Das Erste-Serie „Wo wir sind, ist oben“: Willy Brandts Kniefall

Dass das deutsche Fernsehen mit interessanter Politikvermittlung fremdelt, zeigt sich nicht nur an Wahlabenden. Dabei ist der Bereich Information ziemlich der einzige, der in der Legitimierungsdebatte um den öffentlich-recht­lichen Rundfunk für immer wichtiger gehalten wird. Was nicht bedeutet, dass hier Erklärformate wie von vorgestern aussehen müssen.

In der Fiktion ist der Vermittlungskleinmut noch ärger. Ihr, mehr noch den Zuschauern, trauen die Sender wenig zu. Der Berliner Politikbetrieb und die Fiktion scheinen für natürliche Feinde gehalten zu werden. Wo andere (Dänemark, Großbritannien, USA) schon lange mit ernstzunehmenden Politthrillern und Satiren punkten, ist so etwas in Deutschland dröge oder abgehoben. Man schaue sich nur Rosalie Thomass und Bernhard Schir in der ZDFneo-Serie „Lobbyistin“ an.

Bei ZDFneo lief mit „Eichwald, MdB“ freilich auch die einzige wirklich gelungene Politsatire. Den Hauptdarstellern Bernhard Schütz und Maren Kroymann sind Politikerporträts zu verdanken, die einen schlauer zurücklassen, nicht bloß deprimierter. Danach kam „Parlament“, der Goldstandard, eine französisch-belgisch-deutsche Serie über Europapolitik. Es gab Einblicke in die Arbeit ins Europaparlament und Abgründe, die ex negativo Anlass zur Hoffnung geben. Wer Politpersönlichkeiten wie den (fiktiven) Abgeordneten Michel Specklin (Philippe Duquesne) bei der Arbeitsverweigerung zugesehen hat, wer die Abläufe von Brüsseler Entscheidungen vermittelt bekam, dem wird Europapolitik gleichzeitig konkret und authentisch nahekommen. „Parlament“ war unterhaltsame Aufklärung.

Zwei verfeindete Spitzenlobbyisten

Auch die acht Folgen der neuen ARD-Serie „Wo wir sind, ist oben“ haben ihre Meriten, sind zumeist schnell, satirisch wie emotional, informativ auf jeden Fall. Sie haben einen hohen Unterhaltungswert, stellen den Berliner Politikbetrieb satirisch, zum Teil melodramatisch und mit Schlapphutromantik höchst anschaulich dar. Wobei der Chefautor Christian Jeltsch, ein Garant für präzise Beobachtung, auch den eher niederen Politkalauer nicht scheut.

Für solche Sprüche ist vor allem Herta Zickler (Ulrike Kriener) zuständig, Grande Dame unter den Lobbyisten und verdiente Politikberaterin im Teilruhestand, die sich, so heißt es hier, einst schon Willy Brandts „spontanen“ Kniefall in Warschau ausgedacht hat, als die Diskussion um die Ostpolitik zu arg wurde: Einer ihrer größten Erfolge. Eigent­liches Zentrum der Serie aber ist die Screwball-Comedy-Beziehung von Max Lentor (Helgi Schmid) und Valerie Hazard (Nilam Farooq), zweier verfeindeter Spitzenlobbyisten, die ihre jeweiligen Klienten briefen, bis in die Intimsphäre hinein betreuen und nach allen Regeln der Politintrige in Szene zu setzen suchen. Dumm nur, dass die meisten der Kunden, darunter sind der Braunkohleverband, die Chemieindustrie und NGOs genauso wie Abgeordnete und Minister, es immer wieder vermasseln und nicht kapieren, dass weder Toiletten neben Fernsehstudios noch das Café, in dem die wichtigen Strippenzieher Posten bezogen haben, private Räume sind. Hier ist auch das Private Spin- und Spielmaterial, bis zur Geschichte vom „hodenlosen Holger“.

Trailer„Wo wir sind, ist oben“

Besonders die unablässigen Drehungen und Wendungen der Kampagnen­abläufe gelingen der Serie gut: Ob es um Grenzwerte für Hormone im Trinkwasser, den Einsatz von Robotern in der Pflege oder um den Braunkohletagebau in Lentors Heimat geht („ein zweites Lüt­zerath müssen wir vermeiden“), die Mechanismen der Einflussnahme von Lob­by­isten werden genauso nachvollziehbar vermittelt wie das Problem mangelnden Rückgrats bei denen, die von den Bürgern gewählt sind, Rückgrat zu zeigen.

Zeitpunkt der Ausstrahlung ist ein Ärgernis

Kamera (Ahmet Tan und Felix Striegel) und Regie (Wolfgang Groos und Matthias Koßmehl) machen Tempo bis fast zuletzt, bleiben am Ball, die Besetzung ist bis in die Nebenrollen (Thorsten Merten, Barbara Philipp, Jan-Gregor Kemp, Johannes Allmayer und Valerie Stoll) ausgezeichnet. Der Soundtrack von Parov Stelar treibt die Akteure vor sich her. Zum Ende hin verliert der Witz leider etwas an Schärfe, weil, wie in Deutschland anscheinend unerlässlich, ein Familienkonflikt für die dramatisch-tragische Zusatznote sorgen muss. Skrupellose Lobbyisten, Söldner, die ihre Mo­ral in den Wind hängen wie das bekannte Fähnchen, müssen für deutsche Zuschauer eben immer noch Charakterdefizite durch eine schlimme Kindheit haben.

Das ist ein Wermutstropfen. Sehr schön aber wird gezeigt, dass tatsächlich die „Glotze“, das populistische „Mach TV“ mit ihrem Moderator (Maximilian Grill) und die Talkshow der Promiinterviewerin Nina Well (Annabelle Mandeng) Politik bestimmen. Ein absolutes Ärgernis ist der Zeitpunkt der Ausstrahlung der Serie in der ARD, wo alle Folgen hintereinander am Freitag ab 23.50 Uhr zu sehen sind. Diese Serie, bezeichnenderweise eigentlich für Sky entstanden und erst in der Postproduktion von der ARD übernommen, gehört in die Primetime. Anständige lineare Programmierung wäre Senderpflicht ge­wesen.

Wo wir sind, ist oben läuft am 14.6. ab 23.50 Uhr in der ARD und steht ebenfalls ab dem 14.6. in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit

Source: faz.net