüre.

Bis zum letzten Viertel welcher Erzählung muss man vordringen, um zu verstehen, warum sich welcher 80-Jährige gar die Sklaverei macht, dasjenige eigene literarische Verfahren ein weiteres Mal durchzuexerzieren. Denn zum Schluss entdeckt welcher verlorene Gregor doch noch sich selbst, und zwar in welcher titelgebenden Rolle qua „letzter Gast“ eines örtlichen Wirtshauses. Seine Einsamkeit verwandelt sich beim Ausharren in eine Form von Würde. Er, welcher Außenseiter, wird zu einer Art „Machtperson“. Welche Art von Macht? Macht qua Glücksbringer. Der letzte Gast, er bringt Glück. Aber aufgepasst! „Der letzte Gast bringt euch, den Wirtsleuten, und überhaupt nur Glück, wenn der letzte Gast ich bin, ich!“ Derart gestärkt findet Gregor doch noch den Mut, die Todesnachricht zu zustellen.

Schwer kann man welcher Versuchung widerstehen, selbige Passage aufwärts Handke selbst zu beziehen, welcher mit dem Tod Enzensbergers und Walsers nunmehr welcher letzte welcher alten deutschsprachigen Großschriftsteller ist. Ein verbliebener Gast in welcher literarischen Gegenwart. In ihrer beredten Aussagenlosigkeit könnte Die Ballade des letzten Gastes somit zumindest Auskunft darüber spendieren, dass er sich mit dieser Rolle abgefunden, ja angefreundet hat. Und vielleicht ist damit nun wirklich was auch immer zu Peter Handke gesagt.

Peter Handke: Die Ballade des letzten Gastes. Suhrkamp, Berlin 2023; 185 Sulfur., 24,– €, qua E-Book 20,99 €