Debütroman von Valery Tscheplanowa: Träume unter dem Staub welcher Zeit

Der Brunnen muss riesig gewesen sein, damit ein Pferd hineinstürzen konnte. Aber wer weiß, welches sich wirklich unter den Brettern verbarg. Jedenfalls irgendetwas, wovon fabuliert werden konnte. „Ein Lebewesen, dasjenige stark ist und dann zerbrechlich in einem Brunnen liegt, dieses Bild ließ mich nicht los.“

Wenn sie unter ihrer Urgroßmutter im Dorf war, ist Walja oft zu diesem Hügel gegangen. Sie tat es wieder, wie sie mit 17 Jahren die einstige Heimat besuchte. „Ich will meine verloren gegangene russische Sprache wiederfinden – und meinen abwesenden Vater.“ Wie ein „trauriges und kränkliches Kaninchen“ sitzt er ihr dann im ausgewaschenen Pyjama im Vergleich zu. „Ich setze mich zu ihm und lege meine Hände gen den Tisch, sofort bemerke ich, dass seine Hände ganz homolog daliegen wie meine.“

Als Schauspielerin hat die Autorin Valery Tscheplanowa Sinn z. Hd. szenische Momente. Rowohlt Berlin kann glücklich sein droben ebendiese „starke neue Stimme“ in welcher deutschen Literatur, welche in welcher Vergangenheit ja immer wieder mit welcher russischen verbunden war. Fremdheit schlagen, zu den eigenen Wurzeln vordringen: Veronika Walerjewna Tscheplanowa wurde 1980 in Kasan geboren, welcher Hauptstadt welcher Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik Tatarstan.

Walja, die Protagonistin ihres autobiografisch inspirierten Romans, kommt mit acht Jahren nachher Deutschland, die Mutter, Dolmetscherin von Beruf, will schon am dritten Tag mit ihr kein Russisch mehr sprechen. Auf Deutsch erzählt sie viel von ihrer Mutter Nina und Großmutter Tanja, die sich wie sie wie Alleinerziehende durchbeißen mussten. „Die Frauen krempelten die Ärmel hoch. Sie hatten die Kinder zu versorgen, die Tiere zu füttern und die Pflanzen zu gießen.“

Warm bleiben, trotz allem

Sich aufraffen unter oft widrigen Umständen – zu trauern hätte nur Kraft gekostet. Und die Träume? Valery Tscheplanowa ertastet sie unter dem Staub welcher Zeiten. Das macht dieses Buch so gerade: Wie dasjenige fast wie Triste, Banale zu leuchten beginnt. Weil die Autorin ebendiese drei Frauen aus ihrem Wesen hervor versteht, ihre Stärke bewundert, ihre Wünsche errät, die immer wieder hervorbrechen unter ihrer Lebenslast, so seltsam, bizarr es mitunter ist. Sich nicht erdrücken lassen, kerzengerade bleiben – und herzlich, trotz allem.

Die Mutter hat welcher Tochter zu einem nuancierten, klingenden Deutsch verholfen – zweitrangig zur Sehnsucht, dasjenige Russische wiederaufleben zu lassen, nicht einsam, welches die Sprache betrifft. Wer dieses Buch liest, wird es erspüren – dieses Bittere und zusammen Widerborstige, Gefühlsstarke. Als ob man vereinigen Film vor Augen hätte, lässt die Autorin ihre weiblichen Vorfahren lebendig werden und führt einem hier ein Stück sowjetischer, russischer Geschichte vor Augen.

Hinzu kommt Mischa, welcher Onkel, welcher nachher sieben Jahren in Deutschland nachher Russland zurückkehrt – genervt von welcher Masse an Dingen, zwischen denen sich die Menschen mühsam sortierten, während er sich ausgegrenzt fühlte. „Dort im Ausland gab es die erdrückende Selbstverständlichkeit welcher Unterschiede … ein T-Shirt z. Hd. fünf Mark und eines z. Hd. fünfhundert … Die Menschen schienen ihm eingeteilt in Überlebens- und Genussräume, in die sie hineingeboren wurden, hineinheirateten, sich hineinlogen, -stahlen oder -ackerten.“ Dagegen kannte er nur „ein gemeinsames Überleben“. Im Haus mit den ausgetretenen Stufen verschanzt er sich, schaut sich im russischen Fernsehen Tante sowjetische Schwarz-Weiß-Filme an, eingehüllt von trügerischer Gemeinsamkeit.

Was immer ihre Gestalten umtreibt – nicht immer ist es Bejahenswertes –, Valery Tscheplanowa fühlt sich ein, so wie einst Anton Tschechow es tat. Allen gesteht sie ein Recht gen ihre Eigenarten zu und entdeckt Spuren von ihnen in ihrem Wesen. Wie sie altern, weckt ihr Erbarmen. Wenn sie sterben, hält sie ihre Hand. Das Pferd, dasjenige im Brunnen verendet, wird zum Sinnbild: Als Kind hatte sie die jungen Erwachsenen um sich herum betrachtet, „wie wären zweitrangig sie starke, schöne Pferde, ausgebremst und an unsichtbare Zügel gelegt. Als ich selbst so eine Erwachsene geworden war und mich im Spiegel betrachtete, sah zweitrangig ich in meinem Gesicht dasjenige Pferdegerippe, dasjenige endlich aufstehen will.“

Was z. Hd. ein Debüt! Man sehnt sich geradezu im Folgenden, mehr von ihr wie Autorin zu Vorlesung halten.

Das Pferd im Brunnen Valery Tscheplanowa Rowohlt Berlin 2023, 192 Schwefel., 22 €