Der rote Goebbels: Weidel redet von Hitler denn Kommunist, Goebbels war wirklich mal einer

Um die AfD als „liberal“ darzustellen und zu dementieren, dass sie in der völkischen Tradition des Nationalsozialismus stehe, verstieg sich Parteichefin Alice Weidel jüngst dazu, Adolf Hitler einen „Kommunisten“ zu nennen. Abgesehen vom Ausblenden, dass Kommunisten nicht zufällig die unter der Hitler-Diktatur als erste verfolgte politische Gruppe waren, konnte Weidel das nur durch die Gleichsetzung mit Josef Stalin untermauern, und dadurch, dass sie behauptete, Hitler sei Anti-Kapitalist gewesen.

Weidels Auslassungen haben zu Recht Kritik auf sich gezogen, doch zu einfach sollte man es sich damit nicht machen. So zeigt etwa die intellektuelle Biografie des Chefagitators und Propagandisten der Nazis, Joseph Goebbels, verschlungene Herkunftslinien und oszillierende politische Sympathien, bevor dann 1926 trennscharfe Abgrenzungen vollzogen werden.

Weidels Verwischung zuzuspielen scheint auch schon die Bezeichnung „Nationalsozialismus“. Sie geht auf im 19. Jahrhundert in Österreich entstandene Verbindungen von sozialistischen mit nationalistischen Ideen zurück, die potenziell antisemitisch ausfielen und im Gegensatz zum Internationalismus des Marxismus auf nationale Wirkung bedacht waren.

Eine demagogische Mixtur

Dass die NSDAP in Deutschland in den späten 1920er Jahren erheblich an Einfluss gewann, verdankte sie nicht zuletzt einer demagogischen Mixtur aus völkisch-rassistischem Gedankengut und Versatzstücken sozialistischer Ideen. Hitler freilich konnte Letzteren nie etwas abgewinnen, er buhlte schon zu Beginn seines Aufstiegs um die Gunst von Industriellen und Adligen. Wie der Historiker Joachim Fest vermerkte, verstand Hitler „Nationalismus“ als Hingabe des Einzelnen an die Volksgemeinschaft und unter „Sozialismus“ nichts Konkreteres als deren Verantwortung für den Einzelnen. Ganz anders aber der von Gregor Strasser geführte „nationalbolschewistische Flügel“ der NSDAP, der die ökonomische Agenda des Sozialismus aufgenommen hatte und gegen den sich Hitler erst im Jahr 1926 durchsetzen konnte.

Auch der spätere „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“, Joseph Goebbels, war bis 1926 ein Verbündeter Strassers. 1920 hatte er sich für die „rote Revolution“ gegen den Kapp-Putsch begeistert. Frühe Tagebuchaufzeichnungen offenbaren den erklärten Nationalbolschewisten. Die aus seiner Sicht von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs oktroyierte Demokratie hielt er für ein Verhängnis: „Ja, das Chaos muss kommen“, schrieb Goebbels im Sommer 1923, „wenn es besser werden soll. Der Kommunismus, Judentum. Ich bin deutscher Kommunist.“ – „Selbst zum Skatspiel“ sei das Bürgertum zu faul, und im Reichstag finde es seine „große Organisation“. Demokratie sei in Wahrheit „Plutokratie“.

Goebbels hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen persönlichen Kontakt zu Hitler. Im März 1925 – er war bereits Mitglied der nach dem Putschversuch vom November 1923 neu gegründeten NSDAP – vertrat er radikale Positionen und schrieb: „Die Großindustrie ist ein Sündenpfuhl. Wir wollen den Menschen von ihr erlösen.“ Er suchte die innerparteiliche Kontroverse mit dem Journalisten Axel Ripke über die Ausmaße der für erforderlich gehaltenen Nationalisierungen. „Wir müssen dem Arbeiter Eigentum am Werk geben, aber höchstens 49 Prozent, sagt Ripke. Ich nenne das einen reformierten Kapitalismus, doch ich hasse den Kapitalismus in jeder Form wie die Pest.“ Es sei lächerlich, „um 49 Prozent Eigentumsbeteiligung“ eine Revolution zu machen. Dass Ripke erklärte, Hitler wolle das Band zur Bourgeoisie keineswegs zerschneiden, entfachte bei Goebbels den Verdacht, der sei „doch nur ein verkappter Bürgerlicher“, mit dem keine Revolution zu machen sei. „Wenn das alles so ist, wie er (Ripke) es darstellt, dann ist der Nationalsozialismus nicht das, was ich in ihm vermutete. Warum streiten wir uns um sozial oder sozialistisch? Ich will nicht umsonst Nationalsozialist heißen.“

Schließlich fragt er: „Was wollen wir? Nur den Versailler Vertrag brechen oder darüber hinaus den Sozialismus in die Wege leiten? (…) Was denkt Hitler?“

Bewunderung für Sowjetrussland

Für Sowjetrussland hegte Goebbels Bewunderung. Den Bolschewismus in seiner damaligen Form hielt er für eine vorübergehende, aber wohl notwendige Phase, die kein Bruch sei, sondern die geschichtliche Kontinuität Russlands bekräftige. Wegen seiner Identitätsstärke sei Sowjetrussland die „Hoffnung einer sterbenden Welt“. Ein Hieb gegen die für korrupt gehaltenen Westmächte und auf deutsche Politiker wie Außenminister Gustav Stresemann, die sich mit ihnen verständigen wollten. „Unsere herrschenden Kreise haben den Trieb nach dem Westen, weil die westlichen Mächte die klassischen Staaten des Liberalismus sind. Und unter dem Liberalismus ist für den, der hat (entweder Geld und Verbindung oder die obligate Rücksichts- und Gewissenlosigkeit) gut leben. Aus dem Osten kommt der neue Staatsgedanke in der individuellen Gebundenheit und verantwortlichen Zucht dem Staate gegenüber. Na, und das gefällt den Herren Liberalen nicht. Daher der Zug nach dem Westen. Bank und Börse, Großindustrie, Großkapitalismus, Landwirtschaft.“ Dieser „Internationalismus“ des deutschen Bürgertums missfällt Goebbels zutiefst.

Schwierig war für ihn zunächst auch der Antisemitismus der NSDAP; Goebbels hatte eine „halbjüdische“ Geliebte, die Lehrerin Else Janke, mit der er ernsthaft an eine Eheschließung dachte. Von Rosa Luxemburgs Briefen an Karl Liebknechts Frau Sonja war er beeindruckt, sie seien „überraschend in ihrer Innigkeit“. „Vielleicht eine Idealistin“, vermutete er im Juli 1924. Krampfhaft suchte er „ Schmuß“ in den Briefen. Intellektuelle Brillanz von Juden erkannte er an, weshalb er seine Abwehrimpulse manchmal noch in Zweifel zog: „Und jetzt ist meine Haut doch eine etwas einseitige antisemitische. Hoffentlich werde ich bald klar und gerecht.“

Weil er die Lektüre von August Bebels Memoiren zwar spannend, aber zugleich abstoßend „plebejisch“ findet, schlussfolgert er, dass Juden „gerissener“ seien als „sozialdemokratische Funktionäre“. Leider sei der Sozialismus „jüdisch verseucht“ und internationalistisch, wenn auch auf andere Weise als das Bürgertum: „Die wirklichen Arbeiter sind in Tatsache national bis auf die Knochen, wenn sie sich auch noch so international gebärden. Das macht sie kaputt, dass die Juden ihnen geistig so sehr überlegen sind und sie mit ihrer Phrasendrescherei vernichten. Ein Arbeiter käme von sich aus nie auf den Gedanken der Internationale.“ Sie widerspräche „allen Naturgesetzen“, vermerkt Goebbels in seinem Tagebuch.

Den Naturgesetzen entspringe auch die Gewalt, schreibt er 1924, nachdem er gewalttätige Kinder beobachtet hat. „Ist die Natur nicht auch furchtbar grausam? Ist der Kampf ums Dasein (…) nicht der grausamste Prozess, den die Welt kennt? Das Recht des Stärkeren – wir müssen dieses Naturgesetz einmal wieder klarer sehen, dann verfliegen alle Phantasien von Pazifismus und ewigem Frieden.“

Trennung von der Geliebten

Während in der Sowjetunion das Ringen zwischen Stalin und Trotzki um Für und Wider des „Sozialismus in einem Lande“ begann, vertrat Goebbels mit seinem nationalen Verstaatlichungsprogramm scheinbar Ähnliches. Arbeiter, prophezeit er im Jahr 1924, „werden einmal unsere fanatischsten Anhänger sein. Ich muss durch den Arbeiter den Konnex mit dem leidenden Volke und seinen schöpferischen Kräften aufrechterhalten.“

1926, im direkten Kontakt mit Hitler, bekam Goebbels seine Idee vom „Sozialismus in einem Land“ ausgetrieben, schwenkte voll und ganz auf dessen radikale, nationalistische Linie ein und sah Strasser fortan als einen Konkurrenten, den man ausmanövrieren musste. Von Else Janke hatte er sich selbstverständlich getrennt und war zum gradlinigen Antisemiten mutiert.

1926, im direkten Kontakt mit Hitler, bekam Goebbels seine Idee ausgetrieben.

Teile seiner ehemaligen „sozialistischen“ Überzeugungen verwandelte er in demagogisches Potenzial. So wurde der 1. Mai 1933 zum gesetzlichen Feiertag erklärt, aber bereits am 2. Mai kam das Verbot der freien Gewerkschaften – ein deutlicher Schritt in Richtung einer totalitären Zurichtung der Staatsmaschinerie, die mit der Abwicklung der Parteienlandschaft im Juni 1933 vollendet wurde.

Ein Jahr später erfolgte mit dem „Röhm-Putsch“ und der Ermordung Gregor Strassers am 30. Juni 1934 die finale Liquidation letzter Reste von Nationalbolschewismus. Goebbels’ Position war gefestigt. An seiner treuen Gefolgschaft zweifelte Hitler ebenso wenig wie an seiner Nützlichkeit als Propagandist.