Die 10-Billionen-Euro-Frage

Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren mehrere Nachhaltigkeitspreise gewonnen, und auch Felix Lüter lässt keinen Zweifel daran, wie wichtig Klimaschutz für ihn ist. Er ist da ganz beim grünen Wirtschafts- und Klimaschutzminister. Und doch sagt Felix Lüter auch: So, wie sich die Bundesregierung das vorstellt, geht es nicht. Der Preis ist einfach zu hoch.

Im Jahr 2018 hat die Nassauische Heimstätte ihre erste Klimastrategie aufgestellt, „als eines der ersten Unternehmen in der Wohnungswirtschaft“, wie Lüter sichtlich stolz in einem Videocall erzählt. Damals lautete das Ziel noch, bis zum Jahr 2050 die CO2-Emissionen um 80 Prozent zu reduzieren. Lüter und sein Team schätzten den Investitionsbedarf auf 1,8 Milliarden Euro.

Die Investitionssumme hat sich mehr als verfünffacht

Vier Jahre später aktualisierten sie die Klimastrategie. Jetzt sollen die CO2-Emissionen bis 2045 runter auf null. Zugleich waren in der Zwischenzeit aber die Material- und Handwerkerkosten in die Höhe geschnellt. Das Ergebnis sei „erschreckend“ gewesen, erzählt Lüter.

„Wir können uns 1,4 Milliarden Euro an Investitionen in zwanzig Jahren leisten, ohne in eine ­finanzielle Schieflage zu geraten. Wir brauchten aber 7,5 Milliarden Euro, um bis 2045 klimaneutral zu werden. Das ist für ein Wohnungsunternehmen unserer Größe schlichtweg unmöglich.“

Soll den Energieverbrauch senken: Hausdämmung in Bottrop
Soll den Energieverbrauch senken: Hausdämmung in BottropImago

Bis 2045 will Deutschland klimaneu­tral werden, fünf Jahre früher als andere große Industrieländer und die EU als Ganzes. So hat es die letzte große Koalition von Angela Merkel (CDU) in das Klimaschutzgesetz geschrieben. Und bislang hat nicht einmal die FDP Anstalten gemacht, diese Zielmarke nach hinten zu verschieben.

Doch was es heißt, dieses Ziel umzusetzen, wie viel Geld Unternehmen und Bürger dafür in die Hand nehmen müssen, damit Deutschland 2045 die „Netto-Null“ erreicht, das wird erst nach und nach klar.

Und dort, wo das der Fall ist, wie bei der Nassauischen Heimstätte, stellen sich Fragen: Wenn schon in diesem einen Bereich der Investitionsbedarf so hoch ist, wie hoch ist er dann erst insgesamt? Was, wenn Bürger und Unternehmen so viel nicht zahlen können oder wollen? Um einen oft zitierten Satz von Merkel abzuwandeln: Schaffen wir das?

McKinsey sieht insgesamt „Netto-Null-Kosten“

Stefan Helmcke hat im Jahr 2021 die Zahlen für ganz Deutschland schon einmal hochgerechnet. Er ist Partner der Unternehmensberatung McKinsey und leitet dort die Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit. In der Studie „Net-Zero Deutschland“ kamen er und seine Kollegen zu dem Ergebnis, dass die Transformation in Deutschland bis 2045 Investitionen von 6 Billionen Euro erforderlich macht.

5 Billionen Euro davon seien Ersatzinvestitionen, etwa wenn die Gasheizung durch eine Wärmepumpe ersetzt wird, der Diesel durch ein Elektroauto oder der mit Koks betriebene Hochofen durch einen, der mit Ökostrom oder Wasserstoff arbeitet. Eine weitere Billion setzten sie für Zusatzinvestitionen an.

Elektroautos für die Welt: China steht bereit, von Ersatzinvestitionen in den Fuhrpark zu profitieren.
Elektroautos zum Besten von die Welt: China steht griffbereit, von Ersatzinvestitionen in den Fuhrpark zu profitieren.Imago

Der Unternehmensberater geht davon aus, dass die Kosten seit Veröffentlichung der Studie gestiegen sind. Damals seien sowohl Energie als auch Kredite noch günstiger gewesen. „Wahrscheinlich dürfte der Investitionsbedarf jetzt eher bei 8 bis 10 Billionen Euro liegen“, sagt er.

Einer der großen Einzelposten ist der Umbau der Energieversorgung, das In­stallieren von massenhaft Solar- und Windkraftanlagen sowie der Ausbau der Stromnetze, damit diese mit der schwankenden Leistung der Erneuerbaren klar- kommen. Aber auch in der Industrie und im Gebäudebereich sind gewaltige Anstrengungen erforderlich, um den CO2-Ausstoß zu senken.

Helmcke warnt aber davor, nur die Ausgaben zu sehen. Laut seiner Studie ist die Transformation „zu gesamtgesellschaftlichen Netto-Null-Kosten“ zu erreichen, sprich: Die Einsparungen durch den Klimaschutz könnten die Kosten der Dekarbonisierung bis 2045 ausgleichen.

Der Berater wünscht sich eine positivere Sicht auf den Wandel

„Ein Teil der Investitionen rechnet sich für die Unternehmen von selbst“, sagt der Berater. „Das ist wie damals die LED-Lampe zu Hause, die zwar teurer ist, aber weniger Energie verbraucht als eine Glühbirne.“ Andere Investitionen rechneten sich, wenn es genügend günstige Energie aus Erneuerbaren gebe. Und dann seien da noch die Investitionen, die sich für den Einzelnen nicht unmittelbar rentierten, gesamtwirtschaftlich aber schon, weil daraus neue Wirtschaftszweige entstehen könnten.

Der Unternehmensberater schwärmt von Recyclinganlagen, die aus Schrott neuen Stahl für die Autoindustrie machen. Von einem chemischen Verfahren namens Pyrolyse, mit dem aus Kunststoffabfällen das darin enthaltene Rohöl wiedergewonnen und neu in der Industrie eingesetzt werden kann. „Ich sehe in meinem Beruf jede Woche Innovationen, bei denen ich denke: Wie genial ist das denn?“ Helmcke wünscht sich eine positivere Sicht auf die Transformation.

Klimaschutz kostet erst einmal Geld, langfristig aber zahlt er sich aus: So argumentiert auch die Bundesregierung. Nach einer von ihr veranlassten Studie belaufen sich die Folgekosten des Klimawandels bis 2050 auf bis zu 900 Milliarden Euro. Schon zwischen 2000 und 2021 seien mindestens 145 Milliarden Euro an Schäden entstanden, sei es durch Überschwemmungen oder Starkregen, Hitze oder Dürre. Die Bundesregierung warnt auch vor den Folgen von Extremwetterereignissen im Ausland, in deren Folge dann Lieferketten reißen und in Unternehmen in Deutschland die Produktion stockt.

Doch all diese Berechnungen haben ein Problem: Die Vorteile, die Klimaschutzmaßnahmen in der Zukunft bringen, sind abstrakt, lassen sich heute noch nicht mit Gewissheit sagen. Die Kosten, die jetzt für den Klimaschutz anfallen, sind dagegen sehr real – und oft sehr hoch.

Fokus auf den Energieverbrauch

Nach dem Kostenschock hat die Nassauische Heimstätte ihre Klimastrategie angepasst. Während die Bundesregierung beides möchte, dass der Energiebedarf nur noch mit Erneuerbaren gedeckt wird und dass der Energiebedarf durch Effizienzmaßnahmen sinkt, konzentriert sich das hessische Wohnungsunternehmen jetzt auf Ersteres.

„Wir handeln im Rahmen unserer wirtschaftlichen­ Möglichkeiten“, erklärt Lüter. „Das heißt: Die Debatte über super-effiziente Häuser ist für uns obsolet. Die Häuser in den allerschlechtesten Energieklassen werden wir noch dämmen, andere aber nur, wenn es aus wohnungswirtschaftlichem Werterhalt erforderlich ist, nicht aus Klimaschutzgründen.“ Der Fokus richte sich jetzt darauf, dass die Energie, die die Häuser verbrauchten, grün werde. „Das allein kostet schon einen Milliardenbetrag.“

Man muss an dieser Stelle dazu sagen, dass nicht der gesamte ursprünglich berechnete Investitionsbedarf von 7,5 Milliarden Euro für Klimaschutzmaßnahmen angefallen wäre. Wenn ohnehin die Heizkörper rausgerissen und die Fenster ausgetauscht werden, bietet es sich an, auch den Rest der Wohnung zu modernisieren, etwa die Bäder neu zu machen und die Fußböden. Der Großteil der Sanierungskosten hätte aber auf den Klimaschutz eingezahlt, betont Lüter.

Mit der neuen Strategie soll der Gesamtinvestitionsbedarf nun deutlich sinken. Eine genaue Zahl will der Nachhaltigkeitsmanager nicht nennen. Nur so viel: Sie übersteige die finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens immer noch.

Die Ministerien in Berlin verweisen gerne darauf, dass es ja auch staatliche Förderung gebe. Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann Wirtschaftsminister Habeck aus dem Klima- und Transformationsfonds in diesem Jahr noch knapp 50 Milliarden Euro an Zuschüssen verteilen. Fast 17 Milliarden Euro sind allein für die Modernisierung des Gebäudebestands vorgesehen.

Darauf angesprochen, schüttelt Felix Lüter den Kopf. „Das Delta zwischen dem, was wir uns leisten können, und dem, was an Investitionen nötig wäre, wird uns keine staatliche Förderung ersetzen können.“ Diese decke nur einen geringen Teil der Kosten ab.

Die gesetzlich vorgesehene Modernisierungsumlage will das Unternehmen möglichst nicht ausreizen. Das Instrument, mit dem Vermieter die Kosten einer Modernisierung auf die Miete umlegen können, hat in den vergangenen Jahren schon viel Unmut unter Mietern erregt. Grund ist, dass die politisch erhoffte „Warmmietenneutralität“ häufig nicht gegeben ist, die Kaltmiete also stärker steigt als die Heizkosten sinken.

3 Milliarden Euro für eine 600.000-Einwohner-Stadt wie Leipzig

Wie in dem Frankfurter Wohnungsunternehmen wird derzeit vielerorts gerechnet. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, berichtete kürzlich, dass eine 600.000-Einwohner-Stadt wie Leipzig für die Wärmewende 1 Milliarde Euro investieren müsse, plus 2 Milliarden Euro für neue Stromleitungen. Es würden finanzielle Größenordnungen erreicht, „die wir mit unseren bisherigen Strukturen nicht bewältigen können“, sagte Dedy. Das überfordere auch die Banken.

Den Verein Deutscher Zementwerke treibt um, wie künftig das bei der Zementherstellung unvermeidbare CO2 eliminiert werden soll. Zwar zeigt sich Habeck offen für Verfahren, mit denen das klimaschädliche Gas separiert und unterirdisch eingelagert wird. Carbon Capture and Storage, kurz CCS, nennt sich das. Doch auch diese Infrastruktur muss erst gebaut werden. Geschätzte Kosten für ein Netz von 4800 Kilometern Länge: 14 Milliarden Euro.

Die Bundesnetzagentur wiederum hat kürzlich ihre Prognose, wie viel der Ausbau der Stromnetze kosten wird, nach oben korrigiert: Statt der ursprünglich bis 2037 geplanten 250 Milliarden Euro hält die Behörde nun bis zu 450 Milliarden Euro für nötig.

Erneuerung einer Stromleitung in Sachsen: Auch der Netzausbau dürfte teurer werden.
Erneuerung einer Stromleitung in Sachsen: Auch dieser Netzausbau dürfte teurer werden.dpa

Auch wenn die Prognose jetzt den Zeitraum bis 2045 abdeckt: Für die Netzentgelte, über die Stromkunden den Ausbau der Netze finanzieren, verheißt das nichts Gutes. Im Wirtschaftsministerium wird nun nach Wegen gesucht, den Preisanstieg zu dämpfen, etwa, indem der Staat den Netzbetreibern die Kosten vorfinanziert.

Der Ökonom wünscht sich mehr Ehrlichkeit

Achim Wambach, Präsident des Zen­trums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, hat schon viele Studien zu den Kosten der Transformation erstellt und Vorträge darüber gehalten. Er wünscht sich in der politischen Debatte mehr Ehrlichkeit, zum Beispiel, wenn es um die staatlichen Fördermittel geht.

„Am Ende zahlt die Kosten der Transformation immer der Verbraucher“, sagt Wambach. „Von ihm kommt das Geld, das die Politik an Fördermitteln verteilt. Und er ist auch derjenige, der die höheren Preise für grüne Produkte zahlt.“

Die milliardenschweren Zuschüsse, mit denen die Ampelkoalition die Ergrünung einzelner Produktionszweige wie der Stahlherstellung fördert, hält der Ökonom für wenig sinnvoll. „Das effizienteste Instrument für den Klimaschutz ist und bleibt der Emissionshandel.“ Wenn die Zertifikate für den Ausstoß von CO2 immer knapper und teurer werden, haben Unternehmen und Privathaushalte einen Anreiz, auf klimafreundliche Produktionsweisen und Produkte umzusteigen.

Doch wie viel Druck will die Politik wirklich ausüben? Wenn 2027 im europäischen Emissionshandel eine Tonne CO2 200 Euro kosten würde, wären das 60 Cent für einen Liter Benzin, rechnet Wambach vor. Allein für den CO2-Preis. „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Politik das nicht durchhält.“

„Macht, was ihr euch leisten könnt“

Letztlich aber, das ist dem Ökonomen wichtig, müsse die Klimafrage ohnehin international gelöst werden. „Das kleine Deutschland allein wird es nicht richten“, sagt Wambach. Er rät zu politischer Besonnenheit. „Wenn wir hier unsere Ziele erreichen, aber so teuer, dass der Wohlstand schrumpft, ist niemandem geholfen. Dann fliegt uns das innenpolitisch um die Ohren. Und dann sind wir auch kein Vorbild für andere Länder.“

Felix Lüter hat auch einen Rat, der sich an seine Kollegen in anderen Wohnungsunternehmen richtet: „Macht das, was ihr euch leisten könnt und das zugleich den größtmöglichen Hebel hat, um CO2 einzusparen.“ Ein Unternehmen in den Ruin zu treiben, um das Maximum für das Klima herauszuholen, sei keine Option. „Unsere Mieter brauchen die Wohnungen.“