Bauernprotest: Diese Radikalo-Bauern sind selbst welcher Agrarlobby zu wütend

Die niederländische
Bauernorganisation Farmers Defence Force (FDF) liebt es martialisch: Kurz vor der EU-Wahl hat sie aufgerufen, dass die „Krieger“, wie die FDF grundsätzlich Landwirte nennt, an diesem Dienstag gegen „die
Abwrackpolitik der EU-Kommission“ in Brüssel demonstrieren sollen. Auf allen Kanälen lädt sie zur „Mutter aller Proteste„, ruft dazu auf, sich auf die „Schlacht vorzubereiten„. Ihr wichtigstes Ziel: weg mit dem Green New Deal, dem milliardenschweren Klimaschutzprogramm der EU-Kommission. Brennende EU-Flaggen und Schilder mit Sprüchen wie „Stop Killing Farmers“ oderEU-Fuck you“ gehören zu ihrem Repertoire. FDF-Sprecherin Sieta van Keimpema
sagte kürzlich, dass die EU-Kommission absichtlich ihre eigenen Landwirte und
Lebensmittelproduktion ausrotte
. Van Keimpema kandidierte bei den nationalen Wahlen im
vergangenen Jahr für die rechtsextreme Partei Belang van Nederland.

Während vergangene Woche Europas Milchbauern für höhere Einkommen in Brüssel auf die Straße gingen, sind es nun rechtskonservative und bisweilen offenbar rechte Landwirte, die für Tumult sorgen wollen – nur wenige Tage vor den Wahlen zum Europaparlament. In Deutschland organisiert Landwirtschaft verbindet Deutschland (LsV Deutschland) den Protest
mit. Der 2019 gegründete Verein ist bekannt für radikale Aktionen
wie das Blockieren von Discounterlagern und Autobahnen. Thomas Antony,
Vorstandsmitglied von LsV Deutschland, will am Dienstag in Brüssel dabei sein. Er ist
Landwirt in der Nähe von Mainz, baut Wein an, betreibt Ackerbau und hält
Schweine. Von dem Vorwurf, dass die Co-Organisatoren des Protests radikal und
rechtsextrem seien, hält er wenig. „Ich habe
mit den Gruppen kein Problem“, sagt Antony. „Wir von der LsV sind nicht rechts.
Wenn wir mit den anderen Bauern in Brüssel demonstrieren, demonstrieren wir mit
Bauern, nicht mit der Politik.“

LsV Deutschland wird vorgeworfen, teilweise rechtsextreme Positionen zu vertreten. In einem Interview mit dem NDR Anfang Februar 2024 in der Sendung Hallo Niedersachsen warf die Agrarsoziologin Janna Luisa Pieper von der Universität Göttingen den Bauernorganisationen Land schafft Verbindung und Freie Bauern vor, rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen zu vertreten. Im Januar behauptete LsV-Sprecher Anthony Lee in einem Interview über Politiker allgemein: „Sie wollen unser Land. (…) Sie wollen unser Land, um Industrie zu bauen, Häuser. Häuser für
Flüchtlinge oder wen auch immer.“ Lee bestreitet, rechtspopulistisch zu
sein, und sagte in einem Interview mit dem NDR, dass man übertreiben müsse, um
Menschen zu erreichen. Im vergangenen Jahr widerrief er nach breiter Kritik seine
Teilnahme an einer AfD-Veranstaltung. Er schließe aber eine Zusammenarbeit mit
der AfD nicht aus, sagte er gegenüber dem Onlinemagazin Politico. Lee steht
auf Platz acht der Europaliste der Freien Wähler.

Vollständiges Verbot von Agrarimporten

Es ist vor allem der Green New Deal der EU-Kommission, der die Hardliner-Landwirte erzürnt. Sie fordern eine komplette Rückabwicklung des Prestigeprojekts der EU und lehnen den
Abschluss des Mercosur-Freihandelsabkommens mit vier südamerikanischen Staaten wie Brasilien ab. Zudem fürchten sie, dass
billiges Rind- und Hühnerfleisch und mit Pestizid belastete Lebensmittel den
EU-Markt fluten könnten, während sie selbst unter strikten Umwelt- und
Tierschutzvorgaben produzieren müssten. Agrarimporte nach Europa sollten um jeden Preis verboten werden: „Was nicht in der EU produziert wird, sollte auch hier nicht konsumiert werden“, schreibt die Farmers Defence Force.

Vielen Landwirten und ihren Verbänden sind solche Forderungen zu radikal. Im Vorfeld der Demos haben sich die größten Bauernverbände aus Deutschland, darunter die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, von dem Brüsseler Protesttag distanziert. Sie
befürchten Szenen wie Anfang des Jahres, als wütende Landwirte Heu
anzündeten, Barrikaden plattfuhren und Gülle auf Gebäude der
EU-Institutionen sprühten.

Der
Deutsche Bauernverband, der nach eigenen Angaben 90 Prozent der 262.000 Landwirte in
Deutschland vertritt, will sich ebenfalls fernhalten und formuliert es diplomatisch: Man könne den Mitgliedern nicht
empfehlen, an dem Protest teilzunehmen, da ihnen die Organisatoren aus den
anderen EU-Ländern nicht bekannt seien, sagte ein Bauernverband-Sprecher. Der größte europäische Agrarverband
Copa-Cogeca soll sogar einige seiner Mitgliederverbände angerufen und
gebeten haben, nicht an dem Protest teilzunehmen – zumindest behauptet das die
FDF. Italienische Bauernverbände haben dies bestätigt. Copa-Cogeca hat
auf eine Anfrage von ZEIT ONLINE zur Klarstellung nicht reagiert.

Was treibt die Landwirte wirklich um?

Bernd Schmitz, stellvertretender Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, findet, die protestierenden Bauern setzten falsche Schwerpunkte. Sicherlich müsse die EU-Agrarpolitik umstrukturiert werden, Mehrkosten durch Umweltauflagen seien momentan nicht gedeckt. Doch Probleme im Alltag würden vor allem „überflüssige Auflagen“ bereiten. Ein Beispiel: Wenn ein Milchbauer seine Milch als Rohmilch direkt verkaufen wolle, dürfe er den Milchautomaten maximal 1.000 Meter vom Stall entfernt aufstellen. Wenn die nächstgrößere Straße aber 1.500 Meter entfernt sei, könne er seine Milch nicht selbst vermarkten. „Dinge, die für einen Landwirt auf dem Hof in der Praxis Erleichterung bringen, werden überhaupt nicht angepackt. Da heißt es, das wäre zu kleinteilig“, sagt Schmitz. „Aber das sind genau die Auflagen, die den Landwirten die Zornesröte ins Gesicht treiben“, sagt Schmitz.

Tatsächlich ist aber in der EU einiges in Bewegung gekommen. Die große Protestwelle der Landwirte Anfang des Jahres hat bereits für Änderungen bei den Auflagen gesorgt. Landwirte müssen nun nicht mehr vier Prozent ihrer Fläche brachliegen lassen, um Subventionen zu erhalten. Sie können
freier über die Fruchtfolge und den Anbau von Zwischenfrüchten entscheiden
und dürfen mehr Wiesenflächen in Ackerland umwandeln. Kleine Betriebe mit
weniger als zehn Hektar müssen außerdem nicht mehr mit Strafen rechnen, wenn
sie sich nicht an die Regeln aus Brüssel halten.

Hunderte Nichtregierungsorganisationen wie WWF und
Greenpeace kritisierten allerdings Mitte Mai in
einem offenen Brief
die Abschwächung der Umweltauflagen als
übereilt und nicht im Interesse der europäischen Landwirte, die jetzt schon
nicht gegen die Auswirkungen des Klimawandels gewappnet seien. Die Lockerung der Auflagen sei der
„opportunistische Versuch“ von Politikern, vor den Europawahlen Unterstützung
zu gewinnen.