„A Quiet Place: Tag Eins“: Monster mit guten Ohren
Die Großstadt ist laut. Irgendein Grundrauschen ist da immer, selbst wenn man alle Fenster und Türen schließt: ferner Verkehrslärm, das Surren einer Lüftung, technische Geräte. Dieses Grundrauschen gräbt sich so tief ins Nervensystem ein, dass man als Großstädter irritiert ist, wenn man zum Beispiel in eine Höhle steigt und plötzlich nur noch sich selbst hört. Nur noch sich selbst zu hören, das eigene Atmen, den eigenen Herzschlag, ist ein beliebtes Spannungselement in Horrorfilmen. Wenn sich etwa die Protagonisten vor etwas Bösem verstecken. Das überträgt sich auch aufs Publikum: Wenn ein Film verstummt, ist man im Kinosaal exponiert, traut sich kaum noch, sein Popcorn zu kauen.
Die Filmreihe A Quiet Place ist besonders Popcorn-untauglich, denn sie hat diese Gruseltechnik zu ihrem Grundprinzip erklärt: Die Zivilisation ist von Monstern überrannt worden, die schlecht sehen, aber ausgezeichnet hören. Daher sind die Menschen zum Schweigen verdammt. Wer auch nur einen Ton von sich gibt, befindet sich in Lebensgefahr. Regisseur John Krasinskis bisherige Filme, erschienen 2018 und 2021, folgen einer Familie, die in einer ländlichen Gegend der USA zu überleben versucht. Die Figuren kommunizieren dabei in Gebärdensprache.
Der neue Film A Quiet Place: Tag Eins unter der Regie von Michael Sarnoski übernimmt keine der bisherigen Figuren, sondern geht zurück zum Moment der Invasion. Er wählt dafür als Ort eine der lautesten Städte der Welt: New York. Um den Lärm zu regulieren, hat die Stadtverwaltung dort seit letztem Jahr sogar besondere Kameras im Einsatz, die alles aufzeichnen, was gesetzliche Dezibelgrenzen überschreitet. Samira (Lupita Nyong’o) ist in diesem Lärm aufgewachsen, lebt aber inzwischen aufgrund einer Erkrankung in einem Hospiz in einem Vorort. Als sie mit einer Gruppe und ihrer Therapiekatze Frodo einen Ausflug in die City macht, fallen die hörsensiblen und höchst aggressiven Aliens wie Meteoriten vom Himmel.
Die New Yorker haben die Lage schnell erfasst: Als Samira zu sich kommt, wird ihr bereits der Mund zugehalten. Die Stadt sieht aus, als hätte es geschneit, alles ist weiß getüncht von Schutt und Staub. Auch Regierung und Militär schalten schnell: Brücken werden gesprengt, Manhattan abgeriegelt. In den meisten Invasions- oder Zombiefilmen würde sich nun eine Krisengemeinschaft bilden, die sich gemeinsam verschanzt und bald mehr mit ihrem inneren Zusammenhalt zu kämpfen hat als mit der Bedrohung von außen.
Dieser Film offenbart schnell, dass das mit der Krisengemeinschaft nicht funktionieren wird: Als ein Mann vor lauter Panik nicht aufhören kann zu schreien, wird sein Kopf gegen eine Wand geschlagen. Samira hat ohnehin ein anderes Ziel als der Rest der New Yorker. Während die in Richtung eines Hafens strömen, in der Hoffnung, mit Schiffen evakuiert zu werden, geht sie in Richtung Harlem. Dort will sie noch einmal in der traditionsreichen Pizzeria Patsy’s essen, so wie sie es früher mit ihrem Vater getan hat.
A Quiet Place: Tag Eins ist ein New-York-Film. Das zeigt nicht nur – etwas plakativ – Samiras „I Love New York“-Jutebeutel, sondern auch die Orte, an denen er spielt: Theater, Jazzclubs, U-Bahn-Stationen und Restaurants. Auf dem Weg nach Harlem begegnet Samira Stadtbewohnern, deren Geschichten man nur erahnen kann. Nur in einigen wenigen Szenen kommunizieren sie über Zettel, oder sprechen im Schutz von Regenrauschen. Bis eine Figur auftritt, die länger bleibt: Eric (Joseph Quinn), ein Jurastudent aus Großbritannien, will Samira und vor allem ihrer Katze nicht mehr von der Seite weichen. Eric hat Angst, möglicherweise sogar eine, die als psychische Krankheit gelten kann, und gerade scheint ihm nur die Gesellschaft von Frodo zu helfen.
A Quiet Place: Tag Eins hat gut inszenierte Horrorszenen: Die Monster kündigen sich erst nur durch knarzende Kehllaute an. In den ersten Szenen tauchen sie aus Staubwolken auf oder sind nur zum Teil zu sehen, was das Unheimliche ihrer Allgegenwärtigkeit verstärkt. Später gewährt der Film umso tiefere Einblicke in die Anatomie dieser Wesen. Viele schleimige Fleischlappen liegen da übereinander, und man ist sich nie ganz sicher, ob man gerade in ein Maul, ein Ohr oder ganz woanders hineinblickt. Insgesamt erinnern sie in ihrer Mischung aus organischen und mechanischen Anteilen an die Aliens des Schweizer Kreaturenkünstlers HR Giger. Aus der Vogelperspektive wirken die Monster wie riesige Spinnen, die eilig die Häuserfassaden hoch- und runterkrabbeln. Wenn sie zuschlagen, zeigt Kameramann Pat Scola Nahaufnahmen stummer Schreie: schmerzverzerrte Gesichter, die ihren Gefühlen nicht Laut geben dürfen.
Die Großstadt ist laut. Irgendein Grundrauschen ist da immer, selbst wenn man alle Fenster und Türen schließt: ferner Verkehrslärm, das Surren einer Lüftung, technische Geräte. Dieses Grundrauschen gräbt sich so tief ins Nervensystem ein, dass man als Großstädter irritiert ist, wenn man zum Beispiel in eine Höhle steigt und plötzlich nur noch sich selbst hört. Nur noch sich selbst zu hören, das eigene Atmen, den eigenen Herzschlag, ist ein beliebtes Spannungselement in Horrorfilmen. Wenn sich etwa die Protagonisten vor etwas Bösem verstecken. Das überträgt sich auch aufs Publikum: Wenn ein Film verstummt, ist man im Kinosaal exponiert, traut sich kaum noch, sein Popcorn zu kauen.